# taz.de -- Schorsch Kamerun am Thalia Theater: Der Blues der Gentrifizierung
       
       > Schorsch Kamerun sucht am Thalia Theater nach den "Verschwundenen von
       > Altona": Ein Abend mit einem löblichen Ansatz, aber ohne Biss. 
       
 (IMG) Bild: Leicht konsumierbare, konsensfähige Gesellschaftskritik für den Yuppie-Bewohner mit Anspruch.
       
       Noch sind sie da, die kreativen Kiezbewohner von Altona, aber sie sind müde
       und melancholisch geworden angesichts des Strudels der Gentrifizierung, mit
       dem der Hamburger Stadtteil zu kämpfen hat wie einst der Prenzlauer Berg
       und überhaupt alle sogenannten Szene-Bezirke der großen Metropolen: „Ein
       Viertel wie eine Firma, wo die Aktien steigen trotz der ständigen
       Bewegung“. Schorsch Kamerun hat einen dieser neureichen Yuppie-Paläste auf
       die Bühne des Thalia Theaters in der Gaußstraße gebaut.
       
       „Wohnen am Wasser“ könnte die Anzeige für das große Loft später lauten,
       hinter den Stahlträgern alter Industriearchitektur und der großen
       Panoramaglasfläche schimmern noch die verschnörkelten Kacheln aus der Zeit
       der vorletzten Jahrhundertwende (Bühne: Constanze Kümmel). Es wird emsig
       gewerkelt, an einem Steg schaukelt schon das Boot für den zukünftigen
       hauseigenen Wasseranschluss. „Sicher war die Gegend mal anders, aber anders
       warst du auch“, spielt und singt die Band in jazzigen Klängen,
       melancholisch und prophetisch.
       
       Doch noch sind die Yuppies, die Millionenerben und Neureichen, das fast
       klischeehafte Feindbild aller Kiezbewohner, nicht da. Schorsch Kameruns
       Kreative bevölkern das Zukunftsskelett, malern, rücken Gegenstände, widmen
       das Boot mit Neonleuchten zur Kunstinstallation um oder träumen von Altonas
       glorreicher Vergangenheit. Aus dem Keller der Geschichte taucht ein
       Transparent mit dem Altonaer Stadtwappen auf. „All to nah bey Hamburg“
       heißt es in großen plattdeutschen Lettern, was nichts anderes bedeutet als
       „allzu nah“.
       
       Lange her, dass der Bezirk bis 1937 eine eigenständige Stadt war, die
       größte Schleswig-Holsteins wohlgemerkt und weltoffen, denn die Tore auf dem
       alten Stadtwappen sind weit geöffnet, anders als die verschlossenen auf dem
       Wappen der Hamburger übrigens.
       
       Noch länger her ist die Verbindung Altonas zu Dänemark, da helfen auch
       nicht die in sanfter Melancholie hervorgekramten dänischen Fahnen. Auch
       wenn der Verein „Altonaer Freiheit – weg von Hamburg“ noch immer „Altona
       muss zurück an Dänemark“ fordert, gehört der Bezirk mitsamt der
       Luxus-Elbvororte um Blankenese wohl für immer zu einer der teuersten Städte
       Deutschlands, dem stolzen Hamburg eben, wo nicht lange gefackelt wird, wenn
       es um den Tausch alter Bausubstanz gegen neue Einkaufszentren und
       Büroflächen geht, „man will sogar in die Höhe bauen“.
       
       ## Gefällig vorgetragene Moritaten
       
       Und so wird besungen, was diese lahme Truppe auf der Bühne wohl nicht mehr
       ändern kann, „hier in Altona sind Abenteuer und Romantik verschwunden“.
       Nicht wie eine Revolution erscheinen die gefällig vorgetragenen Moritaten
       gegen „Kaufhäuser“ und „Glitzerpaläste“, sondern wie eine große
       Resignation.
       
       Wo das Thalia Theater mit diesem Thema wirklich ein Stachel in der
       Diskussion um die Zukunft dieses städtischen Lebensraums sein könnte,
       bleibt nur müder Gefälligkeitsgesang ohne kraftvollen Aufruf zur
       Veränderung.
       
       Am Ende heißt es, „ich werde immer kämpfen“, und die letzten kreativen
       Bewohner besteigen das Schiff und segeln durch die geöffneten Stadttore für
       immer davon, nach Neukölln, Veddel oder wie die avantgardistischen Zentren
       von morgen heißen. Zurück bleibt ein fertig gentrifiziertes Quartier in
       Dunkelheit – nach einem Abend mit einem löblichen Ansatz, aber ohne Biss.
       
       Leicht konsumierbare, konsensfähige Gesellschaftskritik für den
       Yuppie-Bewohner mit Anspruch, viel mehr bringen die letzten Kreativen von
       Altona nicht mehr hervor, vielleicht ist es ja bereits zu spät.
       
       5 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Kohlmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Schorsch Kamerun
       
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