# taz.de -- Medien und Migranten in Deutschland: Mein liebster Feind der Islam
       
       > Die Migrationsdebatte in Deutschland ist inzwischen untrennbar mit
       > Sarrazins Thesen verbunden. Doch was ist deutsch und was ist türkisch?
       > Eine Debatte auf dem Medienkongress.
       
 (IMG) Bild: Schüler einer Neuköllner Schule auf einem Medienkongress-Panel über ihren Berliner Stadtteil.
       
       Ali geht nicht so oft zur Schule, dafür aber mit 16 in den Jugendknast. In
       seiner Freizeit überzieht er die Straßen Neuköllns mit Terror oder zeugt
       Kinder, damit das auch in Zukunft so bleibt. Ali spricht arabisch, oder
       türkisch, oder persisch, aber auf keinen Fall deutsch. Ali ist das beste
       Beispiel dafür, dass Multi-Kulti nicht funktioniert. Und vor allem ist Ali
       anders als wir.
       
       Auf dem Medienkongress debattierten JournalistInnen und
       Politikwissenschaftler über die Klischeevorstellungen und die Ängste, die
       im "Deutschland post-Sarrazin" vor dem Islam bestehen und die Rolle, die
       die Medien bei der Migrationsdebatte übernehmen.
       
       Die deutsche Migrationsdebatte ist seit dem Spätsommer letzten Jahres
       untrennbar mit dem Namen Sarrazin verbunden. Vor etwa einem halben Jahr
       versetzte er mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" das Land in eine
       Schockstarre. Sarrazin machte mit seiner anti-muslimischen Hetze Millionen
       und ist noch immer gefragter Gast in diversen Talkshows. Doch der
       deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler und Historiker Hamed Abdel-Samad
       findet diesen medialen Fokus auf Sarrazin übertrieben: "Die Atmosphäre war
       vorher schon vergiftet. Das spricht nicht nur Sarrazin-Jünger und Rassisten
       an- nein, es gibt in Deutschland ein kritische Masse, die manchmal aktiv
       wird und manchmal schweigt." Dem kann der taz-Meinungsredakteur Daniel Bax
       nur zustimmen: "Vor Sarrazin muss man sich nicht fürchten, aber er ist
       Symptom einer Stimmung im Land."
       
       Daniel Bax ist aber gleichzeitig auch schockiert über die Art und Weise,
       wie mit dem Buch umgegangen wurde. Er berichtet von einem rassistischen
       Wahlwerbespot der Republikaner, der zur Wende für große Aufregung in der
       Politik sorgte. Szenen vom türkischen Markt in Neukölln wurden hinterlegt
       mit der Melodie aus "Spiel mir das Lied vom Tod". Der Spot wurde damals
       verboten. "Was Sarrazin heute von sich gibt, das hat den gleichen Sound",
       so Bax. Er kritisiert auch, wie die Medien die Sarrazin-Debatte geführt
       haben. "Das war zum Fürchten. Sarrazin wurde mit offenen Armen in die
       Talkshows auf sämtlichen Kanälen eingeladen. Ihm wurde der rote Teppich
       ausgerollt. Die Medien erst haben Sarrazin salonfähig gemacht."
       
       So veröffentlichte Bild täglich neue Ausschnitte aus Sarrazins Buch und
       pries dessen wissenschaftlich unhaltbare Thesen als "knallharte Analyse".
       Aber auch im Spiegel oder in der FAZ erschien plötzlich der Ali als
       Protagonist diverser Reportagen. Die Ängste der Menschen fanden ihren Raum
       in den Medien. Oft wurde kein Faktencheck betrieben, auch von den seriösen
       Medien nicht. "Ich habe neulich erfahren, dass die Einschaltquoten bei der
       Tagesschau eine Rolle spielen", berichtet Hamed Abdel-Samad entsetzt. "Ich
       frage mich, sind es die Leute, die von den Medien unterhalten werden
       wollen, oder sind es die Medien, die die Leute für flach halten." Die
       Monitor-Redakteurin Isabel Schayani fordert deshalb zur Selbstkontrolle der
       Journalisten auf. "Journalisten müssen sich die Frage stellen: Ist das
       Problem religiös oder städteplanerisch oder sozial oder bildungspolitisch?"
       Jörg Lau, Journalist der Zeit stimmt Schayani da zu. Viele Themen würden
       islamisiert. Aus jeder Reportage würde eine Debatte über den Islam in
       Deutschland gemacht werden.
       
       Aber wieso gibt es überhaupt Feindbilder die in den Medien reproduziert
       werde? Patrick Bahners, der Feuilletonchef der FAZ veröffentlichte erst
       kürzlich das Buch "Die Panikmacher". Seiner Meinung nach wird in
       Deutschland gar keine Islam-Debatte geführt, sondern eine Debatte darum,
       wie wir uns als Deutsche verstehen. "Feindbilder werden wir immer
       gebrauchen, um unsere eigene Identität zu schärfen." Aber was ist typisch
       deutsch? Kann es der Vorname Ali irgendwann mal sein, so wie es sich der
       taz-Redakteur Jan Feddersen vorstellen könnte. Oder ist der türkische Markt
       am Maybachufer typisch für Berlin? Identitäten verändern sich permanent.
       Und so, wie Thilo Sarrazin unsere Gesellschaft erschütterte, so glaubt
       Hamed Abdel-Samad, könnten auch Migranten unsere Identität mitentwickeln:
       "Es muss für eine größere soziale Mobilität in Deutschland gesorgt sein.
       Wenn Migranten die Gesellschaft mitgestalten können, dann wird sich einiges
       ändern." Vielleicht ja auch das Bild über Ali.
       
       9 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) May Naomi Blank
       
       ## TAGS
       
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