# taz.de -- Anwalt über Polizeigewalt bei Castor-Protest: "Schlagstöcke ohne Vorwarnung"
       
       > Bereits als Demonstranten noch weit von den Schienen des
       > Castor-Transports weg waren, setzte die Polizei Pfefferspray und
       > Schlagstöcke ein - ohne Ankündigung, kritisiert Anwalt Stolle.
       
 (IMG) Bild: Aufräumen im Wendland nach dem Castortransport. Die Debatte zu Polizeigewalt lässt sich allerdings nicht so schnell aus der Welt schaffen.
       
       taz: Sie haben als Anwalt des "Legal Teams" das Bündnis „Castor?
       Schottern!“ begleitet. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? 
       
       Peer Stolle: Wir wurden – genauso wie Bundestagsabgeordnete und das Komitee
       für Grundrechte und Demokratie – im Vorfeld angefragt, ob wir als
       anwaltliche Beobachter diese Aktion am Sonntag begleiten würden. Bereits
       als die Gruppe noch weit weg war von den Schienen, gab es den ersten
       Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken, ohne jegliche Vorwarnung oder
       Ankündigung. Das Szenario setzte sich fort, als die Gruppe die Schienen
       erreichte. Es kam seitens der Bundespolizisten und der Hamburger Einheiten
       sofort zum massiven Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken.
       CS-Gas-Kartuschen wurden abgeschossen. Zum Teil wurden auch Wasserwerfer
       eingesetzt.
       
       Darauf haben die Schotterer doch wahrscheinlich reagiert, oder? 
       
       Weder vorher noch an den Schienen kam es zu Gewalthandlungen seitens der
       „Schotterer“ gegen die Polizeibeamten. Im Vorfeld wurde angekündigt, dass
       der Gegner nicht die Polizei sei. Diese Ankündigung wurde auch eingehalten.
       Erst nach dem massiven Vorgehen der Polizei kam es zu vereinzelten Würfen
       von morschen Ästen; das waren aber die absoluten Ausnahmen.
       
       Was muss man sich unter der oft zitierten Unverhältnismäßigkeit bei
       Polizeieinsätzen vorstellen? 
       
       Der Einsatz der Zwangsmittel wurde vorher nicht angekündigt, es wurde auch
       seitens der Polizei nicht versucht, die DemonstrantInnen durch andere
       Mittel aufzuhalten oder abzudrängen. Entlarvend war die polizeiliche
       Aussage, die nach dem ersten Versuch, die Schienen zu betreten durchgegeben
       wurde: „Wer versucht, die Schienen zu betreten, gegen den werden
       Schlagstöcke, Pfefferspray und körperliche Gewalt eingesetzt.“
       
       Wie wurden sie daraufhin eingesetzt? 
       
       Wir konnten beobachten, dass einige Polizeibeamte so genannte Totschläger
       (Teleskopschlagstöcke) benutzten. DemonstrantInnen haben mir berichtet,
       dass damit auf Köpfe eingeschlagen worden ist. Dazu muss man wissen, dass
       man mit diesen Stöcken sehr schwere Kopfverletzungen hervorrufen kann. Egal
       ob mit Tonfa oder Teleskopschlagstöcken, Schläge auf den Kopf sind
       vollkommen verantwortungslos. Mir wurde von einer Situation berichtet, in
       der ein Polizist eine Schusswaffe gezogen haben soll. Völlig
       unverantwortlich war der Einsatz von Reiterstaffeln an den Schienen, vor
       allem vor dem Hintergrund des massiven Einsatzes von CS-Gas und
       Pfefferspray.
       
       Sind die von Greenpeace, der Kampagne "Castor? Schottern!" und der BI
       Lüchow Dannenberg genannten Zahlen von Verletzungen als realistisch
       einzuschätzen? 
       
       Allein bei der Gruppe, die wir begleitet haben, mussten mindestens 2
       Personen mit Verdacht auf schwere Gehirnerschütterungen weggebracht werden.
       Die von der Kampagne „Castor? Schottern!“ genannten Zahlen - über 900 Fälle
       von Augenreizungen (vor allem durch Pfefferspray) und mehrere Knochenbrüche
       - sind aus unserer Sicht nachvollziehbar. Dass es nicht zu noch mehr und
       schwereren Verletzungen gekommen ist, ist allein dem Umstand zu verdanken,
       dass sich die CastorgegnerInnen selbst gut geschützt hatten.
       
       Es hat mehrere Hofdurchsuchungen im Umkreis der nah an der Castorstrecke
       gelegenen Dörfer gegeben. Was ist da passiert? 
       
       Am Montag, den 8.11.2010, haben Polizeibeamte, darunter die
       Beweissicherungseinheit aus Oldenburg und die 5. Einsatzhundertschaft aus
       Göttingen gegen 17 Uhr mindestens drei Höfe in Grippel, Zardrau und
       Langendorf gestürmt und die Scheunengebäude durchsucht. Während der
       Durchsuchung in Grippel erfolgte keine Begründung der Maßnahme, die Beamten
       waren vermummt, trugen keine individuelle Kennzeichnung und waren auch
       gegenüber den anwesenden Rechtsanwälten zu keinerlei Erläuterung oder
       Identifizierung bereit, sondern reagierten mit Wegschubsen. Spätere
       Begründung war die Suche nach so genanntem „Sperrgut“, also Material, das
       zur Blockade geeignet sein könnte. Ein richterlicher Beschluss wurde vorher
       nicht eingeholt.
       
       Über den französischen Polizisten berichtete die taz. Waren Sie bei dieser
       Aktion auch dabei? 
       
       Am Castortransport haben verschiedene ausländische Polizisten aktiv an
       Festnahmen und Personenidentifikationen teilgenommen. Ich persönlich habe
       bei der Großkundgebung am Samstag in Splietau einen Polizisten in einer –
       ich glaube kroatischen – Uniform gesehen. Der französische Polizist von der
       CRS (französische Bereitschaftspolizei) war bei den Einheiten der
       Bundespolizei am Sonntag in der Göhrde auf den Schienen.
       
       Um welche Art der Kooperation mit ausländischer Polizei handelt es sich
       dabei? 
       
       Solche sogenannten Verbindungsbeamten sind häufig als Beobachter bei
       polizeilichen Großlagen dabei.
       
       Welche rechtlichen Befugnisse haben diese Beamten? 
       
       Sie dürfen sich nicht am Einsatz beteiligen. Dieser französische Polizist
       aber stand nicht etwa abseits als Beobachter, sondern hat die Schiene mit
       „geschützt“. Auf den jetzt veröffentlichten Fotos ist zu sehen, dass er
       selbst Zwangsmittel eingesetzt hat. Gegen die Person wurde unmittelbar vor
       Ort Anzeige erstattet. Wenn es jetzt so dargestellt wird, als wenn der
       französische Polizist in Nothilfe gehandelt habe, dann ist das eine reine
       Schutzbehauptung. Die Bilder, die von diesem Einsatz gemacht worden sind,
       sind eindeutig. Eigentlich hätte dieser Polizist sofort festgenommen werden
       müssen. Dass dies nicht geschehen ist, legt den Verdacht nahe, dass sich
       die dort eingesetzten Polizeibeamten einer Strafvereitelung im Amt durch
       Unterlassen strafbar gemacht haben.
       
       Was können Sie zur Räumung der Widersetzen-Blockade am frühen Montagmorgen
       sagen? 
       
       Noch während Verhandlungen zwischen VertreterInnen der
       SchienenbesetzerInnen und der Einsatzleitung stattfanden, wurde eine
       „Freiluft-Gefangenensammelstelle“ (GeSa) eingerichtet, bestehend aus
       Polizeifahrzeugen, die auf einem ungeschützten Acker eine Wagenburg
       errichtet haben. Die Polizei teilte auf der Blockade mit, dass alle, die
       nicht freiwillig gehen würden, dort auf diesen Acker festgehalten werden
       würden. Bis zu 1000 Personen wurden dort unter freiem Himmel festgesetzt,
       bei bis zu Minus 5 Grad, zum Teil von nachts um 1 Uhr bis morgens um 9 Uhr.
       
       Auf welcher gerichtlichen Grundlage hat die Polizei da gehandelt? 
       
       Diese Personen wurden keinem Richter vorgeführt, selbst nachdem ein Anwalt
       von einer in Gewahrsam genommen Person beauftragt worden war, in Lüchow zum
       ansässigen Gericht zu fahren und die sofortige Vorführung zu erwirken,
       passierte nichts. Die erfolgte Verfügung des Richters an die Polizei wurde
       schlicht ignoriert. Eine besonders perfide Form der
       Rechtsschutzverweigerung bestand darin, dass die Polizei durchgegeben hat,
       dass nur von denjenigen die Personalien aufgenommen werden würden, die
       einen Antrag auf Vorführung stellten. Alle anderen könnten nach Auflösung
       der Blockade das Freiluftgefängnis ohne Personalienfeststellung verlassen.
       
       Aber ist dies eine eindeutige Übertretung der polizeilichen Befugnisse? 
       
       Die Einrichtung dieses „Freiluftgefängnisses“ war von Anfang an
       rechtswidrig. Die Polizei darf niemanden in Gewahrsam nehmen, wenn sie –
       wie hier – keine rechtsstaatlichen Grundsätze gewährleisten kann. Und wenn,
       dann muss die betroffenen Person unverzüglich dem Richter vorgeführt
       werden. Auch das ist nicht passiert. Folgerichtig wurde von den anwesenden
       AnwältInnen Anzeige wegen Freiheitsberaubung im Amt gestellt.
       
       16 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Krieg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Französischer Polizist beim Castor: Die Flic-Affäre
       
       Ein französischer Elitepolizist ging beim Castortransport im Wendland gegen
       Demonstranten vor. Was ist eigentlich schlimm daran? Vier Fragen, vier
       Antworten.
       
 (DIR) Kommentar Castor-Lügen: Der Rechtsstaat im Einzelfall
       
       Fotos beweisen es: das Eingreifen des französischen Elitepolizisten bei der
       Castor-Blockade war rechtswidrig. Das Innenministerium versucht den Vorfall
       zu verharmlosen.
       
 (DIR) Auch Baumkletterer erheben Vorwürfe: Ministerium verteidigt Flic-Einsatz
       
       Erst wollte das Bundesinnenministerium von nichts wissen, nun hat es eine
       Erklärung parat: Der französische Beamte handelte angeblich in einer
       "Notsituation".
       
 (DIR) Französischer Polizist beim Castor: Ministerium vernebelt Prügeleinsatz
       
       Ein französischer Elite-Polizist ging im Wendland gegen Demonstranten vor.
       Aus Notwehr, sagt das Innenministerium. Bilder im Internet ziehen das in
       Zweifel.
       
 (DIR) Angeblich nur Übungsflug: Tornado über Gorleben
       
       Jetzt ist es raus: Die Castor-Sitzblockade bei Gorleben wurde tatsächlich
       von einem Tornado-Flugzeug überflogen. Das Verteidigungsministerium sagt:
       Das waren Übungen.
       
 (DIR) Ticker Castor-Proteste: Bewegung feiert, Polizei ist frustriert
       
       Der Castor-Transport ist im Zwischenlager Gorleben eingetroffen - nach 92
       Stunden. Die Anti-Atomkraftbewegung feiert ihre Proteste als "großen
       Erfolg". Die Polizeigewerkschaft spricht von Irrfahrt.