# taz.de -- Stavanger ist Kulturhauptstadt 2008: Erstklassige Zweite
       
       > Das norwegische Stavanger ist neben Liverpool die zweite "Europäische
       > Kulturhauptstadt 2008". Anstatt auf kurzfristige Highlights wird auf eine
       > nachhaltige Entwicklung der Kulturszene gesetzt.
       
 (IMG) Bild: Ein Schiff ankert im Hafen des norwegischen Städtchens Stavanger.
       
       Stavanger, die an der windigen Nordsee liegende "Europäische
       Kulturhauptstadt 2008", ist wahrlich kein pittoreskes Kleinod. Im Vergleich
       zum malerischen Bergen oder der urbanen Hauptstadt Oslo hat die mit rund
       100.000 Einwohnern viertgrößte Stadt Norwegens dann auch in Sachen Kultur
       nicht allzu viel zu bieten. Neben einem großen Ensemble von historischen
       Holzhäusern und einem schmucken Hafen kann man hier gerade noch mit einem
       bemerkenswerten Ölmuseum oder dem Konservenmuseum aufwarten - aus Zeiten,
       als hier noch in Ölsardinen gemacht wurde.
       
       Auf neue, größere Investitionen etwa in repräsentative Architektur hat man
       sich in Stavanger aber dann trotz bester Finanzlage nicht eingelassen.
       Dabei ist die ehemals durch den Fischfang geprägte Stadt mit den
       Erdölfunden vor ihrer Küste wirtschaftlich hervorragend abgesichert. Die
       grandiose einheimische Natur muss als Bühne reichen - mit
       Theateraufführungen am Fjord oder mit Seilakrobatik über der Steinwüste.
       Und so verfolgen die Organisatoren des Hauptstadtjahres dann auch ein recht
       ungewöhnliches Konzept: Auf medienwirksame Auftritte internationaler Stars,
       die nach zwei, drei Tagen die Region gleich wieder verlassen, wird
       verzichtet. Dafür bleiben internationale Kompanien und Kunstaktive als
       "Artist-In-Residence" gleich für einige Wochen in der Stadt. Arbeiten und
       vernetzen sich mit einheimischen Künstlern und sollen so die nachhaltige
       Entwicklung der regionalen Kulturszene vorantreiben.
       
       Eines der prominentesten Beispiele für solch eine Zusammenarbeit war dann
       das erstmals vor einigen Wochen auf einer Insel unweit von Stavanger
       aufgeführte Stück "Dessa Auga" (Diese Augen) vom norwegischen Starautor Jon
       Fosse. Für über einen Monat arbeitete der renommierte Regisseur Oskara
       Korsunova aus dem Baltikum als "Artist-In-Residence" mit dem ortsansässigen
       Rogoland Theater zusammen. Inszeniert wurde von Korsunova vor wahrlich
       imposanter Naturkulisse, direkt am Fjord, ein Stück in mystischer Stimmung
       über die ganz großen Themen: Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und
       Gegenwart. Vor der Aufführung wanderten dann die Besucher noch auf der mit
       zahlreichen Kleinstaufführungen zur Bühne umgewandelten Insel umher.
       Diesmal aber federführend von einheimischen Theaterleuten inszeniert.
       
       Und so bietet Stavanger gleich auch ein Gegenmodell zur üblichen
       Kulturhauptstadtkultur. Die folgt nämlich zumeist der Logik einer Ökonomie
       durch Aufmerksamkeit, die gerade im Kulturbereich oft erst einmal ganz gut
       funktioniert. Ziel sind Zuwächse im Tourismus. Und die "Marke"
       Kulturhauptstadt steht durchaus dafür: Luxemburg, Kulturhauptstadt 2007,
       vermeldete dann 3,3 Millionen Besucher. Ein neuer Rekord. Auch andere
       Kulturhauptstädte konnten auf satte Zuwächse verweisen. Dafür wird der
       Kulturetat kurzfristig aufgebläht, Kultur-Highlights werden aus dem In- und
       Ausland rangeholt - oder bedeutende Kultureinrichtungen gleich neu gebaut.
       
       Gerade solche architektonischen Leuchttürme, zwar immens kostspielig,
       sollen dann die erhoffte langfristige Aufmerksamkeit sichern. In Luxemburg
       hatte man alleine rund 100 Millionen Euro für das Museé dArt Moderne
       Grand-Duc Jean hingeblättert. Alles mit dem Risiko verbunden, dass nach
       einem Jahr die Besucherzahlen wieder rückläufig sind. Die langfristigen
       Folgekosten solcher neuen Einrichtungen belasten dann aber den
       Finanzhaushalt auf Jahre, schmälern so die Chancen ortsansässiger
       Kulturprojekte auf eine angemessene Förderung.
       
       In Liverpool, ebenfalls Kulturhauptstadt 2008, sind in den letzten Jahren
       schon Milliarden von britischen Pfund in den Umbau der ehemals verkommenen
       Proletarierstadt geflossen. Da kommt das Hauptstadtjahr mit seinem
       internationalen Vermarktungspotenzial gerade recht. Zusätzliche 1,7
       Millionen Touristen werden für 2008 erwartet. Schon fast 130 Millionen Euro
       hat die "Liverpool Culture Company", verantwortlich für die Organisation
       des Ereignisses, im Vorfeld ausgegeben. Dagegen wirken die rund 35
       Millionen Euro, die das wohlhabende Stavanger für das Kulturhauptstadtjahr
       veranschlagt, fast schon kleinlich. Während in Liverpool eher auf große
       Namen und Events gesetzt wird, bei dementsprechender medialer
       Aufmerksamkeit, findet das abseits der üblichen Touristenrouten liegende
       Stavanger mit seinen rund 120 Projekten mit Schwerpunkt auf regionaler
       Kunst in der internationalen Presse kaum statt.
       
       In Liverpool bekam dann die Hauptstadteuphorie gleich zu Anfang einen
       gehörigen Dämpfer: Der Cheforganisator des Kulturhauptstadtjahres trat
       schon im Januar dieses Jahres zurück. Grund war ein sich abzeichnendes
       Defizit von rund 30 Millionen Euro, dem die Stadt sich jetzt schon
       gegenübersieht, um die laufenden Veranstaltungen zu finanzieren. Und so
       wird auch klar: Die finanzielle Ausstattung künftiger Kulturetats in der
       nordenglischen Hafenstadt wird wohl wieder um einiges knapper werden -
       spätestens wenn auch die Touristenströme wieder zurückgehen. Am Ende könnte
       das sparsame wie innovative Konzept aus Stavanger beweisen: Weniger ist
       auch für eine Kulturhauptstadt manchmal mehr.
       
       10 Oct 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Hagen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Norwegen
       
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