# taz.de -- Museum und Skulpturenpark in Kistefos: Louisiana auf Norwegisch
       
       > Norwegen hat einen neue Attraktion: Nur wenige Kilometer von Oslo
       > entfernt hat das neue, spektakuläre Museum Kistefos eröffnet.
       
 (IMG) Bild: Gewölbt und in sich selbst gedreht überspannt der weiße Riegel den Ranselva
       
       Das Objekt, für das die Landeskönigin Sonja eigens anreisen wird, mit ihr
       der dänische Kronprinz Frederik und die halbe norwegische Regierung mit
       Ministerpräsidentin Erna Solberg an der Spitze, dieses Objekt ist ein
       abgelegener Ort. Und er macht zunächst wirklich nicht viel von sich her.
       Ein grober Blick aus höherer Warte zeigt vor allem eine mehr hügelige als
       bergige, außerdem sehr grün belaubte und unauffällige Landschaft, sie hat
       wenig von dem Norwegen der Fjorde, den grotesk schönen Gebirgen und den
       vielen Fähren und Tunneln, eher gemahnt sie an die Gediegenheit des Harzes
       bei Göttingen.
       
       Hadeland, so heißt der Distrikt in diesem Teil des ölreichen Landes, das
       insofern an den fossil-kostbaren Rohstoff unterhalb der atlantischen
       Meeresböden erinnert, als auch hier, wie überall zwischen Kristiansand und
       Honningsvåg am Nordkap, die schiere Wohlhabenheit aufscheint, als blättere
       das Geld von Wänden und Borken, und zwar überall.
       
       Das Ding, um das es nun, an diesem königlichen Tag geht, ist mit größter
       Dezenz in die Topografie gebastelt worden, es liegt in einer Art Schlucht,
       die das Flüsslein Ranselva durchzieht, ein energisch fließendes Gewässer,
       das sich meist schmal ins felsige Gelände eingegraben hat und seit fast
       mittelalterlichen Zeiten mehrfach durch Staustufen gebremst wurde, um an
       ihnen Energie zu gewinnen. Unter anderem in Kistefos, wo eine alte
       Papierfabrik steht; mit ihrer Produktion verschmutzte sie den Fluss über
       die meiste Zeit ihrer Existenz ziemlich übel. Das ist nun vorbei, da die
       Industrie weg ist – und besserer Stoff die Gegend prägt: Kunst.
       
       Jedenfalls gehörte diese Fabrik einst der Familie Sveaas, ansässig längst
       in Oslo, der Kopf der nun im Investmentgeschäft tätigen Leute heißt
       Christen Sveaas – und der hatte vor einigen Jahren mit dem Rückkauf der
       Papiermühle und ihrer hektargroßen Umgebung samt Ranselva eine Idee: ein
       Kunstmuseum, ein museales Outdoor-Quartier, gewidmet eben nur dem Schönen
       und gewiss auch Dekorativen, Kunst so oder so, der norwegischen auch, aber
       eben nicht nur im regionalen Sinne des Heimatmuseumshaften, wie das in
       jedem Dorf des Landes inzwischen gängig ist.
       
       Im Gegenteil hier am Ranselva. Vor zehn Jahren begann der Multimillionär,
       wie er versichert, seinen Traum zu realisieren: Aus Kistefos einen
       wichtigen Punkt auf der internationalen Kunstkarte zu machen. So wie
       Louisana nördlich von Kopenhagen, dem wichtigsten Tempel zeitgenössischer
       Kunst Dänemarks der Nachkriegszeit, ein wie an den Steilhang des Öresunds
       bei Helsingör geschmustes Gebäudeensemble, das auch 50 Jahre nach seiner
       Eröffnung ziemlich frisch und unpatiniert aussieht. Das wollte also das
       Kind aus einer Papiermühlendynastie und heutiger Fondsmanager Sveaas,
       sozusagen, reenacten: eine Erstaunlichkeit an Künstlerischem, durch die
       ausgestellten Werke, doch auch mit dem Gebäude selbst.
       
       Den Tourismusverantwortlichen in Hadeland war das nur recht: Man hat für
       Lillehammer zu werben, der inzwischen etwas angeranzten Stadt der
       Olympischen Winterspiele von 1994, aber Jevnaker, der Ort, zu dem Kistefos
       gehört und sie beide eben zu Hadeland, dem übersehenen Hügelland oberhalb
       Oslos, ist von eher minderem Interesse bei Gästen, die eben Fjorde und
       Fähren und Tunnel und schicke Berge sehen und erleben wollen: Man fährt,
       wenn überhaupt, durch.
       
       ## Ein Juwel
       
       Kistefos ist in dieser Hinsicht nun ein Juwel, die Prominenz zur Eröffnung
       deutet das an: Weshalb hätte sonst Hobbymalerin Königin Sonja für die
       Ehrengäste sehr viele Drucke persönlich fertigen und ihnen schenken lassen
       sollen? Die Dame ist über 80 und hat ja keine Zeit zu verlieren, aber sie
       sagte gegen das milde Getöse des vorbeirauschenden Ranselva, durchaus mit
       hochzufriedenen Miene: „Ich bin sehr stolz auf dieses Museum, ich fühle
       mich auf Anhieb wohl, hier Kunst präsentiert zu wissen.“
       
       Und wie recht sie hat: Das Gebäude, das vor zehn Jahren ausgeplant war und
       nun eröffnet wurde, nennt sich „The Twist“, ein weißer Riegel, der, während
       er sich leicht gebogen über den Ranselva wölbt, um 90 Grad gedreht wurde;
       innen gibt das feine Stück einen perfekten Catwalk für Kunst. Alles in
       allem, dies vor allem, wirkt der „Twist“ wie ein kühler, erfrischender
       Kontrapunkt zum alten, historischen Hauptgebäude der Papiermühle: Die tote
       Hülle der alten Manufaktur in Sichtweite zum prestigeträchtigen Signum der
       postindustriellen Ära, ausgedrückt in teurer Kultur: Das war der Plan, so
       geht er nun in Erfüllung.
       
       Der Mann, den Christen Sveaas als seinen Buddy bezeichnet und der sich dies
       gern gefallen lässt, ist Bjarke Ingels, Stararchitekt aus Kopenhagen mit
       Büros an allen Plätzen der Welt, wo auch das Geld zu Hause ist, und
       verantwortlich für so unterschiedliche Bauwerke wie eine
       Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen, das Lego-Haus im dänischen Billund,
       die „Serpentine Gallery“ in London, für die kasachische Nationalbilbiothek
       in Astana wie auch das New Tamayo Museum in Mexiko-Stadt. Der Mann weiß
       sich auf globalem Parkett zu bewegen und sieht eben deshalb auch wie ein
       Künstler aus, eine Spur Hipster, eine Idee von Durchsetzungsfähigkeit und
       im Lächeln, so scheint es, jede Menge Gestaltungswillen: Christen Sveaas
       wollte genau ihn, keine Provinzgröße, das Regionale ist ja ohnehin genug in
       Hadeland;
       
       Mit Ingels’ Gebäude schließt sich sozusagen ein Kreis. Denn faktisch ist es
       ja ein gegen alle reißenden Fluten gesicherter Weg über den Ranselva, eine
       Brücke, die aus einem postindustriellen Gelände die Lücke zu einem
       entzückenden Rundweg schließt, einschließlich am Wegesrand ausgesäten
       Blumensamen, die zum Opening zurückhaltend, aber sichtbar in Ultracolor vor
       sich hin blühten: Auch dies natürlich wirkende Blumenwerk ein Produkt
       menschlicher Arbeit und Umsicht.
       
       ## Eine Eins-a-Inszenierung der Moderne
       
       Leicht ließen sich die Skulpturen, die auf jedem Meter jenseits des „Twist“
       zu begucken sind, als Angeberei abtun: Dass da ein Mann des alten wie neuen
       Geldes aus der Portokasse sich Kultur kauft und sich mit ihr schmückt.
       Andererseits muss man das auch erst mal können, all die Oldenburgs,
       Miyakes, Elmgreen og Dragsets (klar, die dürfen nicht fehlen, sie haben
       sogar zum hölzern-metallischen „Twist“ etwas beisteuern können), Günthers,
       Raddums, Elíassons (der schon wieder!), Kapoors, Heins, Hodgkins, Manders,
       Gerrards, Kabakovs und Creeds – dekorativ ins Gelände platziert, keine
       Installation sieht aus, als wäre sie achtlos da hingeschoben, wo sie zu
       stehen kam, selbst dann, wenn es wahnsinnig natürlich aussieht: eine
       Eins-a-Inszenierung der Moderne, die ihre frühkapitalistischen Eierschalen
       ausstellt.
       
       Ob das alles schon reicht, um ein norwegisches gegen das dänische Statement
       namens „Louisiana“ zu setzen, wenigstens ernst genommen zu werden? Das ist
       natürlich offen, gewiss ist nur, dass dieses Land eine Attraktion mehr hat,
       eine beeindruckende obendrein – samt Kinderspielmöglichkeiten in Fülle:
       Kistefos – ein Mäzenatenparadies auch für angehende Künstler:innen
       außerdem, dies ja auch.
       
       Aber hat die Gegend etwas davon, das ewig übersehene Hadeland? Darf
       übersehen werden, dass sich nahe Jevnaker seit 30 Jahren eine Weberei für
       höchste Qualitätsstandards etabliert hat – an Ort und Stelle wird dort an
       Webstühlen gearbeitet, per Hand, auch mit ausgemusterten Gerätschaften aus
       der Schweiz und Deutschland? Hat von dieser in einer Schlucht gelegenen
       Kunstgalerie das Pilgermuseum etwas, das ja gar nicht beansprucht,
       irgendwie genauso viel Spirit zu bieten wie der Jakobsweg in Frankreich und
       Spanien – vielleicht weil er nicht ganz so steinig und ruppig ist?
       
       Und nützen die erhofften Besucher:innen in Kistefos dem Hadeland Glassverk,
       einer alten Glasmanufaktur am Rande von Jevnaker mit Ausblick auf den See,
       wo das Wasser herkommt, das den glühenden Rohstoff abkühlen hilft? Die
       Fabrik, die umgeben ist von Shops und Outlets, weil es sonst mit dem Umsatz
       nicht reicht für die gar nicht mehr vielen Arbeitsplätze, die die Fabrik
       noch hat?
       
       ## Keine Importware
       
       Die Glasmanufaktur produziert ja noch selbst, lässt nicht günstiger in
       Tschechien fertigen, wie sie es im småländischen Kosta Boda halten, dem
       alten Konkurrenten der spätmittelalterlichen Fabrikproduktion von Glas. So
       wird es von den Glasbläsern (eine Glasbläserin gab es mal, aktuell meldet
       sich keine junge Frau für diesen offenkundig nicht zukunftsfähigen Beruf
       dort oben) gesagt, und so ist es wohl auch: Selbst in der Produktion in
       altem Handwerk wird Echtheit meist nur noch simuliert, wenn auch nicht
       immer.
       
       Womöglich ist diese ganze Gegend in der Not, den alten Wohlstand, der der
       Natur abgerungen wurde – Wasser, Wind, Erze –, nicht nur retten zu müssen,
       sondern seine historischen Quellen vorzuzeigen, weil eben eine Glasfabrik
       (oder eine Weberei) zeigt, dass das gute Alte noch nicht untergegangen ist:
       Überall in Skandinavien sind ja Heimatmuseen gerade in den letzten 50
       Jahren eröffnet worden, teils ehrenamtlich, manchmal mit viel staatlicher
       Finanzhilfe: Heimat als Ausstellungsgut, das einen verlässt. Christen
       Sveaas verfügt über die nötigen Mittel, dass er es anders halten konnte.
       
       Er kaufte das ihn wohl sentimental stimmende Gelände seiner Familie zurück
       – und ließ es mit dem Gold heutiger Tage illustrieren: der Kunst. Dass er
       dafür einen Künstler wie Martin Creed gewann, Turner-Preisträger, ein
       wirklich lustiger Vogel, selbst Königin Sonja und Kronprinz Frederik
       spendeten seinem Gesang am Abend nach der Eröffnung im Festzelt Applaus.
       Creed – das war die Figur des Gauklers, der Freundliches zu seinen
       Auftraggebern sagt und doch wie ein Schelm sich ausnimmt: „It’s only for
       the exhibition!“
       
       19 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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