# taz.de -- Medienwunder Rainer Langhans: "Wir haben gewonnen"
       
       > Warum kommt Rainer Langhans immer mit den Themen an die Öffentlichkeit,
       > die nicht besonders spannend sind? Er sagt: Weil man ihn immer danach
       > fragt.
       
 (IMG) Bild: In der Kommune 1 war er für das Dichten von Slogans zuständig: Rainer Langhans.
       
       Nach vielen Jahren trafen sich Mitglieder der Kommune 1 im letzten Sommer
       erstmals wieder. Das Geld hatte sie aus ihren Löchern gelockt. Der Spiegel
       war bereit, für ein gemeinsames Foto zu bezahlen. Aparterweise auf einem
       Berliner Friedhof. 1.000 Euro pro Exkommunarde. Danach ging man in ein
       Lokal und versuchte zu kommunizieren.
       
       "Dieter", sagte Rainer Langhans zum Exkommunarden Kunzelmann, "du warst
       doch immer der Chef, setz dich an den Kopf des Tisches."
       
       "Bist du verrückt", habe Kunzelmann geantwortet, "ich setz mich doch nicht
       mit dem Rücken zum Fenster. Da können die mich doch von hinten erschießen."
       
       Wirklich traurig, depressiv und superprekär seien diese Menschen, die 1967
       mit Langhans die Berliner K 1 gründeten, um neue und bessere Formen des
       Lebens und Zusammenlebens zu erkunden und damit nachhaltigen Einfluss auf
       die westdeutsche Gesellschaft, Mediengesellschaft und Identitätsbildung zu
       nehmen. Spiegel-Mann Matthias Matussek zählte Ulrich Enzensberger die
       Scheine in die Hand, der kranke Fritz Teufel lachte in sich hinein, dann
       waren sie wieder weg. "Wie Dealer auf dem Friedhof", sagt Langhans. Mit
       Matussek redete nur einer: er.
       
       Es ist ein richtig schöner Tag in München. Wir sitzen auf einer Bank im
       Luitpoldpark, ein paar Schritte entfernt von Langhans Schwabinger Wohnung.
       Er, sagt Langhans, habe Kunzelmann unter anderem gefragt, wie das nun war
       mit der Bombe, die 1969 am Jüdischen Gemeindehaus in Berlin gelegt wurde.
       
       "Oh", habe der gesagt, und dass er öffentlich nicht drüber sprechen wolle.
       "Wir konnten kaum miteinander reden, großes Misstrauen mir gegenüber, weil
       ich ja eine Medienhure bin, die dieses Zeug von ihnen verramscht." Langhans
       hatte den Eindruck, dass seine ehemaligen Freunde "nicht mehr richtig
       leben". Irgendwie, sagt Langhans, seien sie mittlerweile "fast wie ihre
       Nazi-Eltern". Sie verweigerten das Gespräch darüber, was sie damals gemacht
       haben.
       
       Seine These ist, dass sie 40 Jahre nach 1968 so traurig sind, weil sie den
       anderen und sich selbst nicht vergeben können, verloren zu haben, sogar die
       Welt noch schlimmer gemacht zu haben. Er sieht das Gegenteil: "Wir haben
       gewonnen, wir wissen es nur noch nicht." Das Missverständnis über 1968 ist
       Folgendes: "Wir dachten damals, wir seien nur links", sagt Langhans. "Dabei
       war 1968 eine spirituelle Bewegung."
       
       Auf der Leipziger Buchmesse ist Sex das größte Thema, 1968 das zweitgrößte.
       Es ist nur konsequent, dass Langhans nach der Fernsehmoderatorin und
       Neu-Schriftstellerin Charlotte Roche das größte Publikum zieht. Eigentlich
       hatte er ein 500-Seiten-Manuskript geschrieben, aber der Blumenbar-Verleger
       Wolfgang Farkas warf es in den Papierkorb und ließ ihn Kassetten
       besprechen. Langhans gibt sich hin und wieder ein bisschen gekränkt, dass
       dem Vorurteil Nahrung gegeben wird, er könne eigentlich nicht schreiben.
       Herausgekommen ist: "Ich bins". Langhans nennt es eine "geistige
       Biografie", deren vermeintliche Schwäche vielleicht ihre Stärke ist: Sie
       richtet sich nicht an den Inner Circle oder das Feuilleton, sondern ist
       einfach aufgeschrieben, weist über den 68er-Schlussverkauf dieses Jahres
       hinaus und möchte deutlich spürbar Nachgeborene erreichen.
       
       Auf einem blauen Sofa erklärt er in Leipzig den Unterschied zwischen der
       von Rudi Dutschke angeführten politischen Studentenbewegung und den
       ungleich größeren, weil menschlicheren Zielen der Kommune: "Uns war es
       nicht genug, so ein bisschen die Produktionsverhältnisse zu ändern." Er
       redet vom Pudding-Attentat auf US-Vizepräsident Hubert H. Humphrey, über
       seinen "Freund", den RAF-Anführer Andreas Baader ("Baby Baader war unser
       Schüler") und auf Nachfrage auch über seine Exfreundin Uschi Obermaier, die
       er einst als Prototyp des natürlichen "Neuen Menschen" gegen Che Guevaras
       Modell der Umerziehung positionierte.
       
       Selbstverständlich geht es auch um den Sinn der Vermeidung des
       Samenergusses, ein weiterer Langhans-Klassiker. Sämtliche Frauen hätten es
       gar nicht toll gefunden, dass er ihnen den Samen konsequent verweigert
       habe. Der Andrang wird immer größer. Die Emotion im Publikum auch.
       Irgendwann kommt die Stelle, an der Langhans sagt: "Es gibt etwas viel
       Higheres als Orgasmen."
       
       Die Moderatorin (tut neugierig): "Aber was ist das denn?"
       
       Langhans (betont): "Der Geist."
       
       Ein Mann im Publikum (kopfschüttelnd): "Verrückt."
       
       So scheint es stets zu sein, wenn Langhans vor größerem Publikum auftritt.
       Man hält ihn für einen Kasper. Die interessanten Sachen gehen unter.
       
       Selbstverständlich muss man nicht weit fahren oder viel telefonieren, um
       jemand zu finden, der Langhans für einen notorischen Schwätzer hält. Er sei
       einer, der nichts auf die Reihe gekriegt habe, sagt einer. Der, wo immer er
       hinkomme, nach fünf Minuten anfange zu nerven. Einer, dessen öffentliche
       Wahrnehmung als Symbol der Außerparlamentarischen Opposition der späten
       Sechziger falsch oder zumindest übertrieben sei. Dessen Sex- und
       Haremgeschichten einen hohen Peinlichkeitsgrad hätten. "Dieser Witzbold da,
       den wir damals immer für ein Mädchen gehalten haben", nennt ihn der
       Regisseur und Zeitzeuge Klaus Lemke ("Brandstifter"). Die Nacktbilder der
       Kommune, die provozieren sollten, hätten ausgesehen "wie frisch aus dem
       KZ". Überhaupt sei "beim Frauenarzt mehr gelacht worden als in der
       Kommune". In den späten Achtzigern hat Langhans Adolf Hitler als
       "spirituellen Sinnsucher" besetzen wollen und wurde dafür von der moralisch
       empörten Linken als "esoterischer Faschist" gebrandmarkt. 1985 schrieb er
       in der taz über die Grünen, sie entwickelten sich "inhaltlich nach dem
       gleichen Muster wie die Nazis". Langhans, sagt sein Verleger Farkas, "ist
       ein Mensch, der Extreme vereint. Er ist eigensinnig und offenherzig,
       befremdlich und liebenswürdig, verschroben und sexy zugleich."
       
       Langhans hatte schon vor vierzig Jahren die Idee, einen "Popkonzern" zu
       gründen. "Popkapitalismus", das sei "eine politische Überlegung" gewesen.
       Nämlich: "Den Leuten mit dem ihnen viel vertrauteren Geld statt mit Waffen
       beizubiegen, dass man besser leben kann." War nach dem Scheitern der
       Bewegung sein Ansatz der Kommune: Wir verkaufen, was wir leben, der
       Gesellschaft - zu deren Wohl. Aus dem Popkonzern wurde bis heute nichts. Es
       war aber ein weiterer Grund, warum er wegen angeblichem Ausverkauf der
       Revolte als "Verräter" aus der linken Gemeinschaft ausgestoßen wurde. Es
       ist schon mehr als eine Ironie der Geschichte, dass er heute nicht in einer
       Villa in Berlin-Zehlendorf lebt, dass er nicht um die Welt jettet, und
       eigentlich kaum etwas verkauft, sieht man von seinen Persönlichkeitsrechten
       am letztjährigen Obermaier-Film "Das wilde Leben" ab und jetzt dieser
       Autobiografie sowie dem Fotoband "K 1 - Das Bilderbuch der Kommune", den er
       mit seiner langjährigen Vertrauten Christa Ritter herausgegeben hat.
       
       Er lebt seit Mitte der 70er in einem 29-Quadratmeter-Apartment in
       Schwabing. Allein.
       
       "Seine" fünf Frauen, der sogenannte Harem, sind eine Gruppe, die sich seit
       mehr als 35 Jahren regelmäßig trifft und aktuelle Themen debattiert, vor
       allem aber sich nachhaltig selbst analysiert. Langhans Erfahrung: Frauen
       scheinen eher bereit, die innere Welt wichtig zu nehmen, Männer dagegen
       eher nicht. Außerdem wollten die Frauen nicht zu viele Männer, um nicht in
       eine Art Duldungsstarre zu verfallen. Deshalb seien außer ihm keine anderen
       Männer in der Gruppe. Männer sind allerdings auch schnell genervt von
       Langhans und neigen dazu, das für "Geschwätz" zu halten, was er sehr ernst
       die "Arbeit" einer "Sinnsuchergemeinschaft" nennt. Ist er die Vaterfigur
       oder der Lehrer der Frauen? Nein, sagt er, er sei ja selbst Schüler. "Ein
       Mann für mehrere Frauen", formuliert er in seinem Buch, "ist ein Mann in
       einer sehr abgeschwächten Form", also ein besserer Mann. Gab es auf der
       "körperlichen Triebebene" Bedürfnisse nach "herkömmlichem Sex", dann holten
       sich seine Frauen dafür temporär einen schwachen Mann: einen "Lakaien". Die
       Lakaien sehen das selbstverständlich anders.
       
       Langhans wird im Juni 68, er kriegt 190 Euro Rente: Er war Anfang der 60er
       Zeitsoldat. Und als er in den späten Siebzigern Regieassistent von Rainer
       Werner Fassbinder war, hat er in die Künstlersozialkasse eingezahlt. Hat
       keine Rücklagen. Wenn er Zahnweh hat, geht er in die Zahnklinik, in der
       Zahnmedizinstudenten sich ausprobieren.
       
       Lebt er so, weil er kein Geld hat, kein Geld will oder hat er kein Geld,
       weil er so lebt? "Einerseits habe ich nicht viel getan, um in dieser Welt
       diese Spiele mitzumachen. Deswegen lebe ich auf einem so niederen Level.
       Aber ich will es auch nicht." Als Konsument sei er eine Katastrophe. Sein
       Rainer-Langhans-Outfit lässt er sich aus Indien mitbringen. Trägt die
       Sachen, bis sie auseinanderfallen. Geht kaum aus. Tägliche Wege legt er zu
       Fuß oder mit seinem Fahrrad zurück. Er gehe, sagen Menschen, die ihn
       kennen, auch nicht ins Café. Er liest täglich mehrere Zeitungen. In der
       Bibliothek und im Netz. Manchmal spielt er Tennis oder Squash. "2,50 Euro,
       da ist dann aber auch die Sauna drin." Ansonsten gilt: "Ich konsumiere
       nichts, außer so ein bisschen essen. Biologisch. Vegetarisch."
       
       Ist er Öko? "Natürlich." Kein Fleisch, kein Fisch, keine Eier. Das letzte
       Huhn hat er vor 35 Jahren gegessen. "Das ist erst mal die gröbste Form von
       Gewaltlosigkeit." Gewalt verrohe, auch Gewalt gegenüber Tieren und
       Pflanzen, und falle auf einen selbst zurück. Zum Beispiel: Wer Pflanzen
       vergifte und sie dann esse, vergifte auch sich selbst. Das sei aber
       lediglich ein Nebenthema. "Wenn du versuchst menschlicher oder geistiger zu
       werden, wirst du selbstverständlich ökologischer." Sein Ziel ist es, "so
       wenig körperlich und so wenig materiell wie möglich in dieser Welt
       vorzukommen". Erst dadurch könne sich der Geist entfalten. Zudem sei das
       gut für den Körper. Der alternde Körper werde nicht zuletzt dadurch krank,
       weil man glaube, ihm die alten hedonistischen Anstrengungen zumuten zu
       müssen. Es gehe darum, die alten Genusstechniken durch neue zu ersetzen.
       Zum Beispiel: Viel essen durch weniger essen.
       
       Zudem ist er Trendsetter. Die Gesellschaft bewege sich, auch durch Verlust
       der Arbeit und Verarmung, gezwungenermaßen weg vom Materiellen hin zum
       Geistigen. Er, Langhans, verstehe es als "Luxus", dass er wenig Dinge habe,
       die er zunächst besorgen, dann bedienen, pflegen, schön finden und wieder
       entsorgen müsse.
       
       Im Prinzip sei das Zurückdrängen des Körpers auch ein Teil der
       68er-Bewegung, nur brauchte man damals Drogen oder Demonstrationen dazu, um
       den Geist freizulegen, also "zeitweilige Vergiftung oder Begeisterung".
       
       "Es geht darum, dass wir verstehen, dass wir nicht der Körper sind, sondern
       eigentlich Geist. Den Körper haben wir nur für eine bestimmte Zeit und
       bestimmte Aufgaben." Es geht um die Beschäftigung mit sich, die politisch
       sei - und von den meisten durch Ausweichbewegungen (Konsum, Beziehungen,
       Beruf, Kinder) vermieden werde.
       
       Selbstverständlich ist Langhans Leben seit den mittleren Siebzigern besser
       zu verstehen, wenn man weiß, dass er nach dem Ende der Bewegung und
       Aufregung die damals häufig folgende schwere Lebens- und Sinnkrise hatte -
       und diese mit Hilfe eines Meisters überwand, des indischen Gurus Kirpal
       Singh. Er begleitete ihn in seiner materiellen Form auf seiner letzten
       Weltreise durch Europa. Bald darauf verließ der Meister den Körper.
       Langhans sagt: "Ich wäre auch nicht mehr im Körper, wenn ich nicht diesen
       Weg gefunden hätte." Es sei der Weg des Spirituellen, den der Osten kennt
       und den der Westen verlernt hätte zu sehen, "durch dieses: Ihr seid alle
       erlöst, weil einer mal vor 2.000 Jahren was gemacht hat und braucht also
       nichts mehr zu tun in dieser Richtung." Das habe er "denen" mal verdammt
       übel genommen, "aber inzwischen sage ich: okay."
       
       Man hat manches, was Langhans sagt, schon gelesen bei der
       Gesprächsvorbereitung, im Buch oder anderswo und gedacht: Na ja. Aber wie
       er da so unaufgeregt, fast beiläufig redet, klingt es überhaupt nicht
       wichtigpopichtig und auch nicht verrückt.
       
       Zum Beispiel, wenn er sagt: Geistig werden heißt jünger werden, weil man
       dann weniger alternder Körper ist. Langhans sagt, er übe sich darin, "immer
       weniger im Körper zu sein, bevor er mich wirklich verlässt".
       Übersetzungsversuch: Er ist bereits vor dem Tod ins jenseitige Leben
       aufgebrochen, und das kommt richtig gut. Der Grundirrtum besteht für ihn
       darin, dass die Energie der Leute häufig komplett in den Versuch mündet,
       "körperlich bleiben zu wollen", also Anti-Aging mit allen Mitteln statt
       sich weiterzuentwickeln. Wenn man ihn richtig versteht, hat Langhans 1968
       die gute Jugend erfunden und ist 2008 dabei, auch das gute Alter zu
       erfinden - oder zumindest intensiv zu suchen.
       
       Der Sonne folgend, wechselt Langhans an diesem Nachmittag im Luitpoldpark
       von Parkbank zu Parkbank. Einmal geht eine Frau vorbei, so Anfang 60. Sieht
       seine Locken, seine weißen Kleider. Bleibt stehen, kommt zurück, lächelt
       und sagt dann: "Darf ich fragen, wie Sie heißen?"
       
       "Rainer Langhans", sagt Rainer Langhans freundlich.
       
       Darauf sie: "Ah. Sogar im Bayerischen Wald kennt man Sie."
       
       Ein anderes Mal bleibt eine Frau stehen, auch so Anfang 60, und sagt - ohne
       sich vorzustellen: "Es war schön. Aber damals waren wir jung." Dann geht
       sie weiter. Langhans lächelt.
       
       Warum kommt Rainer Langhans immer mit den Themen an die Öffentlichkeit, die
       nicht besonders spannend sind? Er sagt: Weil man ihn immer danach fragt.
       Wie war das mit Uschi? Was läuft im Harem? Wie ist das mit dem Samenerguss?
       Unlängst widmete Springers Bild sich wieder dem Thema. Sein Verleger habe
       zum Interview geraten. "Mit der Überlegung: Spermablatt, die interessieren
       sich dafür." Taten sie auch. Langhans kriegte eine Dreiviertelseite. Aber:
       "Ich habe schon während des Gesprächs gemerkt, dass das nichts wird. Da
       habe ich gesagt: Lassen Sie das lieber, Sie bringen das nicht." Es war dann
       im Prinzip eine Statistik, auf der man die Entwicklung von Langhans
       Ejakulationen pro Jahr seit den Siebzigern verfolgen konnte. "Es war
       schlecht. Aber es hätte gut werden können."
       
       Langhans, das merkt man schnell, ist das, was man im Mediengeschäft einen
       Blattmacher nennt. Das war eine Stärke der Kommune: das Blattmachen, das
       Inszenieren, das Dichten von Slogans. Zusammen mit dem Stern war man ein
       kongeniales Team. Die Journalisten kamen und fragten: "Könnte man
       vielleicht sagen, dass wer zweimal mit derselben pennt, schon zum
       Establishment gehört?" Könnte man, brummten die Kommunarden. Sagen kann man
       viel.
       
       So wird Geschichte gemacht.
       
       Den Kommunen-Jahrestag letzten Sommer hatte der Spiegel mit seiner
       Mitarbeit als Titelgeschichte geplant. Das Titelblatt war auch schon
       fertig, doch dann "haben uns die RAFs noch abgefangen, auf den letzten
       Metern, wieder einmal, immer wieder: Diese negative Schattengeschichte
       fängt das Licht ab." Er hatte mit dem damaligen Spiegel-Chef Stefan Aust
       geredet, weil der ihn für seinen ARD-Mehrteiler über die RAF interviewen
       wollte.
       
       "Stefan, du bist doch der RAF-Experte. Überleg doch mal, woher dieser
       faszinierende Schatten kommt, vor dem ihr alle in die Knie geht, vor allem
       die alten 68er."
       
       Aust wusste es nicht.
       
       "Dieser tiefe Schatten kommt von einem starken Licht." Das Licht war das
       eigentliche 1968. Daraufhin habe Aust ihm gesagt, dass er sich das so noch
       nie überlegt habe, es aber irgendwie stimme. Er machte dann doch den
       RAF-Titel, weil gerade die Entlassung zweier langjähriger RAF-Häftlinge
       anstand. Langhans These ist: Man muss auf das Licht schauen, wenn man
       seinen Schatten verstehen will. "Das ist auch ein Punkt bei dieser
       Hitlerei."
       
       Falls die These stimmte, dass 1968 gewonnen hat, aber nicht als politische
       Idee, sondern als Pop, dann wäre der nachhaltig wirkende Kitzel der
       Oberflächen-Opern RAF und Obermaier doch nur konsequent; dann hätte der
       Sieger Langhans sich selbst geschlagen. "Wieso? Finde ich nicht. Pop ist
       für mich nie nur Oberfläche, sondern immer Hinweis auf einen tieferen Kern.
       Aber das Bewusstsein braucht vielleicht jahrzehntelang Pop, bis es sagen
       kann: Da steckt etwas Tieferes dahinter."
       
       Rainer Langhans kann man praktisch alles fragen. Das sei das Erbe von 68.
       Er ziert sich nicht, taktiert nicht, weicht nicht aus, kokettiert kaum.
       
       Sind Sie glücklich, Herr Langhans?
       
       "Ja. Ich bin noch nicht großartig glücklich. Aber ich bin glücklicher denn
       je in meinem Leben, weil ich mir näher gekommen bin, als ich das je vorher
       war. Mit meinen schwachen Kräften und dürftigen Bemühungen, die ich da
       aufbringen kann. Dass man das kann, dass man von einer so großen Entfernung
       sich so nahekommen kann, das hätte ich nicht für möglich gehalten."
       Langhans These ist, dass die Entfernung, die mancher zur Welt zu haben
       glaubt, letztlich die deprimierend endlose Entfernung zu sich selbst ist.
       
       Es heißt, er habe keinen Funken Humor. Aber er lacht oft. Er schwärmt
       bewusst naiv von Google. Er lehnt die Vorstellung von Gegenkultur ab, die
       1968 folgte, weil man sich in Nischen zurückzog und damit den Anspruch
       aufgegeben habe, "dass eine bessere Welt für alle möglich ist". Er glaubt
       allerdings auch nicht, dass die materielle Welt so zu verändern ist, "dass
       wir glücklich sind". Er sieht das Internet als geistige Welt und die
       heutige Kommune, weil alle drin sein können. Er hofft, dass man lernen
       kann, darin gut zu leben - und dadurch auch in der realen Welt. Er sieht
       die Schere zwischen Reich und Arm größer werden, aber er glaubt, dass es
       eine dominantere Entwicklung gibt, und das ist für ihn die Abkehr von der
       westlichen Welt und "diesem ganzen alten, materiellen Scheiß. Der doch nur
       unglücklich macht. Wir werden ärmer, und das ist gut für den Geist."
       
       Er glaubt darüber hinaus an geistige Vererbung. Davon redet Langhans
       allerdings stets im Konjunktiv. Reinkarnation sei schließlich "ein mentales
       Konstrukt", das er nicht überprüfen könne. Er sagt: "Wenn ich einen
       erweiterten Vererbungsbegriff in diese materielle Welt einführe, die nicht
       sieht, dass es geistige Vererbung gibt, dann wäre es unmittelbar
       verständlich, dass die Menschen sich angezogen fühlen von schöneren
       Schicksalen, die aber bereits vor diesem Leben existierten."
       
       Nehmen wir Uschi Obermaier. Sie war die schönste Frau der Welt und hatte
       den wunderbarsten Körper der Welt. Das war so gedacht kein Zufall, sondern
       Folge der Vererbung einer mentalen Situation. Er liebte also viel mehr als
       die Oberfläche. Andererseits konnte gerade Obermaier vom Körperlichen nicht
       loslassen. "Sie war die schönste und größte Liebesmöglichkeit, die man in
       dieser Art von Welt haben kann." Aber: "Es hat mir einfach nicht gereicht."
       Irgendwann kam ihm die Erkenntnis: "Große Liebe ist nicht im Körper
       möglich." Anders gedacht: "Romeo und Julia. Uraltes Ding. Wenn du die große
       Liebe willst, musst du aus dem Körper raus." So wie er die
       Projektionsfläche Obermaier weiterentwickelt hat, ist sie kein Sexsymbol,
       sondern ein Nachdenksymbol.
       
       Später geht Langhans schnellen Schritts bei Rot über die Herzogstraße. Eine
       Frau schreit redlich empört: "Sehen Sie nicht, dass hier Kinder stehen!" Er
       dreht sich nicht um. Warum tut er das? "Weil ich es kann. Und sie nicht.
       Sie brauchen nicht jedem Erwachsenen alles nachzumachen."
       
       Das Beste an einem Gespräch mit Rainer Langhans ist, dass man danach klarer
       sieht: dass Dinge auch anders sein können. Dass Ficken überschätzt wird.
       Dass man der Sonne folgen muss, damit man nicht friert. Dass man jünger und
       besser werden kann, wenn man nachdenkt. Dass man bei Rot über die Ampel
       gehen kann, obwohl Kinder dabeistehen. Dass man menschlicher wird, wenn man
       ökologischer lebt. Vor allem aber: dass die Revolution nicht anfängt, wenn
       man sie nicht bei sich selbst beginnt.
       
       19 Apr 2008
       
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 (DIR) Peter Unfried
       
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