# taz.de -- Mexikanisches Kino: Autos, die Wiedergeburt heißen
       
       > Kino, das an Jim Jarmusch erinnert: In "Lake Tahoe" (Wettbewerb) crasht
       > ein 16-jähriger Junge das Auto seiner Mutter und wird bei der
       > Ersatzteilsuche zum Mann - weil ihm niemand hilft.
       
 (IMG) Bild: Der 16-jährige Juan (Diego Cataño) wird zum Mann - weil ihm niemand hilft.
       
       "Wir brauchen mehr emotionalen Inhalt. Weniger Zorn." Der jugendliche
       Bruce-Lee-Fan und Automechaniker, der diese Dialogzeile in Fernando
       Eimbckes Wettbewerbsbeitrag "Lake Tahoe" zum Besten gibt, ist nur eine
       Nebenfigur, deren dramaturgischer Zweck vor allem darin besteht, die Suche
       des Helden noch etwas hinauszuzögern. Jener hat das Auto seiner Mutter
       gegen einen Laternenmast gefahren und ist nun händeringend auf der Suche
       nach Ersatzteilen. Im Laufe eines langen Tages wird ihn dabei vieles
       bremsen, wird sich das Heimkehren immer weiter hinauszögern. Aber man darf
       in dieser Sentenz - weniger Zorn - das heimliche Credo des Films vermuten.
       Denn Eimbckes Film will so gar nicht den Klischees des aktuellen jungen
       mexikanischen Kinos entsprechen, das man sich meist nach dem Erfolgsmuster
       von "Amores Perros" vorstellt: als ein Kino der Drastik und der
       hyperrasanten Montage.
       
       Eher erinnern Eimbckes Bilder an die zurückhaltende Ästhetik, die man von
       der Berliner Schule kennt, oder aus dem Kino eines Jim Jarmush: Die
       Helligkeit des Lichts. Der leise Wind in den Bäumen. Unbewegte
       Kameraeinstellungen, die dem Geschehen und dem Blick Raum geben.
       Schwarzblenden rhythmisieren den Erzählfluss. Und wo in "Amores Perros" ein
       Autounfall alle Handlungsstränge miteinander verknüpfte, wird der einzige
       Crash hier nur über die Tonspur erzählt, während die Leinwand dabei dunkel
       bleibt.
       
       Wie ausgestorben wirken die Straßen, über allem liegt die Trägheit eines
       flirrenden Nachmittags. Die meisten der Reparaturwerkstätten, die der
       16-jährige Juan (Diego Cataño) abklappert, sind geschlossen, niemand wirkt
       daran interessiert, ihm zu helfen. Die technische Herausforderung wird zum
       Auslöser einer Reihe absurder Begegnungen. Etwa mit dem alten Don Heber
       (Héctor Herrera), der verspricht, das Auto wieder in Gang zu bringen und
       darüber erst mal in der Hängematte einschläft. Oder mit dem jungen
       Punkmädchen, das ein Ersatzteillager hütet, aber von Autodingen nicht die
       geringste Ahnung hat.
       
       Lieber wäre sie Sängerin. Juan wird bei ihr übernachten, aber auch das ist
       nur das Ergebnis einer Verkettung von Unabsichtlichkeiten. Für einen kurzen
       Moment scheint die Möglichkeit auf, dass Juan mit ihr eine eigene Familie
       gründet, seinem Zuhause den Rücken kehrt, wo der kleine Bruder sich im Zelt
       und die Mutter im Badezimmer eingeschlossen hat.
       
       Aber Juan hat begriffen, dass bei Mutter und Bruder sein Platz ist, dass er
       schon Teil einer Familie ist, um die er sich nun zu kümmern hat. Wieder ist
       es der Bruce-Lee-Fan, der die entscheidenden Worte findet: "Es ist
       unmöglich, solange du denkst, es sei unmöglich."
       
       "Lake Tahoe" ist ein Film, der von der Schwierigkeit des Loslassens
       erzählt, zuerst nur in Andeutungen, nebenbei, bis man plötzlich bemerkt,
       dass man sich schon die ganze Zeit über mitten in der Trauer befunden hat:
       Autos, die "Renascimiento", Wiedergeburt, heißen, werden in Werkstätten
       geflickt. Die Wunden, die der Tod des Vaters hinterlässt, brauchen länger
       zum Heilen.
       
       "Lake Tahoe". Regie: Fernando Eimbcke. Mit Diego Cataño, Héctor Herrera.
       Mexiko, 2008, 85 Min.
       
       10 Feb 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietmar Kammerer
       
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