# taz.de -- Von Strickpullis und Turnschuhen: Kratzpulli, halbgar
       
       > Nonkonformistisch zu sein, war mal schwer. Dafür war man leicht zu
       > erkennen. Nun wollen alle sich so zeigen - ätzend!
       
 (IMG) Bild: Der berühmteste Strickpullover der Revolte: Ringelträger Dutschke.
       
       Es gibt sie noch, die Angepassten. Wenn man dem Schuhhändler glauben darf,
       erkennt man sie am Inhalt des Schuhschranks. So ein Konformist, der dem
       Dresscode von Banken und Kanzleien unterliegt, braucht mindestens je ein
       Paar von folgenden Schuhen: schwarzer, glatter Derby ohne aufgesetzte
       Kappen; schwarzer, glatter Derby oder Oxford mit gerader aufgesetzter
       Vorderkappe; schwarzer Brogue oder Halfbrogue; sowie dunkelbrauner Brogue
       oder Chukka mit dezenter Gummisohle.
       
       Das Problem ist: Spätestens bei der Krawatte ist Schluss. Wenn heute die
       Führungsmitglieder des Bertelsmannkonzerns - alles Männer - gemeinsam ohne
       Krawatten für Fotografen posieren, wie Mitte Dezember in Berlin, was heißt
       das dann? Dass etwa beim Bertelsmannkonzern, dessen Schlüsselwort das
       Phantom Wachstum ist, besonders modern und unkonventionell gedacht wird,
       was mit dem Foto vielleicht suggeriert werden soll? Oder eher, dass man auf
       textile Zeichen nicht so leicht hereinfallen darf?
       
       Zeichen haben ihre fixe Kraft, zugeordnet werden zu können, eingebüßt. Wo
       war zuletzt eine schwarze Krawatte zu sehen? In einem Gitarrenrockclub,
       nachts um halb drei? Na bitte.
       
       Es muss einst einfach gewesen sein, sich textil zu positionieren, zumindest
       kann es den Nachgeborenen in einem romantisch motivierten Rückblick
       manchmal so vorkommen. Pierre Bourdieu hat in einer Studie gezeigt, wie
       Abgrenzungen durch Geschmacksurteile markiert werden: "Geschmack
       klassifiziert, und zwar den Klassifizierenden selbst."
       
       Achtundsechziger klassifizierten sich per unkonventionellem Auftretens. Je
       rhizomartig wuchernder die Bärte, kratziger die Pullis, desto schärfer
       fühlte sich der Protest an. War es nicht so? Vielleicht kann man die Grünen
       als das berühmteste Beispiel heranziehen. Als sie in die ersten Parlamente
       einzogen, da strickten sie während der Debatten. Joschka Fischer wurde zu
       Karrierebeginn in Turnschuhen vereidigt. Sie trugen das Jahr 1968 noch in
       den Achtzigern mit sich herum, sichtbar für jeden, und sie gingen ganz
       schön auf den Keks damit.
       
       Achtundsechziger mögen den Nonkonformismus nicht erfunden haben. Vor ihnen
       haben auch schon die Halbstarken, die Rocker, die Beatniks und andere, die
       sich gegen einen als starrsinnig empfundenen Mainstream wandten, mit
       äußerlichen Symbolen der Unangepasstheit Politik gemacht. Aber es waren die
       Achtundsechziger, die daraus besonders lärmend den Anspruch eines Umsturzes
       ableiteten.
       
       Nonkonformismus war ein Gesamtkunstwerk, ein Masterplan, der sich aus
       politischem Engagement, ästhetischer Neuorientierung und körperlicher
       Unverblümtheit speiste - was aber zusammengehörte. Man konnte sich, nach
       allem, was man so hört, nackt ausziehen, alte Klamotten auftragen, sich wie
       Fritz Teufel einen Adventskranz auf den Kopf setzen, Bärte stehen lassen,
       querbeet durch die Landschaft vögeln, einerlei - für eine kurze Zeit galt
       das alles als ganz besonders politisch.
       
       Textilien waren nicht mit einer Wagenladung voller möglicher Bedeutungen
       besetzt - Nonkonformismus war in vielen Fällen noch ein weitgehend
       eindeutiges Statement: Turnschuhe im Parlament, Jeans in der Oper, lange
       Haare, zerrissene Jeans sowieso. Will man ungefähr sicher gehen, am
       Türsteher einer Promidisko vorbei gelassen zu werden, braucht man
       Lifestylejeans. Keine Classic Jeans - sondern solche mit vielen
       Vintagewaschungen und irren destroyed stitchings, aufwändig selbst
       hergestellt. "Wer Lifestylejeans trägt", sagt die Verkäuferin,
       "demonstriert Modebewusstsein." Oha.
       
       Jeans ist also immer noch nicht gleich Jeans. Was von der ästhetischen
       Rebellion der Achtundsechziger aber blieb und sich durchsetzte, ist das
       Konzept des gefühlten Nonkonformismus. Die politisch-textile Synthese der
       Unangepasstheit dagegen, die die Achtundsechziger herstellten, hat sich
       weitgehend in Luft aufgelöst. Was sich auch daran erkennen lässt, auf einer
       linken Kundgebung nicht einmal mehr ansatzweise erkennen zu können, wer
       hier wohl Demonstrant ist und wer nur schaulustig.
       
       Der während der Achtundsechzigerunruhen mit heute undenkbar anmutendem
       Vokabular propagierte Umsturz dessen, was Guy Debord "die Selbstherrschaft
       der zu einem Status unverantwortlicher Souveränität gelangten
       Warenwirtschaft" nannte, ist missglückt. Jedes Zeichen des Protests wird
       heute umgehend vereinnahmt, als Ikone der Differenz in die Industrie
       eingespeist und von der Stange weg verscherbelt. Protest Wear wird in
       Windeseile zum Markenchic. Neonazis haben sich das Che-Guevara-Motiv
       angeeignet, Modedesigner längst das Punkkonzept für die Stange ausgeweidet.
       Wer aus politischen Motiven fair gehandelte Kleidung trägt und wer diese
       nur erwirbt, weil es einfach die besten Nickipullover sind, muss offen
       bleiben.
       
       Via Textil eine politische Haltung zu demonstrieren, ist schwer geworden,
       auch wenn sich immer noch genügend Leute beim Otto-Versand einkleiden,
       wogegen selbstverständlich ohnehin nichts spricht. Denn Protest ist geil -
       oder zumindest die Demonstration von Nonkonformismus. Fernsehsender,
       Hardwareentwickler, Getränkehersteller haben sich allenthalben der Idee
       zugewandt, das Individuelle wie das gute Gemeinsame zu preisen: Das scheint
       schon Ausweis des Rebellischen genug.
       
       ProSieben fordert inhaltlich etwas halbgar, aber mit großem Tatütata zum
       Klimaschutz auf. Apple bewarb seine Computer, als würde man die Welt
       retten, wenn man sie kaufte. Coca-Cola buchte für eine Werbetour den Sänger
       Adam Green, der einst aus dem New Yorker Antifolk kam - einer kleinen
       Bohème, die eine Gegenerzählung zum Amerika der Selbstzufriedenen
       formuliert und für die Verachtung des Etablierten stand.
       
       Nonkonformistische Ästhetik ist massentauglich geworden, wie man in Berlin
       am Prenzlauer Berg sieht, Zentrum einer Sammlungsbewegung für alle
       Individualisten. Eine unangepasste Gestalt gleicht in ihrem Anderssein der
       anderen. Man kann spüren, dass vom Nonkonformismus ein gewisser
       Konformitätszwang ausgeht. Ist vielleicht nicht schlimm, fällt halt auf.
       Aber mal nur so, nur für den Notfall: Wo sind eigentlich die Kratzpullis?
       
       27 Dec 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Raab
       
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