# taz.de -- Heavy Metal-Doku: So macht Landwirtschaft Spaß
       
       > Großbauer, Kaffeekränzchen, Headbanger: Die Doku "Full Metal Village"
       > porträtiert ein norddeutsches Dorf im Ausnahmezustand: Heavy
       > Metal-Festival.
       
 (IMG) Bild: Likörchen oder noch 'ne Runde Headbangen?
       
       Dieser Dokumentarfilm hat einen ähnlichen Effekt wie lange Ferien. Kommt
       man zurück, nimmt man die Umgebung vor der eigenen Haustür ganz anders
       wahr. Vertraut und doch besonders, bekannt und doch als Ereignis.
       
       Obwohl Sung-Hyung Cho schon seit 17 Jahren in Deutschland lebt, hat sich
       die aus Korea stammende Regisseurin den unverbrauchten, offenen Blick in
       "Full Metal Village" bewahrt. Wenn sie einer Bäuerin beim Ausgraben von
       Kartoffeln über die Schulter schaut, beobachtet, wie sorgfältig die Frau
       die Erde abschüttelt und dann die Ernte stolz in die Kamera hält, dann
       bekommt die Kartoffel ihre Kartoffeligkeit zurück.
       
       Es ist diese Vergegenwärtigung eigentlich alltäglicher Dinge, die sich als
       Bewegung durch den ganzen Film zieht. Natürlich weiß man einiges über das
       ländliche Leben in Deutschland, kennt die wahrhaft himmelschreiende
       Plattheit der norddeutschen Landschaft. Doch Sung-Hyung Chos Dokumentarfilm
       über das schleswig-holsteinische Dorf Wacken hilft dem Sehen sozusagen
       wieder auf die Sprünge. Plötzlich entdeckt man die erstaunlichen
       Perspektiven, die das flache Land bereithält. Und am Ende der Felder diesen
       Horizont, dessen unendliche Linie durch nichts, nichts, nichts unterbrochen
       wird. Keine Straßen, keine Häuser, nur vereinzelt ein paar Kühe und Bäume.
       Wenn der alte Bauer Plähn in diese Weite schaut, dann spürt man seine tiefe
       Verbundenheit mit dieser Landschaft. Genüsslich hat sich der hagere Mann
       auf einem Schemel niedergelassen und zieht an einer Zigarette. Noch dauert
       es einige Minuten, bis sich die Milch zum Kälberfüttern auf 40 Grad
       erwärmt, und Plähn erfreut sich an Pause und Aussicht. "So macht
       Landwirtschaft Spaß", sagt er und seufzt in sich hinein.
       
       Es ist ein achselzuckender Stoizismus, den sich die Bewohner des
       schleswig-holsteinischen Dorfes Wacken zwischen Arbeitslosigkeit und
       Landwirtschaftskrise zu eigen gemacht haben. In "Full Metal Village"
       porträtiert Sung-Hyung Cho die verschiedenen Ausformungen dieses
       Lebensgefühls. Ob die Regisseurin mit dem gewieften Multibauer Trede über
       Biogasanlagen spricht, sich zum Kaffeekränzchen-Tisch von Oma Irma gesellt
       oder deren sechzehnjähriger Enkelin Katrin beim Aerobic in einer umgebauten
       Scheune zuschaut, überall trifft sie auf Menschen, die aus jeder Situation
       ungerührt das Beste herausholen.
       
       Und warum nicht auch aus einem Heavy-Metal-Gipfeltreffen? Alljährlich
       findet es auf den Wiesen ihres Dorfes statt. Wenn zehntausende Fans von
       "Motörhead" und "Kreator" mit Nietenhalsbändern, schwer gepierct und in
       schwarzer Ledermontur ins Dorf einfallen, kommt die pragmatische Seite des
       Wackener Stoizismus zum Vorschein. Im Laufe der Jahre haben die Dörfler das
       Selbstverständnis eines Gastgebers entwickelt, der sich weltläufig auf die
       Vorlieben seiner eigenartigen Besucher einstellt. Damit Fans die
       Ortsschilder nicht als Souvenir mitnehmen, werden diese abmontiert,
       handlichere Modelle hingegen angefertigt und zum Verkauf angeboten. Flinke
       Hände schmieren im Akkord dicke Stullen mit Käse und Gürkchen, während der
       Supermarkt sein Sortiment auf die Nachfrage nach Bier und Dosenravioli
       reduziert. Beflissen weisen die Dörfler die aus allen Winkeln der Welt
       angereisten Gäste mit wenigen Brocken Englisch auf die Park- und
       Zeltplätze. In diesen Momenten tritt die Kamera stets einen Schritt zurück.
       Denn in der Totalen findet die Gelassenheit, mit der die Wackener die
       Satansanhänger- und Headbanger-Gemeinde empfangen, ihren angemessenen
       Rahmen. Tatsächlich begegnen sich vor dieser quasi ethnologischen Kamera
       nicht einfach nur zwei Welten, sondern zwei Stämme, Zivilisationen,
       Lebensformen.
       
       Veranstalter von "We are the world" und ähnlichen Großkonzerten mit
       Multikulti-Touch sollten bei Gelegenheit in Wacken vorbeischauen. Dann
       würden sie sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit das Crossover hier
       begangen wird. Die einheimische Blaskapelle gibt ein Ständchen, die Dörfler
       schunkeln. Und die Heavy-Metal-Fans begehen die Musik nach ihrer Art. Sie
       wackeln tranceartig mit den Köpfen und brüllen begeistert nach Zugabe.
       
       "Full Metal Village", Regie: Sung-Hyung Cho. Dokumentarfilm, Deutschland
       2006, 94 Min.
       
       19 Apr 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Leweke
       
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