# taz.de -- Dokumentarfilmerin über Nordkorea: „Meine Filme handeln vom Alltag“
       
       > Die südkoreanische Regisseurin Sung-Hyung Cho spricht über die Arbeit an
       > ihrem Dokumentarfilm „Meine Brüder und Schwestern im Norden“.
       
 (IMG) Bild: Sung-Hyung Cho mit nordkoreanischen Militärs in „Meine Brüder und Schwestern im Norden“
       
       taz: Frau Cho, für SüdkoreanerInnen ist es verboten, nach Nordkorea zu
       fahren, geschweige denn, dort einen Film zu drehen. Wie haben Sie das
       geschafft? 
       
       Sung-Hyung Cho: Dazu musste ich meine Staatsangehörigkeit ändern. Im August
       2012 bin ich Deutsche geworden. Im September des Jahres habe ich das erste
       Mal Nordkorea besucht.
       
       Als Deutsche konnten Sie sich um die Filmerlaubnis bemühen? Trotz Ihres
       Namens? 
       
       Der Kontakt ging immer über den deutschen Produzenten. Unsere
       Ansprechpartnerin, die Abteilungsleiterin der staatlichen Filmproduktion
       Korfilm, hat meinen Namen in unserer Korrespondenz nie erwähnt.
       Mittlerweile ist unsere Beziehung herzlicher geworden, anfangs waren sie
       sehr vorsichtig.
       
       Wieso, denken Sie, haben die sich drauf eingelassen? Sie wussten ja
       bestimmt, dass Sie in Südkorea geboren sind… 
       
       Weil ich in Deutschland bin. Ich hatte außerdem das Gefühl, dass die
       Nordkoreaner den Kontakt ins Ausland suchen. Das Land ist ja extrem
       isoliert, aber sie scheinen das ändern zu wollen. Außerdem muss das Team
       für die Drehgenehmigung zahlen, es kommen also Devisen rein. Und vielleicht
       war das Regime auch ein wenig neugierig darauf, was diese Südkoreanerin
       machen würde.
       
       Wie sah die Recherche aus? 
       
       Wir haben eine Liste mit möglichen Drehorten vorgelegt – die Hauptstadt,
       eine Hafenstadt und eine ländliche Gegend. Wir wollten Bauern,
       Fabrikarbeiterinnen, Intellektuelle und kleine Kinder treffen – eben
       verschiedene Altersstufen und Berufe.
       
       Sie zeigen unter anderem einen Kindergarten, in dem kleine Kinder diese
       Propagandalieder und -tänze lernen müssen, und jugendliche angehende
       Profifußballer… 
       
       Ja, die wurden uns vorgeschlagen, eigentlich wollte ich ein ganz kleines
       Kind porträtieren, mit der Hoffnung, die Eltern des Kindes irgendwo in der
       Provinz besuchen zu können. Aber das ging nicht.
       
       Der Treckerfahrer, der darüber sinniert, wie er dem großen Marshall mit
       seinem Beruf besser dienen kann – haben Sie ihm das geglaubt? Stimmt das? 
       
       Das ist schwer zu sagen. Nicht nur, weil die Menschen dort etwas verbergen
       würden, sondern auch, weil sie eben so früh dazu erzogen werden, sich zu
       inszenieren. Das ist wie eine zweite Haut, die sich nicht mehr abstreifen
       lässt. Darum weiß ich nicht, ob ich es als Show wahrnehmen soll oder als
       Wahrheit. Speziell bei dem Treckerfahrer hat man schon herauslesen können,
       dass er sich eine Antwort überlegt hat, die er meint, geben zu müssen.
       Traktor zu fahren ist etwas Besonderes in Nordkorea, ein Privileg. Er
       sprach auch immer von „meinem Traktor“, obwohl privates Besitztum dort ja
       nicht erlaubt ist. Ich glaube, er liebt es wirklich, Traktor zu fahren,
       aber ob er das macht, um dem Führer zu dienen – das weiß ich nicht.
       
       Taten Ihnen die Menschen leid? 
       
       Ja. Schon. Auch, weil sie mit uns drehen mussten – sie hatten ja keine
       Wahl. Aber vor allem wegen ihres Kampfes um die tägliche Existenz, um genug
       zu essen zu haben und so weiter. Doch das ist mein Blick – ob es für sie
       auch so schlimm ist, kann ich nicht sagen.
       
       Angeblich dürfen nordkoreanische Frauen nicht Fahrrad fahren… 
       
       Das stimmt nicht! Das ist mal wieder ein Fehler in der Berichterstattung.
       Das Fahrrad ist ja Verkehrsmittel Nummer Eins. Dennoch: Weil der
       Konfuzianismus so stark in der Gesellschaft verankert ist, sind Männer auf
       jeden Fall höher gestellt als Frauen. So wie etwa in Saudi-Arabien ist es
       aber nicht. Es gibt etliche starke Frauen, die auch Machtfunktionen ausüben
       – die Chefin der Textilfirma, mit der wir gedreht haben, ist zum Beispiel
       auch diejenige, die immer mit ausländischen Firmen verhandelt.
       
       Gab es Verbote direkt beim Filmen? 
       
       Klar! Produzent und Kameramann verspürten zum Beispiel einmal starke
       Sehnsucht nach einem Apfel, und im Hotel gab es keinen. Zu unserem
       Erstaunen haben sich unsere Aufpasser entschlossen, uns einen Gefallen zu
       tun: Sie sind mit uns im Auto in ein Viertel gefahren, in das Ausländer
       eigentlich nicht hineinkommen. Dort gab es Wohnblöcke, und in der Mitte
       standen Baracken. Die Bewohner hatten da Beete angelegt, um etwas Essbares
       anbauen zu können. An einer Kreuzung haben wir gestoppt, die Aufpasser
       haben das Fenster runtergekurbelt und von ein paar Tanten und Onkel mit
       Bauchläden eine Tüte Äpfel gekauft – das war der Schwarzmarkt, den durften
       wir natürlich nicht filmen. So sind wir auch später an eine Tüte Gebäck
       gekommen.
       
       Haben die Aufpasser mit Ihnen über Privates geredet? 
       
       Nein. Als unsere Zwangsfreundschaft allerdings schon eine Weile bestand,
       hat eine Aufpasserin erzählt, dass ihre Großeltern aus Busan kommen, woher
       auch meine Familie stammt. Ich habe dann im Busan-Dialekt mit ihr
       gesprochen, und sie hat sich wahnsinnig gefreut. Ich war aber geschockt,
       weil wir Südkoreaner immer gelernt haben, dass es in Nordkorea ein
       Kastensystem gibt, und dass die Nachfahren von Südkoreanern ganz unten
       stehen. Aber sie war ja Abteilungschefin, und ihre Schwester leitet mehrere
       Restaurants – es scheint also Möglichkeiten zu geben, dieses System zu
       umgehen.
       
       Stimmt es denn, dass Strafe in Nordkorea vererbt wird? 
       
       Fakten kann ich dazu nicht liefern, kann es mir aber vorstellen. Das ist
       nämlich vor allem eine alte gesamtkoreanische Tradition, die Verwandtschaft
       bis zum achten Grad zu eliminieren, die bestand 500 Jahre.
       
       Sie mussten den Film vor der Veröffentlichung vorlegen. Was hat die
       Regierung dazu gesagt? 
       
       Das Material hatten sie während des Drehs schon gecheckt. Am Film hatten
       sie zu meinem Erstaunen außer verwackelten Führerbildern nichts zu
       beanstanden. Es gab im Vorfeld große Aufregung, weil ich den Film
       kommentieren wollte, anders als angekündigt. Vor diesem Kommentar hatten
       sie Angst. Ich habe ihnen den Text geschickt, und die Antwort war: „Ich
       habe herauslesen können, wie du dir den Kopf zerbrochen hast.“
       
       Verstehen die Nordkoreaner die Kritik, die Ironie, die Sie durch Schnitt
       und Bildauswahl mitgeben, etwa bei diesem Konzert mit Propagandaliedern? 
       
       Nein, glaube ich nicht. Außerdem sind sie Schlimmeres gewöhnt.
       
       Die Themen Menschenrechte oder Strafvollzug lassen Sie im Film aus … 
       
       Das machen ja viele andere schon, von außen. Aber ich wollte etwas Neues
       über Nordkorea erfahren. Für mich hilft es den Leuten mehr, wenn ich sie
       kennenlerne, erfahre, wie der Bauer lebt, wie das Militärsystem
       funktioniert, dass in nordkoreanischen Fabriken Kleidung für den
       amerikanischen Markt hergestellt wird – diese Erkenntnisse sind für mich
       wertvoller.
       
       Aber es gibt dort ja die unmenschlichen Camps, die Atomwaffen. 
       
       Die Amerikaner haben die meisten Atomwaffen, danach kommen die Russen. Und
       es gibt jede Menge Filme über diese Länder, die andere Dinge als
       Menschenrechtsverletzungen thematisieren. Die meisten Filme über Nordkorea
       handeln dagegen davon, und sind dazu noch auf Vermutungen aufgebaut.
       
       Es bleiben dennoch Menschenrechtsverletzungen. 
       
       Ja, aber es gibt überall Menschenrechtsverletzungen, und meine Filme
       handeln immer vom Alltag, ich habe noch nie einen politischen Film gemacht.
       Warum sollte ich das also bei Nordkorea tun? Weil das Land als das absolut
       Böse angesehen wird? Das Feindbild Nordkorea ist sehr ideologisch geprägt.
       Wieso berichtet man nicht über die Menschenrechtsverletzungen in
       Saudi-Arabien?
       
       Das tut man doch. Und, genau wie über Nordkorea, noch viel zu wenig. 
       
       Das sehe ich anders! Über Nordkorea wird viel Bullshit verbreitet, ohne die
       Fakten zu kennen. Solange dieses Feindbild besteht, wird das Land weiter
       isoliert. Ich denke, wir müssen das Land differenziert betrachten, es auf
       die Weltbühne holen, damit sich das Regime ändert und es der Bevölkerung
       besser geht.
       
       Mit dem Diktator Kim Jong Un verhandeln? 
       
       Wenn man den Frieden will – warum schließt man keinen Nichtangriffspakt,
       keinen Friedensvertrag mit Nordkorea? Die Amerikaner weigern sich – warum?
       Weil die USA ihre Vormachtstellung gegenüber China behalten will. Die USA
       brauchen Nordkorea als Vorwand für ihre militärische Präsenz in Fernost.
       Nordkorea will ja immer Zweiergespräche mit den USA, aber die USA sagen
       Nein. Schrecklicherweise äußert ausgerechnet Donald Trump Interesse.
       Vielleicht würde er sich gut mit Kim Jong Un verstehen?!
       
       14 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jenni Zylka
       
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