# taz.de -- Koreanischer Film „Die Taschendiebin“: Komplott unter japanischer Besatzung
       
       > Park Chan-wook erzählt vom komplexen Plan eines Heiratsschwindlers. Dabei
       > kombiniert er Gothic-Elemente mit lesbischem Begehren.
       
 (IMG) Bild: Verstehen sich sehr gut: Lady Hideko (Kim Min-hee) und ihr Kammermädchen Sookee (Kim Tae-ri)
       
       Strömender Regen verwandelt die Straße zu Schlamm. Dessen unbeeindruckt
       knallt eine Einheit der japanischen Armee ihre Stiefel in den Schlamm der
       Straße, verschwindet um die Ecke und jagt aus dem Off eine Gruppe
       koreanischer Kinder davon. Im Davonrennen reißen die Kinder beinahe eine
       junge Frau, einen Regenschirm in der Hand, ein Kleinkind auf dem Arm, um.
       
       Die junge Frau wendet sich und geht auf zwei Frauen zu, die gemeinsam mit
       einem Mann unter einem Vordach warten, vier weitere Kleinkinder auf den
       Armen. Die ältere der beiden Frauen unter dem Vordach steckt der jungen
       Frau eine mit einem Schmetterling geschmückte Haarnadel ins Haar und nimmt
       das Kleinkind entgegen. Die jüngere Frau unter dem Vordach weint. „Es hätte
       ich sein sollen, ich hätte in das Haus des Japaners gehen sollen.“
       
       Eine Abschiedsszene, im Korea der 1930er Jahren unter japanischer
       Kolonialherrschaft. Kaum vorstellbar, dass die Eröffnungsszene von Park
       Chan-wooks aktuellem Film, „Die Taschendiebin“, bei Zuschauern in Asien
       nicht Erinnerungen an die Zwangsprostitution unter japanischer Herrschaft
       abruft.
       
       Doch Sookee, die junge Frau, nimmt aus einem anderen Grund Abschied. Die
       junge Frau ist in einer Familie von Kleinkriminellen aufgewachsen. Eine der
       Einnahmequellen besteht darin, Waisenkinder aufzuziehen und an die
       japanischen Kolonialherren zu verkaufen. Eines Tages kommt ein
       Heiratsschwindler zu ihrer Familie und beauftragt Sookee, in das Haus eines
       japanophilen Koreaners zu gehen.
       
       ## Fälschungen rarer Bücher
       
       Sookee soll als Hausmädchen der japanischen Nichte des Koreaners auftreten
       und dem Heiratsschwindler so den Weg an das Vermögen der Nichte ebnen. Das
       Gelände ist bereits sondiert: Unter dem Namen „Graf Fujiwara“ fertigt der
       Heiratsschwindler schon seit einiger Zeit für den Onkel Fälschungen rarer
       Bücher aus dessen Bibliothek an, die dieser an japanische Adlige verkauft.
       
       Ein Auto bringt Sookee hinaus aufs Land zu einem Anwesen, dass japanische
       und englische Landhausarchitektur vereint und inmitten des realen Grauens
       der japanischen Herrschaft über Korea die Tradition der viktorianischen
       Gothic Novel anklingen lässt. Äußerlich fügt sich Sookee in ihre Rolle als
       Hausmädchen, nur in einigen inneren Monologen wird ihre Beteiligung an dem
       Plan des Heiratsschwindlers präsent gehalten.
       
       Der Plan scheint zu funktionieren: Als „Graf Fujiwara“ zu Besuch auf das
       Anwesen kommt, scheint die Nichte froh, ihrem widerwärtigen Alltag zu
       entkommen, in dem sie von ihrem Onkel gezwungen wird, seinen Gästen
       pornografische Literatur vorzulesen.
       
       ## Gegenwelt zur patriarchalen Gewalt
       
       Unterdessen stellt sich zwischen den Frauen eine Intimität ein, die die
       Pläne des Heiratsschwindlers verkomplizieren. In der Nähe der zwei Frauen,
       in deren Begehren füreinander, scheint eine Gegenwelt zur patriarchalen
       Gewalt auf, die die beiden umgibt.
       
       Der südkoreanische Starregisseur Park Chan-wook folgt in „Die
       Taschendiebin“ der dreiteiligen Struktur und den groben Zügen der Erzählung
       von Sarah Waters Roman „Solange du lügst“. Schon Waters Roman durchwob die
       Handlung um den Heiratsschwindler und sexuelle Dekadenz mit einer für
       Waters Romane typischen lesbischen Liebesgeschichte.
       
       Indem Park diese Handlung vom viktorianischen England ins Korea der 1930er
       Jahre verlegt, gibt er dieser Geschichte eine Wendung, die „Die
       Taschendiebin“ an Filme über den Faschismus aus dem europäischen Kino der
       1970er Jahre annähert (man denke an Bertoluccis „Der große Irrtum“ oder
       Pasolinis notorischen „Die 120 Tage von Sodom“).
       
       Doch Park verharrt in „Die Taschendiebin“ nicht bei schwülstig-schönen
       Bildern, sondern nutzt die betörenden Bilder zwischen Viktoranismus und
       Naturhorrorfilm als Kontrapunkt zur selbstbefreienden Explosion des
       Begehrens, die die japanisch-koreanische Zeitgeschichte des 20.
       Jahrhunderts hinwegfegt.
       
       5 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Tietke
       
       ## TAGS
       
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