# taz.de -- Doku-Film über Schule in Nordkorea: Kolchose mit Kitschfaktor
       
       > Die Simulation von Realität verlangt Enthusiasmus. Wie der russische
       > Regisseur Vitaly Mansky in Nordkorea „Im Strahl der Sonne“ drehen konnte.
       
 (IMG) Bild: Um die Wette strahlen: Zin Mi und eine Blume.
       
       Nordkorea ist in der geostrategisch und technologisch nahezu flächendeckend
       vernetzten Welt das letzte große politische Rätsel des 21. Jahrhundert.
       Bilder aus dem kommunistischen Modellstaat existieren kaum, und die
       wenigen, die an die Öffentlichkeit gelangen, zeigen immer dasselbe: absurde
       Repräsentationsbauten in Pjöngjang, überdimensionale Kim-Il-Sung-Statuen
       und Bilder auf öffentlichen Plätzen und ein gesunder Volkskörper, der sich
       in gemeinschaftlichen Zeremonien zu Ornamenten der Masse formiert.
       
       Was der Westen über Nordkorea weiß, ist so überschaubar und gleichzeitig
       ideologisch determiniert, dass der politische Konflikt eigene
       Meta-Narrative (der Stuxnet-Angriff auf nordkoreanische Atomanlagen, der
       Sony-Hack 2014) hervorbringt.
       
       Der russische Dokumentarfilmer Vitaly Mansky hat sich schon in früheren
       Arbeiten mit der Frage beschäftigt, wie das Leben der einfachen Bevölkerung
       unter totalitären Regimen aussieht. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte er
       zunächst auch mit seinem Film „Im Strahl der Sonne“, den er über den
       Zeitraum eines Jahres in Nordkorea drehte. Doch die ursprüngliche Idee, ein
       Langzeitporträt über den Alltag eines jungen Mädchens und dessen Familie zu
       drehen, erwies sich schnell als illusorisch.
       
       ## Undurchsichtiges Casting
       
       Fast ein Jahr musste er auf die Drehgenehmigung warten, über den Antrag
       wurde auf höchster politischer Ebene entschieden. Sein Gesuch war wohl
       nicht zuletzt deswegen erfolgreich, weil Russland noch diplomatische
       Beziehungen zu Nordkorea unterhält. Dennoch standen Mansky und seine Crew
       während der Dreharbeiten unter behördlicher Aufsicht.
       
       Man hätte etwa gern mehr über den Casting-Prozess erfahren, in dem
       schließlich die achtjährige Zin Mi (von der Partei) ausgewählt wurde. Doch
       vom Auswahlverfahren existieren keine Aufnahmen. Es sind prinzipiell keine
       Bilder erlaubt, die nicht im vorab genehmigten Drehbuch stehen: Seine
       Gastgeber präsentieren Mansky während seines Aufenthalts eine notdürftig
       fabrizierte Realität. Zin Mi besucht natürlich die beste Schule des Landes,
       ihre Eltern arbeiten in staatlichen Vorzeigebetrieben.
       
       Die gesellschaftliche Vision, die dieser Selbstinszenierung zugrunde liegt,
       ist einigermaßen frappierend. Den offiziellen Aufnahmen nach zu urteilen
       imaginiert sich die politische Führung ihr Land als eine charmant
       rückständige Großkolchose mit heimatfilmverdächtigem Kitschfaktor, in der
       junge Familien an reich gedeckten Esstischen die Vorzüge des koreanischen
       Nationalgerichts Kimchi in wie auswendig gelernten Dialogen aufsagen.
       
       ## Auftritt der Schattenregie
       
       Mansky ist es dennoch gelungen, erstaunliches Material über diese mit
       bürokratischer Pedanterie inszenierte Realitätssimulation zusammenzutragen.
       Die offizielle Version konterkariert er mit heimlichen Aufnahmen, die die
       gesellschaftliche Funktion der kommunistischen Partei in Nordkorea in
       mitunter kuriosen Details offenlegen. Da treten während der Dreharbeiten
       plötzlich Abgesandte der Partei – buchstäblich eine „Schattenregie“ –
       hinter Türen und Vorhängen hervor, um den sichtlich verängstigten
       Laiendarstellern mit spürbarer Ungeduld mehr Enthusiasmus vor der Kamera
       einzutrichtern.
       
       Diese „Regieanweisungen“ montiert Mansky in der Abendessen-Szene
       hintereinander. Die unterschiedlichen Takes ergeben dabei ein
       aufschlussreiches „Making-of“-Material, das die Durchdringung der
       staatlichen Strukturen bis in die Privatsphäre entlarvt.
       
       ## Hass auf den Klassenfeind
       
       Ähnlich verhält es sich im Schulunterricht. Dass die Erziehung der
       Staatsdoktrin unterliegt, versteht sich von selbst. Dennoch überrascht es,
       wie unverhohlen rassistisch selbst die Jüngsten auf den Hass auf den
       japanischen Klassenfeind eingeschworen werden. Dafür kann sich ein kleiner
       Junge bei den ausschweifenden Schlachtbeschreibungen eines wie ein
       Weihnachtsbaum mit Orden behängten Kriegsveterans kaum wachhalten. Die
       Kamera zeigt, wie ihm immer wieder die Augen zufallen.
       
       Solche Beobachtungen abseits der staatlichen Kontrolle fungieren als
       subtile Kommentare des 52-jährigen Mansky, der sich ansonsten angenehm
       zurückhält. Hin und wieder erläutert der Regisseur die Umstände einer
       Szene, doch die meiste Zeit lässt er die Einstellungen wirken. So vermeidet
       „Im Strahl der Sonne“ eine plakative und seinerseits ideologisch
       aufgeladene Polemik.
       
       Für den staatlichen Propagandaapparat interessiert sich Vitaly Mansky nur
       so weit, wie er den Alltag der Menschen beeinträchtigt. Einmal filmt er aus
       dem Fenster seines Hotels und bekommt einen kurzen Einblick in das
       ungeordnete gesellschaftliche Leben auf den Straßen Pjöngjangs, wenn gerade
       keine Kamera läuft. Im Kontext des Films wirken die Bilder wie Aufnahmen
       einer Drehpause.
       
       10 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Busche
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Nordkorea
 (DIR) Dokumentarfilm
 (DIR) Dokumentarfilm
 (DIR) Dokumentarfilm
 (DIR) Spielfilmdebüt
 (DIR) Nordkorea
 (DIR) Nordkorea
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ukraine-Filmreihe im Kino Krokodil: Entfremdung im Osten
       
       Das Kino Krokodil zeigt in der Reihe „Мир Вам – Peace to You All“
       Dokumentarfilme aus der Ukraine. Sie entstandne nach der Annexion der Krim.
       
 (DIR) Dokumentarfilmerin über Nordkorea: „Meine Filme handeln vom Alltag“
       
       Die südkoreanische Regisseurin Sung-Hyung Cho spricht über die Arbeit an
       ihrem Dokumentarfilm „Meine Brüder und Schwestern im Norden“.
       
 (DIR) Schweizer Jugenddrama „Chrieg“: Gestählte Körper als Panzer
       
       Der Schweizer Regisseur Simon Jaquemet zeigt in seinem Spielfilmdebüt
       „Chrieg“ eine Welt voller entfesselter Gewalt vor Heidi-Idylle.
       
 (DIR) Doku nordkoreanische DDR-Familien: Eine Fußnote des kalten Kriegs
       
       Die Filmemacherin Sung-Hyung Cho erzählt in „Verliebt, verlobt, verloren“
       von Familien, die zwischen Nordkorea und der DDR zerrissen wurden.
       
 (DIR) Regisseurin Sung-hyung über Nordkorea: „Alle wollen die Wiedervereinigung“
       
       Die südkoreanische Regisseurin Cho Sung-hyung durfte in Nordkorea Aufnahmen
       für einen Dokumentarfilm machen. Es war der erste Dreh dieser Art.