# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Kulturerbe der Grausamkeit
       
       > Palmyra steht für fantastische Ruinen – aber für was noch? Erfreulich
       > ist, dass nicht mehr alle Deutschen glauben, Merkel kümmere die
       > NSA-Affäre.
       
 (IMG) Bild: Eine völlig erschöpfte Familie wird provisorisch versorgt. Ihr Schicksal ist offen.
       
       Palmyra, eine der ältesten und schönsten antiken Stätten der Welt ist seit
       gestern in den Händen von Daa‘sh. Also der Terrorgruppe, der es wie keiner
       Dschihadistenvereinigung vor ihr gelingt, militärische Siege einzufahren
       und die erorberten Gebiete mittels Massaker und Folter dauerhaft zu
       kontrollieren. Die hier respektvoll „Islamischer Staat“ genannte
       Terrormiliz wütet auch gegen Kulturgüter. Daher droht dem 2000 Jahre alten
       Palmyra nun die Zerstörung.
       
       Eine Kleinigkeit aber fehlt in diesem Schreckensszenario, über das seit
       Wochen berichtet wird. Nämlich der Hinweis darauf, dass sich in Palmyra
       nicht nur fantastische Ruinen befinden, sondern auch das schlimmste
       Gefängnis des Assad-Regimes.
       
       Bashar al-Assad hatte die von seinem Vater geschaffene Horrorstätte als
       Zugeständnis an die Bevölkerung schließen lassen, doch als die friedlichen
       Protesten gegen ihn begannen, ließ er das Tamur-Gefängnis 2011 wieder
       öffnen. Seitdem verhungern dort jährlich vermutlich Tausende Menschen,
       werden gefoltert und hingerichtet. Wieviele Häftlinge Daash dort aktuell
       noch vorfand, ist trotz vieler Gerüchte unklar.
       
       Gesichert ist nur die Leichtfertigkeit, mit der in hiesigen Diskussionen
       sterbende Menschen vergessen werden, zugunsten von Bildungsstätten für
       westliche Besucher. Das ist atemberaubend, aber kein Wunder.
       
       ## Todenhöfer spricht Englisch, also fast
       
       Die Ungeheuerlichkeit geht auf das Konto von schnöden Lobbyisten, die sich
       als Journalisten ausgeben und von Medienanstalten und Publikum gemeinsam
       als solche hofiert werden. Jürgen Todenhöfer ist unter ihnen sicher ein
       sehr unappetittliches Beispiel. Das zeigen die über das libanesische
       Webportal geleakten Mails an die „Prinzessin des Nahen Ostens“ einmal mehr.
       
       Der Ex-CDU-Politiker labelt seine (Macht-) Geilheit als edles Bemühen,
       Bashar al-Assad zur Demokratie überreden zu wollen. „He is the only leader
       who can give your country a modern democratic and stable future without
       foreign dominance. And this is what we have to make clear to the world. And
       to your people.“
       
       Wie genau er das den zigtausend Gefängnisinsassen und den Angehörigen der
       Hunderttausenden von Fassbomben getöteten SyrerInnen klar machen möchte,
       lässt er galant offen. Wichtiger ist ihm, die damals 21-Jährige mit
       zukünftigen Eskapaden mit ihm zu umwerben. Und er erreicht sein Ziel. Der
       Diktator gibt seinem Adepten das Interview und darf unwidersprochen die
       Proteste als Akt des Terrorismus bezeichnen und damit den 2012 beginnenden
       Massenmord an der syrischen Bevölkerung legitimieren. Hinterher schämt sich
       die ARD ein bisschen. Eine so offene Verhöhnung journalistischer Standards
       war die Anstalt selbst im Umgang mit Diktatoren nicht gewöhnt. Just diese
       wurden mit Todenhöfer dann erfolgreich gesenkt.
       
       ## Angela Davis hat Recht
       
       Aber nicht in allein in Hinsicht auf Syrien zeigt sich die noch immer nicht
       ansatzweise bearbeitete westliche Verrohung, die des Nahen Ostens ist hier
       indessen längst bekannt. Wieder mahnt die UN, und wieder hören die
       Westmächte weg. Und Russland und China sowieso. Von „treibenden Särgen“ in
       Südostasien ist die Rede, zwischen 5.000 bis 8.000 Menschen sind seit
       Monaten auf maroden Booten gefangen und treiben ohne Hilfe auf dem Meer.
       Die Behörden in Malaysia, Thailand und Indonesien verweigerten bislang die
       Hilfe. Und auch alle anderen. Niemand will die in Mynmar (früher Burma) und
       Bangladesh verfolgten Muslime aufnehmen. Nur die Fischer von Aceh retten
       die Ertrinkenden freiwillig. Die Behörden justieren nun etwas nach.
       
       Die Flüchtlingskatastrophe ist ein Kampf von Millionen ums Überleben,
       obgleich die mehr oder minder Wohlhabenden dieser Welt das Todesurteil über
       sie längst verhängt haben. Sie ignorieren das Existenzrecht der Armen hart;
       den Rest besorgen Meer und Sonne. Die Ikone der amerikanischen
       Bürgerrechtsbewegung, Angela Davis übertreibt daher nicht, wenn sie die
       Flüchtlingsbewegungen als zentral für die Weichenstellung im 21.
       Jahrhundert bezeichnet.
       
       ## Abflauende Liebe
       
       Und in Deutschland? Pünktlich zu Pfingsten geht der Bahnstreik zu Ende, und
       Merkels Umfragewerte tendieren leicht nach unten. Nur 62 Prozent der
       Deutschen glauben, sie kümmere sich ausreichend um die NSA-Affäre. Wohl
       wahr. Langsam, langsam macht sich ein sanfter Verdruss breit über die
       Kanzlerin. Dabei verhält sie sich gegenwärtig nicht anders als in all den
       zehn Jahren ihrer Regentschaft. Sie hat einfach keine Vorstellung davon,
       wie einem übermächtigen Partner Zugeständnisse abgerungen werden können
       oder die Bevölkerung zu schützen wäre, wenn Interessen kollidieren.
       
       Es wäre schön, fiele ihre bislang so beliebte Nicht-Politik künftig noch
       tiefer in der Wählergunst. Etwas Nettes muss doch auch mal wieder
       passieren.
       
       23 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Südostasien
 (DIR) Palmyra
 (DIR) Weltkulturerbe
 (DIR) „Islamischer Staat“ (IS)
 (DIR) „Islamischer Staat“ (IS)
 (DIR) „Islamischer Staat“ (IS)
 (DIR) IS-Miliz
 (DIR) Syrien
 (DIR) Malaysia
 (DIR) BND-Affäre
 (DIR) Rohingya
 (DIR) Geheimdienst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) IS wirbt um Gefolgsleute: „Teil einer großen guten Sache sein“
       
       Die Propaganda-Maschine des IS könnte sogar versierte PR-Firmen im Westen
       beeindrucken. Aber hinter dem Erfolg steckt mehr als nur eine gute
       Produktion.
       
 (DIR) Vom IS zerstörte Kunst: Geschichte wird repariert
       
       Die iranische Künstlerin Allahyari druckt die vom IS zerstörten Kunstwerke
       in 3-D aus. Künftige Generationen können sich so erinnern.
       
 (DIR) Grenzposten zwischen Irak und Syrien: IS-Miliz erobert Al-Walid
       
       Der Islamische Staat hat in Palmyra mindestens 400 Menschen getötet – und
       einen strategisch wichtigen Grenzposten unter seine Kontrolle gebracht.
       
 (DIR) Ausbreitung der IS-Miliz: Sorge um Palmyra
       
       Die syrische Stadt ist unter Kontrolle des IS. Offenbar hat sich die Miliz
       in einem Museum verschanzt und führt Enthauptungen durch. Der Irak startet
       Gegenoffensiven.
       
 (DIR) Ausbreitung der IS-Miliz: „Weiser Plan“ zur Rettung gesucht
       
       Die IS-Miliz beherrschen nun das halbe Staatsgebiet von Syrien und ein
       Drittel des Irak. Und der IS kontrolliert nun mit Palmyra einen wichtige
       Verkehrsknoten.
       
 (DIR) Malaysia beginnt Suche nach Flüchtlingen: Rettung angeordnet
       
       Malaysia setzt die Marine ein, um nach Bootsflüchtlingen zu suchen und sie
       an Land zu bringen. Bis zu 7.000 Menschen sollen so gerettet werden.
       
 (DIR) Aufklärung der BND-Affäre: Hauptsache, die sehen das nicht selbst
       
       Die GroKo will die Opposition wohl nicht mit heiklen Daten versorgen
       müssen. Ihre Idee: Ein unabhängiger Sonderermittler.
       
 (DIR) Hilfe für Bootsflüchtlinge in Südostasien: Menschlichkeit ist stärker als Polizei
       
       Fischer haben vor Indonesien Hunderte Menschen gerettet und versorgt. Damit
       widersetzten sie sich den Warnungen der Behörden.
       
 (DIR) Debatte BND-NSA-Skandal: Jeder Verdacht wird entsorgt
       
       Der Skandal um die Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst und
       US-Geheimdienst NSA zieht größere Kreise – ohne weitere Folgen.