# taz.de -- Kolumne German Angst: Im Land der Missverständnisse
       
       > Warum Witze mit Auschwitz keine sind. Und warum man für sie in
       > Deutschland dennoch jede Menge Follower bekommt.
       
 (IMG) Bild: Noch so ein dauermissverstandener Autor: Martin Walser.
       
       „Vergasen sollte man diese Mistviecher. Wisst ihr noch, wie die Juden nach
       Auschwitz transportiert wurden? Man sollte die Zugführer alle dorthin
       bringen.“ So hatte in der vergangenen Woche Julien Sewering auf seinem
       YouTube-Kanal [1][den Streik der GDL kommentiert.] Für jene, die das
       überhaupt nicht lustig fanden, erklärte er: War nicht wortwörtlich so
       gemeint, sondern „schwarzer Humor“. Offensichtlich kommt eine ganze
       Generation ohne Humor aus, denn der Typ hat 1,2 Millionen AbonnentInnen.
       
       Vor Jahren habe ich mal ein Praktikum bei einem Magazin gemacht. Dort gab
       es eine Regel: Auschwitz wird nicht getrennt. Heraus kommt nämlich ein
       Ausch-Witz – und der ist immer schlecht. Man tut gut daran, sich nach
       dieser Regel zu richten. Der Witz über Auschwitz nämlich, genauso wie das
       Wortspiel mit „Vergasen“ (etwa das NPD-Plakat „Gas geben“), ist ohne
       doppelten Boden, ohne subtile Verstellung: primitiv, brutal, antisemitisch.
       Nicht witzig. Simple as that.
       
       Darum besteht Sewering darauf, missverstanden worden zu sein. Besteht auf
       das ironische Augenzwinkern. Dass er die Lokführer nach Auschwitz fahre,
       „ohne zu streiken“ – das sei die Pointe gewesen. Ach so! Es ging gar nicht
       um Auschwitz. Das muss man halt erst einmal erklärt bekommen.
       
       Überhaupt scheinen in Deutschland Leute, die sich über die Vergangenheit
       zur Gegenwart äußern, chronisch missverstanden zu werden. Martin Walser zum
       Beispiel.
       
       ## Standing Ovations
       
       Immer wieder wird der – ein Mann des Wortes – anders verstanden, als er
       selbst sich verstanden hatte. Vor drei Wochen erklärte er, seine Rede von
       der „Instrumentalisierung“ von Auschwitz 1998 in der Paulskirche könnte er
       heute „so nicht mehr halten“. (Muss er auch nicht, die Inhalte sind ja
       mittlerweile Konsens.) Er fühlte sich missverstanden.
       
       Komisch nur, dass er damals dafür Standing Ovations bekam; nur zwei
       Menschen blieben sitzen, Überlebende, ausgespart vom Schlussstrichluxus:
       Ida und Ignatz Bubis. Glaubt man Walser heute, hatten die ihn am meisten
       missverstanden. Und wo wir schon bei Walser sind: Kurz nach
       Rostock-Lichtenhagen erklärte er im Spiegel die Neonazis zu „Jugendlichen,
       die ihren Protest (?) kostümieren“. Ach so! Wir hatten die Codes derer
       missverstanden, die da Jagd auf Nichtdeutsche machten. Waren gar keine
       Nazis. Der Club der Missverstandenen ist für jeden offen.
       
       Kein Wunder also, dass sich die nächste Generation genauso aus der Affäre
       zieht. Die Selbstinszenierung der Hater, wie Sewering einer ist, als
       ironische Gesellschaftskritiker und chronisch Missverstandene jedenfalls
       ist eine alte Masche. Auch die behäbige Koketterie, mit der so getan wird,
       als sei man der erste Mensch auf Erden, der einen derben Spruch über
       Auschwitz gemacht hat – und nicht der Hunderttausendste.
       
       Und vielleicht muss man das deshalb einfach mal aufschreiben: Hey Leute,
       das stimmt gar nicht! Das haben schon eure Väter gemacht. Und eure Opas.
       Den „Judenwitz“ nämlich haben die Nazis erfunden, nicht ihr wart es. Und
       die hatten schon damals noch mehr Follower als JuliensBlog.
       
       26 May 2015
       
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