# taz.de -- Enthüllungen zu Merkel: Ich habe keine Ahnung
       
       > Dank Wikileaks wissen wir: Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel fühlte
       > sich „ratlos“ angesichts der Griechenland-Causa. Wie erleichternd.
       
 (IMG) Bild: Na? Mal wieder unentschlossen? Kein Problem, geht Merkel auch so.
       
       Ich habe keine Ahnung. Es fällt dieser Tage noch schwerer als sonst, das so
       deutlich hinzuschreiben. Ich. Habe. Keine. Ahnung. Ich habe weder
       Betriebswirtschaft studiert noch internationales Recht, ich bin kein
       Währungsexperte und auch nicht über Gebühr mit griechischer Innenpolitik
       vertraut.
       
       Zugleich bin ich umstellt von Leuten, die eine Ahnung haben. Die, mehr
       noch, alles genau wissen. Sie reden von rechts oder links in Talkshows
       hinein, schreiben in der SZ oder der FAZ ihre Kommentarspalten voll oder
       melden sich bei Facebook zu Wort.
       
       Teilweise sind das Leute, von denen ich überhaupt nicht ahnte, dass sie
       eine so große Ahnung haben von ökonomischen Zwängen und Zusammenhängen. Ich
       kann dann nur staunen, was die alles wissen.
       
       Ergeben lausche ich jeder Wortmeldung der Experten und denke: „Stimmt, da
       ist was dran!“ Und dann lese ich, was eine Expertin aus dem anderen Lager
       so meint, und denke: „Stimmt, da ist was dran!“ Mit diesem Gedanken trage
       ich mich dann so lange, bis ich wieder die gegenteilige Position eines
       Menschen höre, der auch eine Ahnung hat.
       
       So schwanke ich hin und her, was an meiner grundsätzlichen Meinung nichts
       ändert. Natürlich weiß ich, wovor ich mich als aufrechter Mensch zu ekeln
       habe und wem meine Sympathien gehören. Darum geht es aber nicht, auch wenn
       uns die allgemeine ideologische Mobilmachung das weismachen will.
       
       Es ginge doch darum, was man in einer „Gemeinschaft“ konkret machen oder
       bleiben lassen sollte, um die Folgen einer Katastrophe für die persönlich –
       nicht finanziell! – Betroffenen abzufedern. Was das ist? Keine Ahnung. Seit
       Donnerstag weiß ich, dass Angela Merkel auch keine Ahnung hat.
       
       ## „Ratlos“
       
       Nicht, dass ich das nicht längst geahnt hätte. Und doch nahm ich zu ihren
       Gunsten und meiner Beruhigung bisher an, die Kanzlerin leihe ihr Ohr den
       Besten der Besten. Referenten für Betriebswirtschaft und internationales
       Recht, promovierten Währungsexperten und habilitieren Spezialisten für
       griechische Innenpolitik, glühende Drähte zu Gott und der Welt.
       
       Jetzt erfahre ich dank Wikileaks, was US-Geheimdienste schon 2011 wussten,
       dass nämlich auch die mächtigste Politikerin Europas angesichts der
       Schuldenfrage Griechlands vor einem Berg von Zweifeln stand und
       wahrscheinlich noch steht – dass sie „ratlos“ ist, was zu tun sei.
       
       Nun stellt sich also heraus, dass unser Konvoi auf hoher See auf eine
       Sturmfront zuläuft, während auf der Brücke des Flaggschiffs der Kompass
       ausgefallen ist. Rechts der Admiralin steht ein Pulk von Ratgebern, der
       ruft: „Fahren Sie direkt rein, wir halten das aus!“ Links von ihr steht
       eine Gruppe von Spezialisten, die drängt: „Umfahren Sie das großräumig, um
       Himmels willen!“
       
       Und immer wieder wird sie von den Kapitänen benachbarter Schiffe angefunkt,
       aus dem Maschinenraum bedrängt, von den Besitzern der Fracht bequatscht,
       von Abordnungen besorgter Passagiere belagert und von der Lobby der
       Rettungsboothersteller angerufen. Jeder will was, alle haben sie Ahnung.
       Oder doch wenigstens Interessen.
       
       ## Stimmt auch
       
       Aus der Ferne sieht es so aus, als halte die europäische Flotille ruhig
       ihren Kurs. Dabei ist es die Ratlosigkeit auf der Brücke des dicksten aller
       Schiffe, die den ganzen Geleitzug in schweres Wetter führt. Auch wenn
       ohnehin angeschlagene Kutter dabei untergehen und es den Verband in alle
       Winde zerstreut. Hauptsache, die Schotten sind dicht, die Panoramafenster
       vernagelt und an Deck der großen Dampfer wird niemand allzu nass.
       
       Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand ratlos und damit
       auch planlos ist. Das ist menschlich, allzu menschlich. Wenn es allerdings
       die Chefin ist, die keine Ahnung hat, sollte sie vielleicht nicht Chefin
       sein.
       
       Gegenüber meiner Wohnung gibt es ein griechisches Café. Dort sitzen
       Griechen jeden Alters bis spät in die Nacht bei Kippen und Ouzo zusammen
       und diskutieren. Sie tun dies lautstark und fuchteln dabei mit den Armen.
       Manchmal scheint es, als brüllten sie sich gegenseitig an. Ich verstehe
       kein einziges Wort und weiß nicht, worüber sie sich aufregen. Ich habe da
       aber so eine Ahnung.
       
       2 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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