# taz.de -- Abstimmung über drittes Hilfspaket: Merkels geheime Lieblingsstrategie
       
       > Angela Merkel tut so, als seien die Unionsabgeordneten völlig frei in
       > ihrer Entscheidung. Sie hat die unsichtbare Machtausübung perfektioniert.
       
 (IMG) Bild: Merkel gibt am liebsten die wohlwollende Beobachterin.
       
       BERLIN taz | Ein Erfolgsgeheimnis dieser Kanzlerin ist ja, dass man gern
       vergisst, wofür sie verantwortlich ist. Angela Merkel liebt es, ihre Macht
       so diskret auszuüben, als passierten Dinge quasi von allein. Als sei sie
       eher wohlwollende Beobachterin, aber nicht die wichtigste Akteurin.
       
       Hat Volker Kauder bei der Griechenland-Abstimmung in Merkels Sinne gedroht?
       Ob dieser bösen Frage im ZDF-Sommerinterview verteidigt die Kanzlerin ihren
       Fraktionschef mit warmen Worten. Er sei jemand, „der sich unendlich viele
       Gedanken um Meinungen von Abgeordneten macht“, barmte Merkel am
       Sonntagabend. „Volker Kauder weiß wie ich, dass wir keinen Fraktionszwang
       haben und dass jeder frei ist in seinem Abstimmungsverhalten.“ Es ging
       einem fast das Herz auf bei der Vorstellung, Kauder weine nachts ins
       Kopfkissen, weil ihn die Gewissensnöte seiner Leute so umtrieben.
       
       Die Unionsabgeordneten, so Merkels Botschaft, können bei der
       Bundestagsabstimmung über das dritte Hilfspaket für Griechenland am
       Mittwoch tun und lassen, was sie wollen. Vergessen schien, dass Merkels
       Vertrauter den Nein-Sagern per Interview angekündigt hatte, dass sie nicht
       im Haushalts- oder Europaausschuss bleiben könnten. Vergessen schien die
       Wut, die sich danach in den Reihen der Zweifler breitmachte. Und vergessen
       schien, dass es an diesem Mittwoch um Merkels Macht geht und um nichts
       anderes.
       
       Beschädigt es die Kanzlerin, dass eine erkleckliche Anzahl ihrer
       Abgeordneten gegen das Paket stimmen wird? Müsste sie gar zurücktreten,
       falls die Mehrheit ihrer Fraktion gegen die Griechenland-Hilfe stimmt, wie
       es SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider vorsorglich anmerkt?
       
       ## Merkel lässt die Dinge kleiner erscheinen
       
       Um diese Fragen für sich günstig zu beantworten, greift Merkel zu ihrer
       Lieblingsstrategie: Sie lässt die Dinge kleiner erscheinen, als sie sind.
       So deutet sie Kauders Drohung erst mal geschickt um. Aus zwei Paragrafen
       der Parlamentsgeschäftsordnung zitierend, folgert sie, dass ein Nein-Sager
       in einem Ausschuss nicht seine Meinung im Namen der Fraktion kundtun könne,
       wenn 80 Prozent der Abgeordneten zu einem anderen Ergebnis kämen. Das ist
       richtig, aber banal. Auf diesen Sachverhalt habe Kauder lediglich
       hingewiesen, „ohne auf einzelne Abgeordnete Druck auszuüben“.
       
       Wirklich? Ein machtpolitisches Manöver schrumpft in Merkels Welt zu einer
       Detailfrage. Dabei verschweigt sie das Offensichtliche. Natürlich hängen
       Karrierechancen von Parlamentariern von ihrem Verhalten gegenüber der
       Fraktionsführung ab. Kauder besitzt viele Instrumente, um zu
       disziplinieren. Er empfiehlt für begehrte Posten in Ausschüssen oder im
       Vorstand – oder eben nicht. Er gewährt Unterstützung für eine Idee – oder
       eben nicht. Er kommt beim Geburtstag persönlich im Wahlkreis vorbei, er
       legt eine Auslandsreise nahe, er gesteht Redezeit im Parlament zu. Oder
       eben nicht.
       
       Merkel verniedlicht solche Mechanismen, um von Kauders einzigem Fehler
       abzulenken: dass er diese Machtmittel öffentlich gemacht hat, was tunlichst
       zu vermeiden ist. Wie viele Unionsabgeordnete nun tatsächlich gegen die
       86-Milliarden-Euro-Hilfen in Kombination mit härtesten Sparauflagen
       stimmen, ist nicht genau vorherzusagen. Als es Mitte Juli um die Aufnahme
       von Verhandlungen mit Athen ging, waren 60 dagegen. Mehrheitsgefährdend war
       diese Zahl nicht. Die CDU/CSU-Fraktion hat 311 Abgeordnete, die Große
       Koalition hat 504 von 631 Sitzen im Parlament.
       
       ## Kauder, der glücklose Zuchtmeister
       
       Rebellentum ist also für Unionsabgeordnete im Moment billig zu haben, sie
       stürzen mit ihrem Mut nichts und niemanden. Merkel käme nämlich im Traum
       nicht darauf, die Abstimmung mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen.
       
       Von interessierter Seite werden zwar Gerüchte gestreut, dass über 100
       Unionsleute gegen ihre eigene Kanzlerin stimmen könnten. Ein solches
       Szenario wäre ein echtes Problem für Merkel und Kauder, es ist aber extrem
       unwahrscheinlich.
       
       Erstens hat die griechische Regierung seit Mitte Juli brutale Maßnahmen
       durchs Parlament gebracht, sich also Merkels Doktrin untergeordnet.Zweitens
       wissen die Abgeordneten genau, dass Merkel das Paket persönlich bei dem
       Gipfeltreffen mit den anderen Staatschefs verhandelt hat. Der Machterhalt
       steht aber bei der Union traditionell über inhaltlichen Bedenken, das ist
       ein Naturgesetz.
       
       Und nicht zuletzt wäre da noch Volker Kauder, der glücklose Zuchtmeister.
       Indem er sich durch seine Unbedachtheit zum Buhmann machte, gibt er Merkel
       die Chance, sich als freigeistige Chefin zu präsentieren, die jede
       abseitige Meinung achtet. Ähnlich lief es jüngst mit Finanzminister
       Schäuble. Jener drohte den Griechen so kalt mit dem Grexit, dass das von
       Merkel kurz darauf persönlich verhandelte, neoliberale Zwangskorsett fast
       sanft wirkte.
       
       Eines muss man Merkel wirklich zugutehalten: Auf ihre Männer kann sie sich
       verlassen.
       
       17 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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