# taz.de -- Sommer-Davos in China: Im Reich der schwindenden Mittel
       
       > Auf dem Weltwirtschaftsforum in Dalian stemmt sich Chinas Führung gegen
       > eine drohende Wirtschaftskrise. Optimismus ist das Wort der Stunde.
       
 (IMG) Bild: Chinas winkender Premier: Li Keqiang vor ausländischen Wirtschaftsvertretern.
       
       DALIAN taz | Für Wang Wei sollte auf dem Weltwirtschaftsforum inDalian
       eigentlich ein Traum in Erfüllung gehen. Vor zwei Jahren hatte der
       32-Jährige eine Internetplattform gegründet, auf der Kleinunternehmer für
       eine geringe Vermittlungsgebühr ihre Maschinen zum Verleih anbieten können.
       Mit Erfolg: Mehr als 1.000 Anbieter sind auf seiner Webseite registriert.
       Einige Zehntausend hätten das Angebot genutzt.
       
       Reich sei er mit diesem Unternehmen zwar bislang nicht geworden, sagt er.
       Aber immerhin biete er sechs Angestellten Arbeit. Nun ist er auf dem
       Weltwirtschaftsforum in Dalian, im Nordosten Chinas. Als „New Champion“
       wird Wang Wei auf dem Forum für seine Geschäftsidee gefeiert, als
       „Innovator“ und die „Zukunft Chinas“. Doch Freude will bei ihm nicht so
       recht aufkommen. „Die Stimmung ist gedrückt“, sagte er. Viele der
       Veranstaltungen seien schlecht besucht. „Ich hatte mir mehr interessante
       Kontakte erhofft.“
       
       Derzeit steht es nicht gut um Chinas Wirtschaft. Die Exportzahlen sind im
       August um 5 Prozent eingebrochen. Die Industrieproduktion geht ebenfalls
       zurück. Erzeugerpreise fallen mit einem Minus von fast 6 Prozent gar auf
       den tiefsten Wert seit mehr als sechs Jahren – ein deutliches Zeichen für
       Überkapazitäten. Diese Werte schüren Ängste vor einer Deflation.
       
       Nachdem die chinesischen Aktienmärkte in den vergangenen Wochen fast 40
       Prozent an Wert verloren, mehren sich nun weltweit die Zweifel, ob China
       das selbst gesteckte Ziel von 7 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr
       wirklich erreichen wird. Dabei handelt es sich bereits um den niedrigsten
       Wert seit mehr als 25 Jahren.
       
       ## Gedrückte Stimmung
       
       Die schlechten Daten drücken auch auf die Stimmung bei den Anwesenden auf
       dem Weltwirtschaftsforum in Dalian, veranstaltet von den gleichen
       Organisatoren, die auch das berühmte Weltwirtschaftsforum jedes Jahr im
       Februar im schweizerischen Davos abhalten. Die Chinesen waren stolz, als
       Wirtschaftsforums-Gründer Klaus Schwab vor neun Jahren auch einen
       chinesischen Ableger schuf, als Anerkennung für Chinas gewaltigen
       Wirtschaftsaufstieg der vorangegangenen 20 Jahre. Weil das Forum in China
       jedes Jahr im September stattfindet, heißt es auch Sommer-Davos.
       
       Chinas Premierminister Li Keqiang versucht vor Ort zu beschwichtigen. In
       einer mehr als einstündigen Rede am Donnerstag versicherte er, sein Land
       werde alles dafür tun, dass es zu keiner harten Landung komme. Zwar gebe es
       „Abwärtsrisiken“. Doch er verspricht: Sollte die Abwärtsbewegung außer
       Kontrolle geraten, sei seine Führung jederzeit in der Lage, die Wirtschaft
       zu stützen. „China ist keine Quelle für Risiken, sondern für Chancen.“
       
       Den rund 1.700 Wirtschaftsvertretern aus aller Welt dürften diese Worte
       Musik in den Ohren sein. Die Volksrepublik ist nach den USA die zweitgrößte
       Volkswirtschaft der Welt und derzeit die größte Handelsnation. Trotz der
       Abschwächung im ersten Halbjahr steht China nach wie vor für rund 30
       Prozent des weltweiten Wachstums.
       
       Sollte sich die chinesische Wirtschaft allerdings weiter schwächer werden,
       könnte das vor allem Länder treffen, die in den vergangenen Jahren viele
       Rohstoffe an das einstige Wirtschaftswunderland lieferten. Und auch
       Exportland Deutschland ist derzeit stark von Chinas weiterer
       wirtschaftlichen Entwicklung abhängig.
       
       ## Mittel zur Krisenbewältigung
       
       Welche Mittel hat China noch wirklich, um eine drohende Krise abzuwenden?
       
       Immer weniger, befürchten Ökonomen. Zwar verfügt die chinesische Führung
       auch weiter über eine Reihe von Instrumenten, mit denen sie mehr als andere
       Regierungen dieser Welt in der Lage ist, einen wirtschaftlichen
       Abwärtstrend umzukehren. China hat einen großen Staatssektor, die
       Zentralbank ist der Regierung unterstellt, und damit hat sie auch die
       Kontrolle über die Landeswährung, den Yuan.
       
       Li Daokui, Ökonom an der renommierten Tsinghua-Universität, wird auf einer
       Podiumsdiskussion in Dalian nicht müde zu betonen, dass sein Land zudem
       nicht im Ausland verschuldet ist. Mit den zugleich größten Devisenbeständen
       der Welt sei China nicht auf Geldgeber der internationalen Kapitalmärkte
       angewiesen.
       
       Doch auch er muss zugeben: Mit dem Bau von unzähligen Flughäfen,
       Hochgeschwindigkeitsstrecken, Autobahnen und glitzernden Wolkenkratzern im
       ganzen Land hat die Staatsführung in den vergangenen Jahren sehr viel
       Pulver verschossen. Für einige Jahre brachte diese Ausgabenpolitik zwar die
       erwünschten zweistelligen Wachstumseffekte, allerdings auch hohe Schulden
       vor allem bei den Provinz- und Lokalregierungen.
       
       Und auch zahlreiche Unternehmen haben es mit den Investitionen übertrieben
       und stecken nun tief in den Miesen. Die Gesamtschulden des Landes belaufen
       sich inzwischen auf über 290 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.
       Zum Vergleich: Beim Nachbarn und Schuldenkönig Japan ist allein der Staat
       bereits mit 250 Prozent verschuldet.
       
       Mit finanzpolitischen Mitteln versucht die Regierung derzeit erneut, die
       Konjunktur zu stützen. So ließ sie im August den Yuan kräftig abwerten, was
       chinesische Waren im Ausland billiger macht und die Ausfuhr ankurbeln soll.
       Ein positiver Effekt für die chinesische Exportwirtschaft ist aber bislang
       ausgeblieben. Zugleich hat sich mit der Abwertung der Abfluss von Kapital
       massiv beschleunigt. Zahlen der Zentralbank zufolge sind die
       Währungsreserven des Landes allein im August um rund 95 Milliarden
       US-Dollar geschrumpft.
       
       ## Abschottung der Märkte
       
       In China ansässige europäische Firmen beobachten zudem eine weitere
       Entwicklung, die ihnen große Sorgen bereitet: eine zunehmende Abschottung
       der Märkte. Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking, weist
       darauf hin, dass die chinesische Führung noch vor Kurzem versprochen habe,
       Marktkräften in dem immer noch von Staatskapitalismus geprägten Land eine
       größere Rolle zukommen zu lassen. Das habe unter europäischen Firmen große
       Hoffnungen geweckt.
       
       „Doch stattdessen sorgen wir uns jetzt etwa im Bereich der Staatsaufträge
       über Protektionismus.“ Nur durch eine weitere Öffnung werde es der
       chinesischen Führung gelingen, neue Kräfte in der Wirtschaft freizusetzen,
       ist Wuttke überzeugt.
       
       Der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, teilt in Dalian
       hingegen den Optimismus des chinesischen Premiers. „Ich habe China schon
       viele Male vor scheinbar unüberwindbaren Aufgaben gesehen“, sagt der
       Wirtschaftsprofessor. Und trotzdem hätten die Verantwortlichen an ihrer
       Vision eines prosperierenden Chinas festgehalten. Auch dieses Mal werde es
       der chinesischen Führung gelingen, Lösungen zu finden.
       
       Jungunternehmer Wang Wei hat Äußerungen dieser Art von ausländischen
       China-Optimisten schon häufig gehört. „Nur ganz ehrlich“, sagt er. „Wenn es
       mit Chinas Wirtschaft wirklich bergab geht, sind sie die ersten, die das
       Land verlassen.“ Diese Möglichkeit habe er nicht.
       
       11 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Lee
       
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