# taz.de -- Die Deutschen und der „Heimat“-Begriff: Das Fremde als Bedrohung
       
       > Der sehr deutsche Begriff „Heimat“ klingt harmlos. Doch progressiv
       > besetzt werden kann er nicht. Seine Funktionsweise ist die der
       > Ausgrenzung.
       
 (IMG) Bild: Die besonders Heimatverbundenen: Neonazi-Aufkleber an einem Fenster in Saalfeld-Gorndorf (Archivbild, 1998).
       
       Thüringer Heimatschutz – so nannte sich eine Neonazibande in den
       Neunzigerjahren, in der auch die späteren NSU-Terroristen aktiv waren; die
       NPD bezeichnete sich jahrelang als „die soziale Heimatpartei“; und auch
       andere Rechtsradikale nennen sich stolz „heimattreu“. In Dresden
       verkündeten Pegida-Anhänger bei ihren Demonstrationen auf Plakaten:
       „Heimatschutz statt Islamisierung!“ Und die in deutschnationalen Kreisen
       beliebte Band Frei.Wild textete, das „Heimatland“ sei das „Herzstück dieser
       Welt“, auf das „schon unsere Ahnen mächtig stolz“ gewesen seien: „Kurz
       gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsere Heimat
       ist.“
       
       Hinter diesen Verwendungen des Begriffs steht ein gemeinsames Verständnis
       von Heimat als einmalige und unveränderliche Identität und Herkunft. Heimat
       kann man sich demnach nicht aussuchen, vielmehr existiert eine
       schicksalhafte Verbindung zwischen dem Boden, einer starren Kultur sowie
       den Menschen, die dort geboren wurden.
       
       Aus einer solchen Definition von Heimat lässt sich leicht die Ausgrenzung
       von zahlreichen Menschengruppen ableiten. Das neurechte Magazin Blaue
       Narzisse schrieb über Pegida und die Proteste „besorgter Bürger“ in
       Sachsen: „Jeder Fremde, jeder in einer unbekannten Sprache aufgefangene
       Wortfetzen führt vor Augen, wie unsere Heimat nie wieder sein wird.“
       Vielleicht sei es diese „eigentümliche Melancholie“, die die Menschen auf
       die Straße bringe.
       
       Das Fremde wird also als Bedrohung der Heimat definiert: Wer hier nicht
       geboren wurde, gehört nicht dazu. Dieses Denkmuster kann auch auf
       Religionen übertragen werden, etwa wenn die NPD „Heimatschutz statt
       Islamisierung“ propagiert.
       
       ## Einwanderung als Bedrohung
       
       Zum Feind wird auch, wer den Fetisch um die Heimat ablehnt: Kosmopolitische
       Ideen stehen im Gegensatz zum starren Heimatbegriff der Rechten. In der
       Blauen Narzisse hieß es etwa, derzeit stehe im Kern der „weitestgehend
       homogene Nationalstaat zur Debatte“. An dessen Stelle soll angeblich „ein
       Weltbürgerschaftsrecht treten, das es jedem Menschen erlaubt, dort zu
       wohnen, wo er es möchte“.
       
       Der neurechten Ideologie zufolge sind dadurch auch die gefährdet, die ihre
       Heimat gar nicht verlassen. So gehe es etwa in der Flüchtlingsfrage „nicht
       allein darum, wo fremde Menschen überall leben dürfen“, sondern „das
       Heimatloswerden der Fremden und unsere eigene Entwurzelung“ seien Themen,
       die zusammengehörten.
       
       Einwanderung wird als Bedrohung dargestellt, weil dadurch das Prinzip der
       starren Verwurzelung von Mensch und Heimat aufgehoben werde. Daraus folgern
       die Neurechten: „Wir befinden uns also auf dem Weg in eine Gesellschaft,
       die unbegrenzte Flexibilität von jedem fordert. Niemand soll mehr eine
       Heimat haben.“ Nach dieser Logik gilt: Wer sich einmal von seiner Heimat
       löst, kann keine neue mehr finden.
       
       Auch wer die Heimat kritisiert, wird nicht geduldet; Rechtsradikale
       skandieren gerne: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland
       verlassen!“ Der rechtsextreme „Heimatschutz“ fordert zudem, dass Menschen,
       die nicht zur imaginären Heimatgemeinschaft gehören, vertrieben werden
       sollen. Wie Heimat und die dazugehörige Ausgrenzung dabei definiert werden,
       bleibt zweitrangig: Es funktioniert über Blut und Boden – wie bei den Nazis
       –, über Raum oder auch über Kultur und Sprache, wie es bei der Neuen
       Rechten der Fall ist.
       
       ## Ein diffuser Begriff
       
       Heimat, dieser Begriff ist umgangssprachlich zumeist positiv besetzt. Er
       klingt harmlos – und genau deswegen taucht er immer wieder auf, wenn sich
       Rechtsradikale moderat präsentieren wollen. In ihrer Definition vereint er
       die Grundannahmen aller rechten, völkischen Ideologien, wonach nicht das
       Individuum als frei handelndes Subjekt im Mittelpunkt steht, sondern eine
       angeblich abgeschlossene, homogene und schicksalhafte Gemeinschaft, der
       sich der einzelne Mensch unterzuordnen habe.
       
       Aber was ist Heimat überhaupt? Der Begriff bleibt diffus. Seien es
       Erinnerungen an die Kindheit oder Jugend, Hinweise auf den eigenen Dialekt
       oder regionale kulturelle Eigenschaften: Heimat bietet vor allem eine
       Projektionsfläche für – häufig melancholische – Gefühle, ohne konkret
       werden zu müssen. „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl!“, sang
       Herbert Grönemeyer. Das trifft es wohl ganz gut.
       
       Aber Gefühle sind nicht automatisch positiv, vor allem die Politik sollte
       sich nicht von ihnen leiten lassen. Zudem ist Heimat ein sehr deutsches
       Konzept: Weder findet sich ein Plural des Begriffs, noch gibt es in anderen
       Sprachen ein Äquivalent. Die englischen Wörter home oder homeland verfügen
       eben nicht über die mystische, ursprüngliche, naturverbundene und
       vorindustrielle Konnotation des deutschen Begriffs.
       
       Heimat ist nicht zukunftsgewandt, sondern rückwärtsbezogen. Der Status des
       Heimatvertriebenen wird sogar über die Generationen weitergereicht. Den
       Begriff der „Neuen Heimat“ nutzten die Nazis für Wohnungsbaugesellschaften,
       um den Mythos der Heimat auch in neue Siedlungen zu verpflanzen. Dem
       rechten Heimatbegriff zufolge haben Menschen Wurzeln, die sie an einem Ort
       halten – und keine Beine, mit denen sie im Leben und in der Welt
       weiterkommen und sich verändern können.
       
       ## Einfallstor für Antisemitismus
       
       All dies zeigt: Bei Heimat geht es stets um vergangene Zeiten, um
       Erinnerungen und Gefühle. Viele Progressive betrachten das Konzept Heimat
       daher mit großer Skepsis. Der Psychoanalytiker Paul Parin merkte an:
       „Heimat dient dazu, Lücken auszufüllen, unerträgliche Traumata aufzufangen,
       seelische Brüche zu überbrücken, die Seele wieder ganz zu machen. Je
       schlimmer es um einen Menschen bestellt ist, je brüchiger sein Selbstgefühl
       ist, desto nötiger hat er oder sie Heimatgefühle, die wir darum eine Plombe
       für das Selbstgefühl nennen.“
       
       Die Konstruktion von echter Bodenständigkeit und diffusen Heimatgefühlen
       als politischer Wert kann auch zum Einfallstor für Antisemitismus werden,
       nämlich wenn die natürliche Heimat, die schicksalhafte Verwurzelung des
       Menschen, als Gegenkonzept zu demjenigen aufgebaut wird, der überall in der
       Welt zu Hause ist: gegen den Kosmopoliten oder auch gegen das „ortlose
       Finanzkapital“, so wie es in der regressiven Kapitalismuskritik heißt. All
       diese Vorurteile gegen den Heimatlosen, den Kosmopolitischen und das
       „raffende Kapital“ sind bis heute vor allem im Antisemitismus heimisch.
       
       „Sobald ‚der Mensch‘ darauf befragt wird, ob er Heimat braucht, rücken wir
       ihn in bedenkliche Nähe zu den postmodernen Suchern, Vermittlern und
       Kämpfern um Identität, mit der heute jede nationale, völkische oder sonst
       wie kollektive Abgrenzung oder Ausgrenzung legitimiert, jeder beliebige
       Herrschafts- und Machtanspruch begründet, schließlich jede mitmenschliche
       Solidarität infrage gestellt wird“, warnt Paul Parin.
       
       Der Idee einer einzigen unveränderlichen Heimat widerspricht auch der
       Schriftsteller Klaus Theweleit, der anmerkte, dass mehrfache Identitäten
       „immer zu mehr Kompetenz“ führten. Das könne jeder bei sich selbst
       beobachten: „Ich bin ein Flüchtlingskind aus Ostpreußen und hatte dann
       meine neue, meine zweite schleswig-holsteinische Heimat – inklusive
       plattdüütsch schnacken. Als Jugendlicher wurde dann englische Beatmusik
       meine kulturelle Heimat. Ich kenne also mindestens drei verschiedene
       Heimaten.“
       
       ## Ängste analysieren
       
       Eine Diskussion darüber, wie das alte und sehr deutsche Konzept Heimat
       progressiv besetzt werden könnte, wie sie derzeit beispielsweise in der SPD
       geführt wird, löst kein einziges Problem. Sinnvoller wäre es zu erörtern,
       wie noch mehr Menschen in Verhältnissen leben können, in denen sie zu
       starken Individuen reifen, die sich ihrer selbst bewusst und offen
       gegenüber Neuem sind – und keine diffusen Gefühle benötigen, um sich
       notdürftig eine Identität zu konstruieren.
       
       Ängste vor Fremden und Sehnsüchte nach Heimat in der Bevölkerung ernst zu
       nehmen bedeutet nicht, sie einfach zu legitimieren oder sich von ihnen
       leiten zu lassen, sondern zu analysieren, was deren Ursachen sind.
       Heimattümelei und Identitätsbildung durch Ausgrenzung sind in der Rechten
       beheimatet. In der Linken sollten hingegen praktische progressive Politik,
       Offenheit sowie die Bereitschaft, sich stets zu verändern, zu Hause sein.
       
       7 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patrick Gensing
       
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