# taz.de -- Vorwurf von Amnesty International: EU finanziert Flüchtlingshaftzentren
       
       > Amnesty International wirft den türkischen Behörden vor, Syrer und Iraker
       > zurück in den Krieg zu schicken. Ein EU-Aktionsplan sei schuld.
       
 (IMG) Bild: Die türkische Küstenwache registriert neu angekommene syrische Flüchtlinge.
       
       ISTANBUL taz | Der zwischen der EU und der Türkei vereinbarte Aktionsplan,
       mit dem die „illegale Einreise“ von Flüchtlingen in die EU verhindert
       werden soll, ist erst zwei Wochen alt. Doch schon zeigt sich sein
       hässliches Gesicht. Wie Amnesty International (AI) in einen am Donnerstag
       vorgelegten Report mit dem Titel „[1][Europas Türhüter]“ berichtet, ist die
       Türkei auf Druck und mit finanzieller Unterstützung der EU dazu
       übergegangen, Flüchtlinge zwangsweise nach Syrien und in den Irak
       zurückzuschicken. Das verstößt gegen internationales Recht.
       
       Nachdem die EU seit Mitte September mit der Türkei den Aktionsplan
       diskutiert, nehmen das türkische Militär und die Küstenwache immer häufiger
       Flüchtlinge fest, die zuvor ungehindert zu den griechischen Inseln gezogen
       waren. Anschließend werden die Festgenommenen in Auffanglager gebracht oder
       in den türkischen Städten abgesetzt, von wo aus sie zuvor zur Grenze
       aufgebrochen waren.
       
       Bei einem EU-Türkei-Gipfel war am 30. Oktober vereinbart worden, dass die
       Türkei künftig „illegale Grenzübertritte“ nach Griechenland oder Bulgarien
       „soweit möglich“ verhindert und im Gegenzug 3 Milliarden Euro erhält, um
       die Flüchtlinge in der Türkei besser versorgen zu können.
       
       Wie Amnesty nun von vielen Flüchtlingen erfahren hat, beginnen die
       türkischen Behörden aber vermehrt damit, die Geflohenen zu zwingen, wieder
       nach Syrien oder in den Irak zurückzukehren. Dafür werden sie in
       Aufnahmezentren entlang der syrischen und irakischen Grenze gebracht, die
       in Wahrheit „Haftzentren“ sind. In diesen „Haftzentren“, so die
       Asyl-Expertin von Amnesty, Wiebke Judith, „stellt man die Leute vor die
       Wahl, entweder in die Länder, aus denen sie geflohen sind, zurückzukehren,
       oder auf unbestimmt Zeit in Haft zu bleiben“.
       
       ## 2,2 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei
       
       Nach AI-Informationen weiß die EU nicht nur von diesen Haftzentren, sondern
       finanziert sie sogar. Aus Kreisen der EU-Vertretung in Ankara habe man
       drüber hinaus erfahren, dass sechs weitere Aufnahmelager, deren Errichtung
       die EU finanzieren will, „in Wahrheit auch Haftzentren sind“.
       
       Durch den AI-Bericht wird klarer, was es bedeutet, die EU-Außengrenze gegen
       „illegale Einreisen“ abzuschotten. Die Türkei wird mit Geld und der
       Aussicht auf die Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche dazu gebracht,
       Flüchtlinge daran zu hindern, nach Griechenland überzusetzen. Da in der
       Türkei bereits 2,2 Millionen syrische Flüchtlinge leben, geht die Regierung
       nun auf Druck der Europäischen Union dazu über, einen Teil der Flüchtlinge
       in den Krieg zurückzuschicken.
       
       Darüber hinaus versucht Ankara schon seit einiger Zeit, die Grenze zu
       Syrien für Flüchtlinge dichtzumachen. Wie Human Rights Watch (HRW) bereits
       vor einigen Wochen berichtete, werden Flüchtlinge vom türkischen Militär
       direkt an der Grenze abgefangen und mit vorgehaltenem Gewehr gezwungen,
       wieder umzukehren.
       
       Ursprünglich war im Aktionsplan vorgesehen, dass die Türkei durch die EU
       entlastet wird, indem diese größere Kontingente von Flüchtlingen legal nach
       Europa einreisen lässt. Doch davon ist immer weniger die Rede. Im Vorfeld
       des am Donnerstag und Freitag stattfindenden EU-Gipfels will sich eine
       Gruppe von acht EU-Ländern treffen, um darüber zu beraten.
       
       Doch statt von den ursprünglich angedachten 500.000 Flüchtlingen ist jetzt
       nur noch von einem Kontingent von allenfalls 50.000 Menschen die Rede – und
       das auch nur dann, wenn die Türkei die „illegale Einreise“ verlässlich
       gestoppt hat, wie der österreichische Kanzler Werner Faymann sagte.
       
       16 Dec 2015
       
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 (DIR) [1] https://www.amnesty.org/en/documents/eur44/3022/2015/en/
       
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 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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