# taz.de -- Britischer Terror in Nordirland: Manche waren sogar Serienmörder
       
       > Noch in den 90er Jahren operierten Geheimdienste ohne Regeln und
       > Rücksicht. Bis heute werden die Taten vertuscht und geleugnet.
       
 (IMG) Bild: Aufmarsch der probritischen Loyalisten in der Shankill Road in Belfast im Jahre 2011.
       
       DUBLIN taz | Es hört sich an wie eine Räuberpistole. Als die
       Irisch-Republikanische Armee (IRA) am 23. Oktober 1993 das Fischgeschäft
       Frizzels auf der protestantischen Shankill Road in Nordirlands Hauptstadt
       Belfast in die Luft sprengte, kostete das die Organisation eine Menge
       Sympathien.
       
       Zehn Menschen, darunter einer der Attentäter, waren bei dem Anschlag ums
       Leben gekommen. Das eigentliche Angriffsziel soll die Wohnung über dem
       Laden gewesen sein, wo eine protestantisch-loyalistische Terrorgruppe
       regelmäßig ihre Sitzungen abhielt.
       
       Der Mann, der diesen Anschlag und zahlreiche weitere organisiert hatte, war
       Kommandant der Ardoyne-Brigade der IRA. Gleichzeitig arbeitete er für den
       Geheimdienst der nordirischen Polizei, die über die Attentatspläne
       informiert war. Das geht aus Dokumenten hervor, die der Irish News
       vorliegen.
       
       Der Spitzel wird darin als „AA“ bezeichnet. Die Dokumente stammen aus dem
       Belfaster Polizeirevier Castlereagh, in dem die Polizei in den siebziger
       und achtziger Jahren Gefangene systematisch folterte, wie damalige
       Mitarbeiter vor sechs Jahren eingeräumt haben.
       
       ## Der Geheimdienst Ihrer Majestät war immer dabei
       
       Die IRA war 2001 in das Polzeirevier eingebrochen, benötigte aber fast ein
       Jahr, um die erbeuteten Dokumente zu entschlüsseln. Seit 2002 wusste sie,
       dass „AA“ für den Geheimdienst arbeitete. Er wurde von seinem Posten
       entfernt, aber nicht getötet, wie es die IRA sonst mit Agenten machte. Der
       heute 59-jährige lebt in West-Belfast.
       
       Dass der britische Inlandsgeheimdienst MI5, der Militärgeheimdienst und die
       nordirische Polizei mit protestantisch-loyalistischen Mordkommandos
       kooperierten und ihnen Waffen beschafften, ist bewiesen. Bekannt ist auch,
       dass einige IRA-Mitglieder für die Geheimdienste arbeiteten. Doch die nun
       von der Irish News veröffentlichten Indizien deuten darauf hin, dass die
       Geheimdienste beide Seiten gesteuert haben. Die Taten wurden von den
       Sicherheitskräften nicht nur gedeckt, sondern auch vertuscht.
       
       Und sie werden es bis heute. Vorige Woche beklagte Lordrichter Weir, der
       mit der Untersuchung von 56 Anschlägen in Nordirland betraut ist, dass die
       Ausreden des Verteidigungsministeriums und der Polizei „grotesk“ seien. Er
       fügte hinzu: „Sie werden auch durch ständige Wiederholungen nicht besser.“
       
       ## Die FRU spielte Gott
       
       Die frühere nordirische Polizeichefin Nuala O´Loan sagte, die Geheimdienste
       haben „außerhalb der Regeln“ operiert. „Aberhunderte sind gestorben, weil
       diese Leute nicht gestoppt wurden“, sagte sie. „Viele von ihnen waren
       Mörder, und manche waren Serienmörder.“ Nordirlands Polizeichef George
       Hamilton sagte jedoch, die Polizei habe keine Regeln verletzt: „Es gab gar
       keine Regeln.“
       
       Das galt vor allem für die „Force Research Unit“ (FRU), eine britische
       Spionageeinheit. „Die FRU spielte Gott“, sagte ein britischer Agent. So
       plante eine loyalistische Todesschwadron 1987, einen IRA-Mann zu
       erschießen, der aber als Agent für die FRU arbeitete. Deshalb lenkte ein
       anderer FRU-Agent die Aufmerksamkeit der Attentäter auf einen unbeteiligten
       Rentner, der ermordet wurde.
       
       Seit 2007 hat die FRU ihre Aktivitäten in den Irak verlegt. Die Agenten
       seien dafür ausgebildet, „abgebrühte Terroristen in Spione für die
       Koalition zu verwandeln“, mit Methoden, die in Nordirland entwickelt
       wurden. Ändern werde sich durch die Enthüllungen nichts, glaubt der
       nordirische Journalist Eamonn McCann: „Es geht nicht um ein paar
       schurkische Offiziere, sondern um einen Schurkenstaat.“
       
       1 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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