# taz.de -- Flüchtlinge mit Rückkehrwunsch: Kulturschock Deutschland
       
       > Auch Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive denken darüber nach,
       > Deutschland zu verlassen. Zwei Syrer wollen in die Türkei.
       
 (IMG) Bild: „Ich dachte, hier herrschen Gerechtigkeit und Ordnung.“ – Stattdessen herrscht Chaos am Lageso.
       
       BERLIN taz | Mohasen* lacht, sein Kumpel Mahmoud* stimmt mit ein, und ihr
       Lachen klingt bitter. „No“, sagt Mohasen, „no!“ Nein, er würde Freunden und
       Verwandten in Syrien und der Türkei, wenn sie ihn am Telefon fragten, nicht
       mehr raten, nach Deutschland zu kommen.
       
       Mohasen und Mahmoud sind über die Balkanroute eingereist. Sie stammen aus
       Aleppo und Daraa, beides Städte im syrischen Kriegsgebiet. Die 22 und 24
       Jahre alten Männer sind das, was man Flüchtlinge „mit guter
       Bleibeperspektive“ nennt: Mohasen hat in Syrien Jura studiert, Mahmoud als
       Goldschmied gearbeitet. Sie sind erst seit einigen Monaten hier.
       
       „In Syrien hat man mir erzählt, hier in Deutschland bekäme man leicht eine
       Wohnung, eine Arbeit, könne studieren, alles“, sagt Mohasen, „daher bin ich
       hergekommen.“ Beide haben zwischen 3.000 und 3.500 Euro an Schleuser
       bezahlt. Tatsächlich aber landeten sie erst mal auf Feldbetten in einer
       Turnhalle in Berlin.
       
       Dort verbringen sie ihre Tage damit, im Landesamt für Gesundheit und
       Soziales (Lageso) um Unterhaltsgeld oder Krankenscheine anzustehen. „So
       hatte ich mir Deutschland nicht vorgestellt“, sagt Mohasen, „ich dachte,
       hier herrschen Gerechtigkeit und Ordnung.“ Derzeit hat er nicht mal genug
       Geld für Essen, das Amt kommt mit den Auszahlungen nicht hinterher.
       
       ## Fehlende Ausbildungszertifikate
       
       Mohasen möchte in Deutschland sein Jurastudium fortsetzen. Doch der Weg
       dahin kann Jahre dauern. Um regulär studieren zu können, muss er in der
       Regel als Flüchtling anerkannt sein, auf dem hohen C-1-Niveau Deutsch
       können und dann auch noch den strengen Numerus clausus in Jura überwinden,
       der auch für das Studienplatzkontingent der Nicht-EU-Ausländer gilt. Zudem
       muss er sein Studium wieder ganz von vorne anfangen.
       
       „Das deutsche Bildungssystem ist in Syrien nicht besonders gut bekannt“,
       sagt Ibrahim Alsayed, Berater in der deutsch-syrischen Beratungsinitiative
       „Salam“ in Berlin-Wedding. Auch das Ausbildungssystem sei hier ganz anders
       als in arabischen Ländern. „In Syrien sind Handwerker- meist
       Familienbetriebe“, berichtet Alsayed, „wenn der Vater Tischler ist, lernt
       der Sohn das Handwerk vom Vater und ist dann eben auch Tischler. Aber in
       Deutschland ist es anders, da braucht man ein Zertifikat.“
       
       Flüchtlinge, die in einem anerkannten Beruf arbeiten wollen, benötigen
       meist eine ein- bis zweijährige Vorbereitungszeit, um die Sprache zu lernen
       und Schulbildung nachzuholen. Dann folgt eine dreijährige Lehre mit
       begleitender Berufsschule bis zum Gesellenbrief. In diesen vier bis fünf
       Jahren wird wenig Geld verdient, das man nach Hause in die Heimat schicken
       könnte. „Die Leute wollen aber möglichst schnell arbeiten und Geld
       verdienen, um ihre Familien unterstützen zu können“, sagt Alsayed.
       
       Der Druck, Geld zu verdienen, trägt dazu bei, dass die anerkannten
       Flüchtlinge hierzulande vor allem in der Gastronomie, im Lager- und
       Transportgewerbe, in der Reinigungsbranche und in Pizzabäckereien oder
       Schnellimbissen arbeiten – also in Bereichen, in denen man nicht unbedingt
       eine formale Ausbildung braucht, aber eben auch nicht viel verdient. Dies
       geht aus einer Befragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
       (BAMF) unter 2.800 Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen aus
       Kriegs- und Krisenländern hervor. Nur etwa ein Drittel der Leute, die im
       Schnitt fünf Jahre in Deutschland lebten, ist laut der Studie erwerbstätig,
       ein Zehntel in Ausbildung.
       
       ## Unerfüllte Hoffnungen
       
       Die Befragung ergab, dass die Mehrzahl dieser „Nichtqualifizierten“ keine
       anerkannte Berufsausbildung hatte. Im Herkunftsland dagegen hatten sie
       oftmals gearbeitet, unter Umständen waren die Beschäftigungschancen dort
       sogar dank informeller Strukturen größer als in der wohlhabenden
       Bundesrepublik mit ihren strengen formalen Bildungsvoraussetzungen.
       
       „Viele Flüchtlinge haben die Erwartung, in Deutschland sehr schnell
       arbeiten zu können“, berichtet Diem-Tu Tran, Beraterin von „Coming Home“ in
       München, einem EU-Projekt des Büros für Rückkehrhilfen, das durch das
       Bayerische Sozialministerium gefördert wird. Auch herrsche die Erwartung,
       dass die Familien schneller nachkommen können, sagt Tran.
       
       Diese Hoffnungen erfüllen sich oft nicht. Selbst für einen anerkannten
       Flüchtling können die Wartezeiten auf ein Visum für Frau und Kinder in den
       deutschen Botschaften der Heimatregion ein Jahr oder mehr betragen. Kommt
       das neue Asylgesetz, in dem der Familiennachzug für subsidiär
       schutzberechtigte Flüchtlinge für zwei Jahre ausgesetzt wird, wird
       Deutschland noch unattraktiver werden, meint Alsayed, „dann dauert die
       Wartezeit auf die Familie insgesamt drei Jahre, das ist viel zu lang“.
       
       Drängt die Politik zudem darauf, dass anerkannte Flüchtlinge nach drei
       Jahren wieder zurückgeschickt werden können, wenn im Herkunftsland kein
       Krieg mehr herrscht, verliert Deutschland erst recht an Anziehungskraft.
       Die jahrelang mühsam erworbenen Deutschkenntnisse sind fast nirgendwo sonst
       auf der Welt verwertbar.
       
       Mohasen und Mahmoud jedenfalls haben die Nase voll von Deutschland. Die
       Frage ist nur: Wohin sonst? Sie haben bereits einige Zeit in der Türkei
       gelebt. Wenn es dort eine Arbeitsmöglichkeit für ihn gäbe, „dann ginge ich
       zurück“, sagt Mohasen. Mahmoud nickt.
       
       *Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sind in diesem Text nur die
       Vornamen der Flüchtlinge angegeben.
       
       9 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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