# taz.de -- Journalistenprozess in der Türkei: Wegen Tumult abgebrochen > Die Verhandlung gegen Cumhuriyet-Journalisten, die sich mit Erdogan > angelegt hatten, ist vertagt worden. Es war zu Handgreiflichkeiten > gekommen. (IMG) Bild: Angeklagt: Can Dündar und Erdem Gül von der Cumhuryet vor Prozessbeginn in Istanbul ISTANBUL taz | Im vielleicht wichtigsten Prozess um die Pressefreiheit in der Türkei ist am Freitag der erste Verhandlungstag nach einem Tumult mit mehreren Parlamentsabgeordneten abgebrochen worden. Mehrere Abgeordnete zweier Oppositionsparteien, die als Zuschauer an dem Prozess teilnehmen wollten, weigerten sich, den Saal zu verlassen, nachdem das Gericht auf Antrag des Staatsanwaltes die Öffentlichkeit ausgeschlossen hatte. Die beiden angeklagten Journalisten Can Dündar und Erdem Gül konnten den Gerichtssaal deshalb noch einmal als freie Menschen verlassen, es droht aber dennoch ihre Inhaftierung. „Ich fürchte, Can Dündar und Erdem Gül werden bald erneut festgenommen“, sagte einer ihrer Anwälte nach der Verhandlung. Der Richter habe angedeutet, dass beide Angeklagten mindestens für die Dauer der Verlesung einer 500 Seiten starken Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wieder in Haft genommen werden können. Der Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und der Chef des Hauptstadtbüros von Cumhuriyet, Erdem Gül, stehen stellvertretend für die letzten freien Medien in der Türkei vor Gericht. Ihr Fehler: sie haben sich mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich angelegt. ## Vorwurf: Verrat von Staatsgeheimnissen, Spionage Etliche bekannte Journalisten, Abgeordnete der oppositionellen Republikanischen Volkspartei CHP, Vertreter der kurdischen HDP und führende Gewerkschafter warteten bereits um 8 Uhr morgens vor dem Gericht in Istanbul, wo um 10 Uhr der Prozess beginnen sollte. Mehrere hundert Menschen wollten in den Gerichtssaal. Am wichtigsten vielleicht die Präsenz etlicher europäischer Diplomaten, von denen der deutsche Botschafter Martin Erdmann offiziell die EU repräsentierte. Noch wenige Tage vor dem Prozess hatte Dündar bei einem Treffen mit allen EU-Botschaftern in Ankara darum gebeten, dass die sich doch bitte mit mehr Dringlichkeit für die Pressefreiheit in der Türkei einsetzen sollten. Den beiden Journalisten wird vorgeworfen, sie hätten sich mit der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen der Spionage schuldig gemacht und seien darüber hinaus an einem Komplott zum Sturz der Regierung beteiligt. Beide sollen deshalb zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt werden. Gleich in seiner ersten Einlassung forderte der Staatsanwalt das Gericht auf, den Saal räumen zu lassen, da über Staatsgeheimnisse gesprochen werden müsste. Zur Überraschung der Verteidigung waren auch mehrere Anwälte für den Geheimdienst MIT und Staatspräsident Tayyip Erdogan persönlich anwesend. Beide Parteien forderten, in dem Prozess als Nebenkläger zugelassen zu werden. ## Präsident Erdogan als Nebenkläger Präsident Erdogan hatte schon früher deutlich gemacht, dass er die Enthüllungen über die von ihm angeordneten geheimen Waffentransporte nach Syrien als persönlichen Affront empfunden hat. Deshalb zeigte er auch höchstpersönlich Dündar und Gül bei der Staatsanwaltschaft an und drohte Can Dündar, er werde für seinen Artikel „einen hohen Preis“ zahlen. Nachdem das Verfassungsgericht die beiden Journalisten nach drei Monaten in U-Haft im Februar wieder auf freien Fuß gesetzt hatte, war Erdogan so empört, dass er öffentlich verkündete, er werde den Spruch des Verfassungsgerichts nicht anerkennen. Jeder wusste deshalb, unter welchem enormen Druck die Richter gestern standen, als das Verfahren eröffnet wurde. „Es müssten schon sehr mutige Richter sein, wenn sie dem Druck Erdogans widerstehen wollen“, hatte Dündar noch am Donnerstag der Deutschen Presseagentur gesagt. 25 Mar 2016 ## AUTOREN (DIR) Jürgen Gottschlich ## TAGS (DIR) Schwerpunkt Türkei (DIR) Recep Tayyip Erdoğan (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit (DIR) Schwerpunkt Can Dündar (DIR) HDP (DIR) Schwerpunkt Türkei (DIR) Schwerpunkt Türkei (DIR) Schwerpunkt Türkei (DIR) Schwerpunkt Türkei (DIR) Recep Tayyip Erdoğan (DIR) Zaman (DIR) Schwerpunkt Türkei ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Kommentar Immunität in der Türkei: Erdoğan provoziert mehr Gewalt In der Türkei soll Abgeordneten aller Parteien die Immunität entzogen werden können. Aber das ist reine Dekoration. Es geht nur um die HDP. (DIR) Schlägerei im türkischen Parlament: Immunität soll ausgehebelt werden Der Verfassungsausschuss segnet die Aufhebung der Immunität ab. Davon sind auch 50 der 59 Abgeordneten der kurdisch-linken Partei HDP betroffen. (DIR) Prozess gegen Journalisten in der Türkei: Ohne Öffentlichkeit vor Gericht Spionage und Terrorunterstützung: Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen. (DIR) Diplomaten bei Prozess gegen Journalisten: Erdogan bekommt einen Wutanfall Der türkische Präsident hat sich öffentlich über die Anwesenheit von Diplomaten beim Prozess gegen Can Dündar empört. Auch der deutsche Botschafter war dort. (DIR) Kommentar Terror in der Türkei: Erdoğan eskaliert die Gewalt Recep Tayyip Erdoğan wurde ursprünglich gewählt, weil er Stabilität versprach. Das Gegenteil ist nun der Fall. Die Lage in der Türkei ist hoffnungslos. (DIR) Türkei nach dem Anschlag in Ankara: Erdoğan lässt es eskalieren Eine kurdische Studentin soll den Anschlag in Ankara verübt haben. Büßen sollen nun alle Kurden und alle, die für Frieden sind. (DIR) Deutsche Ausgabe von „Zaman“: Weiter gegen Erdoğan „Zaman Deutschland“ will regierungskritisch bleiben – auch wenn das türkische Mutterblatt auf Staatslinie gebracht wurde. (DIR) Türkischer Journalist muss in Haft: Der Erdoğan-Kritiker Er schrieb über die korrupte türkische Präsidentenfamilie. Jetzt muss „Birgün“-Chef Bariş İnce dafür mit 21 Monaten Haft büßen.