# taz.de -- Obama in Hannover: Der unsichtbare Präsident
       
       > Barack Obamas Besuch verwandelt weite Teile Hannovers in eine
       > Hochsicherheitszone. Im Einsatz sind mehr als 5.000 Polizisten, die
       > Kontrollen sind massiv.
       
 (IMG) Bild: Wo ist denn der Präsident? Wenn die Sicherheitskräfte ihre Arbeit machen, bekommt der Normalbürger Obama nicht zu sehen.
       
       HANNOVER taz | „Obama? Hören Sie auf!“ Wer Passanten in Hannovers noblem
       Zooviertel auf den Besuch des US-Präsidenten anspricht, stößt auf wenig
       Begeisterung. „Die Sache nervt nur noch“, sagt ein Mittfünfziger, der
       seinen Namen „lieber nicht“ in der Zeitung lesen will. „Ich lebe in einer
       der Sicherheitszonen“, erklärt er – am Sonntagabend hat Obama in der
       angrenzenden, vornehm „Congress Centrum“ genannten Stadthalle die
       Hannover-Messe eröffnet und dabei kräftig Werbung für das transatlantische
       Freihandelsabkommen TTIP gemacht. Bei der weltweit größten
       Industrie-Leistungsschau sind die USA in diesem Jahr Partnerland.
       
       „Für uns bedeutet das: Autos müssen weg, Besuch musste eine Woche vorher
       angemeldet werden“, ärgert sich der Anwohner des Viertels, in dem bis vor
       Kurzem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wohnte und in dessen
       Prunkvillen Investmentfirmen wie die des Schröder-Kumpels Carsten
       Maschmeyer, der mit dem Finanzvertrieb AWD zum Milliardär wurde und seither
       als Drückerkönig gilt, ihren Sitz haben. „Völlig übertrieben“ seien die
       Sicherheitsvorkehrungen, ärgert sich der Mittfünfziger aus dem Zooviertel.
       
       Tatsächlich versetzt die gerade einmal 30-stündige Stippvisite des
       mächtigsten Menschen der Welt Teile der niedersächsischen Landeshauptstadt
       seit Wochen in eine Art Ausnahmezustand. Begleitet von Kamerateams zogen
       schon Anfang April Polizisten von Haus zu Haus, um die Bewohner über
       Einschränkungen zu informieren. „Weg vom Fenster“ lautete die krasseste:
       Wer mitbekommt, dass sich Obamas Fahrzeugkolonne nähert, solle auf keinen
       Fall versuchen, dem Präsidenten zuzuwinken. „Überprüfungen der Wohnungen
       könnten die Folge sein“, warnte Hannovers Stadtverwaltung auf ihrer
       Homepage. Wer irgendwie auffällig wirkt, dem wird im Zweifelsfall die Tür
       eingetreten, heißt das wohl im Klartext.
       
       Dass das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nichts mehr gilt –
       was offenbar mit der Begründung „Gefahr im Verzug“ gerechtfertigt werden
       soll – zeigt, wie hoch die US-Sicherheitskräfte das Gefährdungspotenzial
       ihres Staatsoberhauptes einschätzen. Rund 5.000 Polizisten und etwa 600
       Geheimdienstmitarbeiter sollen Obama vor Anschlägen bewahren. „Die
       Polizeidirektion Hannover bereitet sich seit Monaten akribisch auf diesen
       Einsatz vor“, versicherte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius
       (SPD).
       
       Insgesamt fünf Sicherheitszonen haben die Beamten in der Region Hannover
       eingerichtet: Im Zooviertel gab es schon ab Samstagmorgen Personen- und
       Fahrzeugkontrollen. Am Sonntag durften dort zwischen 14 und 22 Uhr
       überhaupt keine Autos mehr fahren. Und selbst angemeldete Besucher standen
       in dieser Zeit unter einer Art Hausarrest: An- und Abfahrt seien „nicht
       möglich“, hieß es in einer warnenden Anwohnerinformation der
       Polizeidirektion Hannover. Auch Fahrräder mussten weg – oder wurden von
       Sicherheitskräften entfernt. Entwarnung gab es erst am späten Abend,
       nachdem die Eröffnungsfeier im Kuppelsaal der im Kaiserreich erbauten
       Stadthalle mit 2.500 geladenen Gästen über die Bühne gegangen war.
       
       Noch immer abgesperrt sind Teile des Flughafens Langenhagen, Teile der
       Messe, die Herrenhäuser Gärten und das Gelände rund um Obamas Unterkunft
       „Seefugium“ in Isernhagen im Nordosten Hannovers. Das Sicherheitskonzept
       der Amerikaner ist extrem: Im Idealfall soll kaum ein Normalbürger den
       Präsidenten überhaupt zu Gesicht bekommen.
       
       Wenn möglich, nutzte Obama einen per riesigem Boeing-Militärtransporter
       eingeflogenen Hubschrauber. Auf der Straße bewegte sich der Demokrat nur
       mit einer „The Beast“ genannten Limousine fort. Der zwischen sieben und
       neun Tonnen schwere Wagen soll rund 1,5 Millionen Dollar gekostet haben und
       angeblich sogar schweren Granatbeschuss aushalten: Im Netz wird spekuliert,
       das Auto habe 20 Zentimeter dicke Panzertüren und 13 Zentimeter dicke
       Scheiben.
       
       Kompromisslos zeigten sich die US-Geheimdienste auch rund um Obamas Hotel,
       in dem der Präsident nur eine einzige Nacht verbracht hat: Offenbar um
       freies Schussfeld zu haben, ließen die Men in Black diverse Bäume und
       Büsche fällen. Im „Seefugium“, das Schröder-Kumpel Maschmeyer erst vor zwei
       Jahren verkauft und in dem der Ex-Kanzler seinen 65. Geburtstag gefeiert
       hat, liefen tagelang Überprüfungen: Jede noch so abstrus scheinende
       Bedrohungslage, sei es durch Sprengstoff, Strahlung, biologische oder
       chemische Gefahrenquellen scheint ausgeschlossen worden zu sein.
       
       Ebenfalls den gesamten Montag abgesperrt bleibt das Schloss Herrenhausen
       und mit ihm auch die Herrenhäuser Gärten. Hier hatten
       BereitschaftspolizistInnen, die teilweise sogar aus dem Saarland
       herangekarrt wurden, bereits am Samstagnachmittag begonnen, Absperrgitter
       zu errichten. Am Sonntag dann empfing die gerade erst von der
       türkisch-syrischen Grenze zurückgekehrte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den
       Präsidenten vor dem Schloss mit militärischen Ehren. Vorher war Obama
       bereits am Flughafen von Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil
       (SPD) begrüßt worden.
       
       Herrenhausen bleibt am Montag wegen des Fünfer-Gipfels gesperrt, zu dem
       Kanzlerin Merkel Mitte vergangener Woche geladen hatte. Obama und Merkel
       treffen in Herrenhausen Frankreichs Staatspräsidenten François Hollande,
       den britischen Ministerpräsidenten David Cameron und Italiens
       Regierungschef Mateo Renzi. Sie wollen über die Flüchtlingspolitik und die
       Lage in Syrien, in der Ukraine und in Libyen sprechen. Der US-Präsident
       halte sich nicht jeden Monat in Europa auf, kalauerte Merkels Sprecherin
       Christiane Wirtz zur Begründung.
       
       In der Herrenhäuser Sicherheitszone liegt auch das 1866 fertiggestellte
       Welfenschloss der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität. Bis Anfang der
       Woche ist die Hochschule nur über Nebenstraßen zu erreichen; die
       Haupteingänge sind blockiert. Dass die Herrenhäuser Straße für den
       Obama-Konvoi vorbereitet wurde, war bereits am vergangenen Donnerstag
       deutlich sichtbar: Jeder Kanaldeckel, jeder Gully war mit mindestens zwei
       großen weißen Farbmarkierungen versiegelt worden, die mit einem speziellen
       Code aus Buchstaben und Zahlen versehen sind – der Secret Service hielt
       offenbar jeden offenliegenden Punkt der Kanalisation für geeignet, um darin
       eine Bombe zu deponieren. „Krass“, fand das die Studentin Jennifer Bauer,
       die am Nachmittag zusammen mit Kommilitonen aus der Uni kam: „Was für ein
       Aufwand!“
       
       Dieser enorme Aufwand wird in Hannover aber zumindest von offizieller Seite
       kaum infrage gestellt. Auch die Unterstützer der Großdemonstration, bei der
       am Samstag rund 90.000 Menschen gegen TTIP auf die Straße gingen, betonten
       immer wieder, dass ihr Protest keinesfalls „anti-amerikanisch“ sei: „Ich
       arbeite selbst für das US-amerikanische Institute for Agriculture and Trade
       Policy“, sagte etwa die Aktivistin Shefali Sharma. Auch in den USA gebe es
       massiven Widerstand gegen das TTIP ähnliche, noch nicht ratifizierte
       Trans-Pacific Partnership“ (TPP). „Die Hauptlast der Kosten trägt der
       Bund“, beruhigte Niedersachsens stellvertretender Regierungssprecher
       Michael Jürdens im Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk. Eine
       vergleichbare eintägige Stippvisite Obamas 2009 in Dresden soll mit satten
       30 bis 40 Millionen Euro zu Buche geschlagen haben.
       
       Vereinzelte Kritik kam dagegen von Geschäftsleuten, die ihre Läden wegen
       der eingerichteten Sicherheitszonen dichtmachen konnten – für den Großteil
       ihrer Kunden waren sie sowieso nicht erreichbar. „Wir müssen den kompletten
       Tag schließen und bekommen keinerlei Entschädigung“, klagte etwa die
       Gastronomin Gloria Viero-Weißenow in der lokal erscheinenden Neuen Presse.
       Angelika Huber, Besitzerin des Friseurs am Stadtpark im Zooviertel, die
       schon vor Wochen angekündigt hatte, der Bundesrepublik ihren
       Verdienstausfall in Rechnung stellen zu wollen, gibt sich mittlerweile
       resigniert: „Das ist so sinnlos wie irgendwas“, sagt die 63-Jährige. „Die
       Nerven hab’ ich nicht mehr.“
       
       Die Friseurin dürfte damit ähnlich empfinden wie viele andere Leute in
       Hannover. Viele, die nicht gegen TTIP demonstrieren wollten, sind über die
       freien Tage verschwunden. „Ich glaub’, ich fahr’ das Wochenende weg“ – kurz
       vor dem Obama-Besuch war dieser Satz in der Landeshauptstadt ziemlich oft
       zu hören. Immerhin: Geht alles glatt, dürfte der Spuk Montagabend vorbei
       sein. Gegen 18 Uhr ist die Sicherheitszone rund um den Flughafen
       Langenhagen Geschichte. Wer aber einen letzten Blick auf Obamas startende
       Air Force One werfen will, dürfte enttäuscht werden: Auch Planespotter,
       warnt die Polizei, hätten keine Chance.
       
       Schwerpunkt SEITE 3
       
       25 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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