# taz.de -- Re:Publica-Trend Snapchat: Digitale Glatzenüberkämmer
       
       > Die digitale Gesellschaftskonferenz hat ihr diesjähriges
       > Lieblingsspielzeug gefunden: die App Snapchat. Pech für die Jugendlichen,
       > die den Dienst mögen.
       
 (IMG) Bild: Ganz schön tantig: Ellen Degeneres macht ein Snapchat-Video (Archivbild)
       
       BERLIN taz | 10 Minuten lang erklärt Joshua Arntzen per Video, [1][wie
       Snapchat funktioniert] und wofür er es nutzt. 500 Menschen, die meisten
       mindestens doppelt so alt wie er, sitzen vor einem großen Bildschirm und
       schauen dem Schüler aus Hamburg dabei zu. „Es ist zwar schön, dass ihr
       jetzt alle wisst, was Snapchat ist. Aber benutzt es bitte trotzdem nicht“,
       sagt Arntzen zum Abschluss.
       
       Und wiederholt damit einen Appell, den er auch schon im vergangenen Jahr an
       das Publikum auf Deutschlands größter Irgendwas-mit-Internet-Konferenz
       gerichtet hat. Facebook haben die Alten seiner Generation schon verleidet –
       weil plötzlich alles von Erwachsenem zugemüllt war, Eltern und Lehrer sich
       mit ihnen befreundeten und es vorbei war, mit der unbeobachteten
       Kommunikation mit Gleichaltrigen.
       
       Im vergangenen Jahr wurde Arntzen mit seiner Bitte noch erhört. In diesem
       nicht. Snapchat, das ist in diesem Jahr der Lieblingsdienst auf der
       Re:Publica. Diesen chaotischen Foto-Chatnachrichtendienst mit eingebautem
       Selbstzerstörungsmechanismus für die Inhalte gibt es zwar schon seit 2011,
       aber es hat eine ganze Weile gedauert, bis klar wurde, dass das jetzt das
       neue Ding ist unter Jugendlichen. Der Dienst, wo sie sich versammeln.
       
       Und weil die Gäste der Re:Publica darauf stehen, jedes Jahr einen neuen
       Dienst durch ihr Dorf zu jagen, ist dieses Jahr eben Snapchat dran. Der
       Gral für all die Vermarkter und Inhaltemacher, die spüren, wie die
       jungfrische Hipness auf Facebook langsam aber sicher austrocknet. Nicht nur
       Arntzen erklärt den Dienst. Auch ein Stockwerk weiter unten, am Stand der
       Re:Publica-Ausgründung [2][TinCon] für Teenager bieten Jugendliche auf
       einer Tafel ebenfalls Schulungen an. Es gibt Veranstaltungen für
       Ultra-Snapchatter und [3][Tipps für Organisationen (und Werber)], die
       Snapchat doch nutzen wollen.
       
       Wer sich 2015 auf der Re:Publica nicht blamieren wollte, musste die
       Livestreaming-Apps Meerkat oder Periscope nutzen. In diesem Jahr ist es
       halt Snapchat. Wobei – ganz allein steht das natürlich nicht: schon seit
       einiger Zeit gibt es [4][zahllose Videos] im Netz, die Älteren den Dienst
       erklären wollen – oder sich mit jüngeren Familienangehörigen auf eine Art
       [5][anthropologische Expedition auf Snapchat] begeben.
       
       ## Kahl? Egal!
       
       Digitale Glatzenüberkämmer – diesen Begriff hat Kathrin Passig bereits im
       Jahr 2009 erfunden, für Menschen, die noch immer an ihrem vor Jahren
       geprägten digitalen Weltbild festhalten, ohne zu bemerken, dass sich die
       Dinge seitdem rasant weiterentwickelt haben. Im Spiegel habe man selbst den
       Eindruck, alles sehe aus wie immer – aber alle anderen würden deutlich
       sehen, dass es eben doch nur drei über den Kahlkopf gelegte Haare seien,
       schrieb sie damals.
       
       Zum 10. Mal findet die Re:Publica statt. Und die meisten Besucher wie die
       prägenden Köpfe sind ganz schön mitgealtert. Bauchansatz und Graumeliertes
       allerorten. Und doch wollen diese Menschen dranbleiben. Weil natürlich
       irgendwo steht, dass vom digitalen Marketing keine Ahnung habe, wer
       Snapchat nicht verstehe.
       
       Und so hängen sie an den Lippen der Jugendlichen, die ihnen erklären, was
       sie denn da so machen, auf Snapchat. Was das soll. Wie das tickt. Denn:
       Wüssten sie es nur, dann wäre die digitale Glatze kaschiert, die Tatsache,
       dass sie halt einfach ein bisschen alt geworden sind. Und sie da vielleicht
       auch gar nichts zu suchen haben.
       
       Und doch steht Arntzen, gerade aus der Schule heimgekehrt und per Skype
       zugeschaltet, geduldig Rede und Antwort für all die brennenden Fragen der
       erwachsenen und berufsjugendlichen Re:Publicaner. Die fragen, ob ihm das
       mit Snapchat nicht zu nervös sei. Wie Marken vielleicht doch an ihn
       rankommen könnten – damit er nicht ausschließlich seinen Freunden folge. Ob
       er es nicht gruselig fände, all seine Kommunikation über eine Firma zu
       organisieren.
       
       Als könnten sie sich nicht selbst erinnern, wie damals die Alten immer über
       MTVs wirre kurze Schnitte gemeckert haben. Oder nicht selbst aus ihren
       jeweiligen Sozialen Netzwerken wüssten, wie ätzend es ist, wenn dort
       plötzlich all die Leute auch ankommen, die man eigentlich nicht dort sehen
       wollte.
       
       ## Zack, weg mit dem Inhalt
       
       Auf [6][Zeit Online warnt Digitalredakteur Patrick Beuth], dass jetzt
       marodierende Horden Uncooler und Berufsnutzer ansetzen, den Jugendlichen
       auch noch Snapchat zu versauen. Beim Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen –
       bei der werberelevanten Zielgruppe. Ein bisschen lustig, schreibt Beuth,
       „in einem Netzwerk, das euch Aufmerksamkeitsspannen jenseits von ein paar
       Sekunden abtrainiert.“ Werber und Medien glaubten, „auf Snapchat könnten
       sie euch erreichen, auch wenn ihr Snapchat vielleicht nur nutzt, damit ihr
       für sie unerreichbar seid.“
       
       Angucken, Unsinn machen, Faces swappen und zack, weg mit dem Inhalt. Das
       macht Sinn und Attraktivität von Snapchat aus. Sagt sogar Joshua Arntzen.
       
       Weswegen es natürlich ein wenig tantig und onkelig ist, Witze darüber zu
       machen, dass man sich zu alt fühle für Snapchat. Das sei wie zu sagen, dass
       man keinen Fernseher habe, witzelt es unter dem Re:Publica-Hashtag auf
       Twitter – während andere Unternehmen und Medienhäuser fleißig verkünden,
       dass sie jetzt auch angefangen hätten.
       
       Internet-Eminenz Sascha Lobo (40) [7][konstruierte auf der Re:Publica mal
       wieder ein neues Wir]. „Wir, die wir uns für eine digitale Avantgarde
       halten, weil wir noch viel früher als alle anderen Snapchat nicht
       verstanden haben“, sagte der Mann, der einst, in grauer
       Social-Media-Vorzeit der wahrscheinlich einflussreichste Twitterer
       Deutschlands war. Und wünscht sich ein Snapchat für Erwachsene.
       
       In Würde altern, das kann halt nicht jeder.
       
       4 May 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=SBOO46nAb1s
 (DIR) [2] http://tincon.org/
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=ESqJPuF2Uxw
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/results?search_query=Snapchat+explained
 (DIR) [5] https://www.buzzfeed.com/benrosen/how-to-snapchat-like-the-teens?utm_term=.ho4O10yNJ#.kjkoMAk9y
 (DIR) [6] http://www.zeit.de/digital/internet/2016-05/snapchat-republica-rpten-sascha-lobo
 (DIR) [7] https://www.youtube.com/watch?v=bkvhUDAQQ3U
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
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