# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Danke, Jogi
       
       > Hat Löw mit der Niederlage im EM-Halbfinale die Transformation des
       > deutschen Fußballs vollendet? Über die Umkehrung des Wankdorf-Fluches.
       
 (IMG) Bild: Sechsmal Halbfinale ist kein Zufall. Das ist Folge von Know-how auf der jeweiligen Höhe der Zeit: Jogi Löw in der Schweiz im EM-Vorbereitungstraining im Juni 2016
       
       Wenn nicht der Titel gewonnen wird, fallen Bereiche der deutschen
       Fußballdiskussion ganz schnell auf ein Niveau, von dem man hoffte, es sei
       überwunden. Das ist in der politischen Diskussion auch nicht anders, aber
       trotzdem. Die Vorwürfe der Fußball-Boulevardmedien (Spiegel, FAZ) gegen
       unseren Bundestrainer sind teilweise so kindisch, dass es quietscht.
       Psychogramme aus dem Sigmund-Freud-Kindergarten. Fachkritik aus der
       Waldemar-Hartmann-Akademie.
       
       Joachim Löw habe verpasst, dass man im internationalen Fußball (wieder) mit
       Mittelstürmer spielt. Ach, echt – und wieso spielte dann Mario Gómez? Es
       habe aber nach dessen Verletzung ein zweiter Mittelstürmer gefehlt.
       Richtig, aber wir haben derzeit keinen zweiten. Löw habe dafür zu sorgen,
       dass wir Deutsche Mittelstürmer produzieren, so wie es unsere
       Nationaltradition ist. Soll er sie selbst zeugen, das Volk mit der Hand am
       Gemächt zur konzertierten Aktion „Kinder für den Sturmführer“ anleiten –
       oder wie stellen wir uns das vor?
       
       Er war unmittelbar nach dem 0:2 gegen Frankreich nicht in der Lage, die
       Leistung des Gegners so souverän anzuerkennen, wie es ideal wäre. Aber,
       hey, schon mal andere Verlierer gesehen?
       
       Löws Erfolgsserie der letzten zehn Jahre ist international singulär:
       Sechsmal in Folge Halbfinale bei WM und EM. Für einen Titel spielt der
       Zufall im Fußball eine viel größere Rolle, als das Trainer, Spieler und
       auch Kritiker gerne hätten. So hat Löw vor dem WM-Sieg 2014 glücklich und
       verdient gegen Frankreich gewonnen. Nun hat er unglücklich verloren. Aber
       sechsmal Halbfinale kann kein Zufall sein. Das ist die Folge von Know-how
       auf der jeweiligen Höhe der Zeit.
       
       Man kann sogar sagen, dass Löw seine fundamentale Transformation des
       deutschen Fußballs noch weiterentwickelt hat. Seit dem einerseits
       wunderbaren, andererseits fatalen 3:2 gegen die Ungarn im Berner
       Wankdorfstadion und dem WM-Titel 1954 waren die Deutschen davon
       ausgegangen, dass es ihre Nationaltugend sei, gegen bessere Fußballer zu
       gewinnen, weil sie flinker, härter und zäher seien.
       
       ## Fußball ist keine des Blutes
       
       Ein unfassbarer Unsinn, noch dazu wie die Adaption eines Nazi-Ideals
       daherkommend. Löw befreite die Fußballgesellschaft von diesem Fluch und
       bewies, dass ästhetischer Fußball keine Frage des Blutes ist, wie Old Berti
       noch angenommen hatte („Der Deutsche ist kein Brasilianer“). Sondern eine
       Frage des Trainers, der das will, fühlt und zur Grundlage einer Stilcollage
       macht, mit der man an der Spitze der Moderne agiert, zumindest was
       Verbandsfußball angeht.
       
       Der bessere moderne, variantenreiche Fußball gewinnt, und das mit
       ästhetischer Begründung – das ist die Bedeutung von Löws WM-Sieg. Aber mit
       dem besten Fußball zu gewinnen ist ja leicht wie eine Hollywoodkomödie. Mit
       dem besten Fußball ein großes Turnier zu verlieren ist die letzte Tragödie,
       die ein unaufgeklärtes Teilpublikum wirklich durchschüttelt und in einer
       existenziellen Ratlosigkeit und auch Wut zurücklässt, dass es die
       Begrenztheit des menschlichen Einflusses auf das Geschehen verdrängt und
       eine erfolgreiche EM als Untergang missversteht, für den die Hybris eines
       gescheiterten Helden verantwortlich sein muss.
       
       Doch von einem Scheitern des Jogi kann keine Rede sein. Wir haben die
       Vollendung der Transformation des deutschen Fußballs erlebt. So wie 1954
       die Ungarn, 1974 die Holländer und 1982 die Franzosen hat nun Deutschland
       den besten Fußball gespielt. Und verloren. Das ist die wahre Umkehrung des
       Wankdorf-Fluches. Jetzt sind wir frei.
       
       Und der Witz an der Sache ist: Wir können es uns wirklich leisten.
       
       23 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jogi Löw
 (DIR) Mario Gomez
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball
 (DIR) Abgeordnetenhauswahlen 2016
 (DIR) Jogi Löw
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Bundespräsident Österreich
 (DIR) Baden-Württemberg
 (DIR) Schwerpunkt Volker Beck
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Marcel Reif und der Fußball: Das Spiel seines Lebens
       
       Als Kommentator verband er Kompetenz und Witz auf ungeahnte Weise. Dennoch
       war Fußball für Marcel Reif lange „nur Fußball“. Bis heute?
       
 (DIR) Jogi Löw bleibt Bundestrainer: Der Unantastbare
       
       Bundestrainer Joachim Löw hat seinen Vertrag vorzeitig bis zur EM 2020
       verlängert. Er schickt sich also an, den Uralt-Spielerekord von Sepp
       Herberger zu brechen.
       
 (DIR) Kolumne Die eine Frage: Eingemauert im Stammwählerdorf
       
       Die Grünen haben in Berlin eine desaströse Niederlage erlitten. Wie schon
       in etlichen Landtagswahlen zuvor. Was folgt daraus für den Bund?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Jasmin am Ball
       
       Bundestrainer Jogi Löw geht überraschend neue Wege im Frauenfußball. Jetzt
       steht ein Geschlechtswechsel bei ihm an.
       
 (DIR) Kolumne Pressschlag: Gehen und bleiben
       
       Mario Gómez und Lukas Podolski spielten zuletzt in der türkischen Liga. Mit
       dem Putschversuch geht jeder auf seine Weise um.
       
 (DIR) Kolumne Die eine Frage: Die Borderliner von Österreich
       
       Wie gewinnt man rechtspopulistische Wähler zurück, Robert Menasse? Ein
       dringlicher Anruf bei einem linken Wiener Intellektuellen.
       
 (DIR) Kolumne Die eine Frage: D'r Manne
       
       Baden-Württembergs neuer Gesellschaftsminister: Wer ist Manfred Lucha? Über
       die erstaunliche Geschichte der grünen Eroberung Oberschwabens.
       
 (DIR) Kolumne Die eine Frage: Moralismus ist die schlimmste Droge
       
       Brauchen die Grünen Moralisten? Grundsätzliches zum „Fall“ Volker Beck und
       die Grundsünde zu denken, dass man ein besserer Mensch sein müsse.