# taz.de -- Pop und Protest in Londoner Ausstellung: Weiter raus im magischen Bus
       
       > Bürgerrechte, Psychedelic-Rock, Glamour: Die Schau „You Say You Want a
       > Revolution? Records and Rebels 1966–1970“ im Victoria and Albert Museum.
       
 (IMG) Bild: Installationsansicht: der Black-Panther Huey Newton im Foto und der Originalsessel
       
       „You are either on the bus or off the bus“, sagt Ken Kesey und meint damit
       eine Verabredung der mittleren sechziger Jahre. Gegen den Anstand der
       bürgerlichen Gesellschaft, ihr Verlangen nach Sicherheit und Ordnung, Ruhe
       und Wohlstand entfachte die Jugend jener Jahre großen Dissens. Der Drang
       nach alternativen Lebensformen, die Befreiung vom Spießigen durch Sex und
       Drogen, ein Aufbegehren gegen Rassismus und Benachteiligung von Frauen.
       
       Das drückte sich aus über Sprache, Musik und Lebensstil, über das Aussehen
       – lange Haare und Miniröcke – und vieles andere mehr. Die am Samstag
       eröffnete Ausstellung „You Say You Want a Revolution? Records and Rebels
       1966–1970“ im Londoner Victoria and Albert-Museum zeigt diese „Revolt into
       Style“ (so der Titel eines damals verbreiteten Buchs des britischen
       Kritikers George Melly) sehr anschaulich.
       
       Die Schau stiftet Zusammenhänge zwischen kulturellen, politischen und
       lebensweltlichen Umwälzungen jener Zeit. Nicht zuletzt geht es um eine
       Auseinandersetzung über die Art des Konsums. Von den sechs Definitionen des
       Begriffs Revolution, wie sie auf einer Tafel genannt werden, ist „das
       Rotieren eines Objekts um ein anderes oder um eine Achse oder ein Zentrum“
       darum die interessanteste.
       
       Denn Bilderwelten, Klangspuren, Filmausschnitte, Kleidungstücke und andere
       Exponate nehmen durch das in Beziehungsetzen zum gesellschaftlichen
       Mainstream der Sixties ein Eigenleben an. Farben und Sounds sorgen für
       Überwältigung. Slogans und Songtexte klingen nicht mehr hohl, sie werden
       mit Bedeutung unterfüttert.
       
       ## Immersive Audio
       
       Eingangs bekommen BesucherInnen Kopfhörer ausgehändigt, „Magic Bus“ ertönt,
       ein Song von the Who in der Bühnenfassung ihres Albums „Live at Leeds“. Die
       Ausstellung ist mit dem „Immersive Audio“-System konzipiert, die Tonspuren
       passen sich jeweils den Bildern an, wandern mit von Raum zu Raum. So
       entsteht ein magisches Panorama, das an Levels von Computerspielen
       erinnert, die akustische Entsprechung von 3-D.
       
       Im Songtext von „Magic Bus“ geht es um einen Fahrgast, der Tag für Tag zu
       seiner Liebsten den Bus nimmt und irgendwann den Fahrer davon überzeugt,
       ihm das Lenkrad zu überlassen, damit er schneller zu ihr kommt. Was für ein
       langer, seltsamer Trip das wohl war: Plattencover pflastern die Wände des
       Ausstellungsparcours, sie stammen aus der Sammlung des BBC-Radio-DJs John
       Peel und zeigen Alben, die in den fünf Jahren von 1966 bis 1970 erschienen
       sind, Meilensteine aus Pop, Jazz, Soul und Psychedelic-Rock, aber auch
       vergessene Werke des Hippie-Undergrounds.
       
       Die Perspektive von „Records and Rebels“ ist angloamerikanisch, das heißt,
       die Schau schlägt eine transatlantische Brücke von London nach San
       Francisco, das Geschehen in Metropolen wie Westberlin und Amsterdam wird
       aber zumindest angerissen. So ist „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“ von
       Ton Steine Scherben zu hören, ein weißes Fahrrad symbolisiert die
       holländische Protestbewegung der Provos. Mehr Raum bekommt der Pariser Mai
       1968: Inmitten von Fotos, Postern und Tondokumenten der Studentenunruhen
       und Streiks ist eine Uniform der Spezialeinheit CRS der französischen
       Polizei zu sehen.
       
       ## Black Panther im Korbsessel
       
       Die Straße als Austragungsort der Protestwelle von 1968, Slogans, Plakate,
       Steckbriefe, Songs, Reden: ein Fokus der Ausstellung liegt auf der
       Bürgerrechtsbewegung und dem Beginn von Black Power: Bilder, die längst
       ikonografisch sind, wie das des Black-Panther-Mitglieds Huey Newton, der in
       einem Korbsessel sitzend abgelichtet wurde. Nicht nur das Foto ist zu
       sehen, der Stuhl ist im Original ausgestellt.
       
       Auch die flashige Seite der Sixties wird erkundet, Glitter und Glamour.
       Etwa die Boutiquen der Londoner Carnaby Street und der Aufstieg der
       Modedesignerin Mary Quant, das Fashion-Model Twiggy, dürr, androgyn. Ihr
       Gesicht wird zum Symbol. Der Friseur Vidal Sassoon und der von ihm
       perfektionierte Bob. „Swinging London“ war die erste Metropole des Pop,
       exemplarisch zu sehen am weißen Damenkleid mit dem aufgestickten Buchstaben
       D (von Foale and Tuffin) und dem geckigen Herrenanzug in orangefarbenen
       Streifen von Mr Fish. Genauso wird die Clubkultur jener Jahre gezeigt: die
       Mischung aus Konzerthalle und Happening wie im Londoner Club „UFO“, dessen
       Lightshow zu sehen ist.
       
       In den USA kommt es nicht nur zur Konfrontation zwischen Staat und der
       neuen Linken. Dort entsteht schon bald ein „New Communalism“. Ausgangspunkt
       ist wieder ein Bus. Ken Kesey, der Schriftsteller, gehört zu den Merry
       Pranksters, einem Kollektiv, das im Bus durch die USA reist und LSD
       „testet“. Drop-outs nannte man sie, Aussteiger. „Furthur“ nennt das
       Fahrtziel auf der Anzeigetafel ihres umgebauten Schulbusses, weiter soll es
       gehen als je zuvor.
       
       ## Initialzündung für Computergeeks
       
       Mit im Bus sitzt auch Stewart Brand, ein Kunststudent, der erst in San
       Francisco das „Trips Festival“ veranstaltet und 1968 mit seiner
       Lebensgefährtin aufs Land zieht und in New Mexico eine Kommune gründet.
       Viele solcher Initiativen entstehen, und Brand und seine Mitstreiter bieten
       im „Whole Earth Catalog“, der im Herbst 1968 erstmals erscheint, Ideen und
       Werkzeuge an. Hilfe zur Selbsthilfe: Ihr Katalog war die Initialzündung für
       Computergeeks wie Steve Jobs.
       
       Kalter Krieg und atomare Aufrüstung, das militärische Engagement der
       Supermacht USA in Vietnam und die gesellschaftliche Unruhe. Dieses
       apokalyptische Bewusstsein treibt auch Jimi Hendrix um, in seinem Song
       „Purple Haze“, veröffentlicht im März 1967: „You got me blowin/Blowin my
       mind … Is it tomorrow/Or the end of time?“.
       
       Den Song gibt es zu hören, er ist in Beziehung gesetzt zu Hendrix’
       flamboyanten, oftmals lilafarbenen Blusen und Samtanzügen. Popmusik war
       zentrales Kommunikationsmittel der Sechziger, eine Rundum-Erfahrung, die
       Songs werden ausschweifender, mitunter auch selbstreflexiver. „Bedrohlich,
       und aufregend, angstgeplagt, aber gleichzeitig auch euphorisch – ein
       klangliches Paradoxon“, wie Jon Savage im Katalogtext schreibt. Als am 25.
       Juni 1967 „All You Need is Love“ von den Beatles erscheint, wird ein
       Videoclip über den Song von mehr als 400 Millionen Fernsehzuschauern in 25
       Ländern gesehen. Zuvor hatte Paul McCartney in einem Interview bekannt,
       dass er LSD genommen hat.
       
       ## Mehr Freiheit fürs Ego
       
       Eigentlich fehlt nur noch ein Geruchsodorama aus Haschwolken,
       Patschuli-Duft und Tränengas. In 3-D will die Schau tatsächlich ein
       panoramatisches Bild der Sechziger von heute aus vermitteln. In Tat und
       Wahrheit handelt es sich um 1.862 Tage, die die Welt verändern sollten.
       „Sie bestimmen noch heute die Agenda für die Auseinandersetzung zwischen
       westlichen liberalen Werten und einem reaktionären Fundamentalismus: Die
       Rechte des Individuums und sein Verhältnis zum Staat“, informiert das
       Vorwort im Katalog. Das Ego genießt seit Mitte der Sechziger größere
       Freiheiten, ist aber auch stärkeren Fliehkräften ausgesetzt.
       
       Die Referenz an das Verbimmelte, an die Zeit, die mithilfe von LSD außer
       Kraft gesetzt ist, ist beabsichtigt. Mit flashigen Farben, Fotos,
       Filmausschnitten, Klamotten, Accessoires und reichlich Musik im Kopfhörer
       ruft die Ausstellung das permanente Angetörntsein in Erinnerung. „You Say
       You Want a Revolution?“ appelliert damit an das affirmative Moment der
       Hippies. Ihre Schattenseiten kommen dagegen zu kurz. Charles Manson und
       seine mörderische LSD-Sekte „The Family“ tauchen nur in den Fußnoten im
       Katalog auf. Auch das chaotische Rockfestival von Altamont, bei dem 1969
       ein Afroamerikaner von Hells Angels erstochen wurde, wird ausgeblendet.
       
       Dagegen ist dem Woodstock-Festival ein eigener, mit Kunstrasen ausgelegter
       Raum gewidmet. Dort sind Fotos zu sehen, Bühnenklamotten und Instrumente
       von The Who, auf einer Riesenleinwand läuft der Dokumentarfilm über das von
       400.000 Menschen besuchte Rockfestival. „What a long strange trip it has
       been“ ist übrigens der Titel eines Albums der kalifornischen Acid-Rockband
       Grateful Dead, die auch in Woodstock gespielt hat.
       
       13 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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