# taz.de -- Kostenloses Interrail: Senk ju for träwelling in Jurop
       
       > Die EU-Kommission denkt darüber nach, jedem 18-jährigen Europäer ein
       > Interrail-Ticket zu schenken. Super! So funktioniert Europa.
       
 (IMG) Bild: Kuscheln mit Europa müsste kein Traum bleiben
       
       Man möchte ja eigentlich nicht gern wieder 18 sein, das war das erste Mal
       schon schlimm genug. Andererseits: Stellen wir uns doch mal vor, wir würden
       noch einmal volljährig, und auf dem Geburtstagstisch läge ein Brief. Und
       zwar nicht der von der Sparkasse, in dem unter einer mit Word erstellten
       Happy-Birthday-Grafik zum Kontoführungsberatungsgespräch für Volljährige
       geladen wird.
       
       Nein, in diesem Umschlag läge: ein Ticket. Mit dem man einfach losfahren
       könnte, quer durch Europa, eine Woche lang oder vielleicht auch drei. Dazu
       ein hübsches Schreiben in Königsblau: Herzlichen Glückwunsch, liebes Kind
       Europas, mache Dich auf, Deine Persönlichkeit zu bilden, auf dass Du ein
       guter, mündiger, steuerzahlender Bürger werdest.
       
       Ganz so paternalistisch würde es EU-Kommissarin Violeta Bulc sicherlich
       nicht formulieren. Aber die Idee gefällt ihr doch ganz gut – und so will
       sie den Vorschlag prüfen, jedem EU-Bürger zum 18. Geburtstag ein
       Interrail-Ticket zu schenken.
       
       Der stammt nicht etwa von dem CSU-Europaabgeordneten Manfred Weber, wie man
       diversen Medienberichten der letzten Wochen entnehmen könnte. Unter dem
       Hashtag #freeinterrail trommeln beispielsweise die Berliner Aktivisten
       Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer schon seit über einem Jahr für eine
       Eurovision auf Schienen.
       
       ## Reisen lehrt lieben
       
       Inzwischen ist nun auch Brüssel geradezu angefixt. Völlig zu Recht. Denn
       wie ließe sich Europa besser erfahren, verstehen und lieben lernen als mit
       einer Reise quer hindurch?
       
       Und wir reden hier nicht nur von Europa. Auf langen Zugfahrten lernt man
       viel über sich selbst. Und über Menschen im Allgemeinen. Denn, das sollte
       man gar nicht verhehlen: Geruchsintensiver als die Umkleide einer
       Fußball-C-Jugend ist nur ein Sechserabteil im Schlafwagen.
       
       Aber genau darum geht es doch in Europa seit jeher: Unterschiede aushalten.
       Mit der hippiesken Wanderbewegung der Anfangsjahre hat Interrail
       schließlich auch nicht mehr viel zu tun. Gaskocher? Zelt? Braucht man
       nicht. An jeder Ecke steht ein Hostel, und sogar der sperrige alte
       Backpackerrucksack weicht zunehmend dem Trolley. Passt eh besser ins
       Gepäckfach.
       
       Nicht zuletzt hätte das Ganze noch viel praktischere Vorteile als nur die
       Arbeit an der eigenen europäischen Identität. Für die Umwelt zum Beispiel.
       Wer mit dem Zug reist, verzichtet zumindest dieses eine Mal auf den
       Urlaubsflieger.
       
       ## Saufen kann man nicht nur in Lloret de Mar
       
       Das ist natürlich ärgerlich für Air Berlin, aber ein bisschen Schwund ist
       immer. Apropos Schwund: Mallorca ist völlig überfüllt, zig Millionen
       Urlauber fallen jedes Jahr über die Insel herein, die Altstadtfassaden von
       Palma zieren wütende Graffitis, die Touristen mit Terroristen vergleichen.
       Warum also nicht mal woanders hin zur Abifahrt? Saufen kann man schließlich
       auch in Manchester.
       
       Klar – Stockholm ist nicht Lloret de Mar und die Bretagne weit entfernt von
       Bali. Aber das wirklich Tragische ist ja: Viele wissen nicht mal das. Da
       könnte Interrail Abhilfe schaffen.
       
       Und nebenbei das bisher Undenkbare leisten – dass Erdkunde als Schulfach
       endlich beliebt wird. Und: Anders als das Erasmus-Programm richtete sich
       das Interrail-Angebot nicht nur an eine akademische Elite.
       
       Nur die Rechten sind natürlich wieder dagegen. Beatrix von Storch giftet
       schon auf Facebook: Die EU wolle, herrje, „Bahnfahrscheine“ einfach so
       verschenken: „Gerne, aber bezahlt das aus Euren schwarzen Parteikassen,
       nicht von Steuergeld.“ Vielleicht missfällt ihr die Idee ja auch so, weil
       ihre Rivalin, AfD-Chefin Frauke Petry, kürzlich im amerikanischen Magazin
       New Yorker porträtiert wurde und Interviews in fließendem Englisch gibt.
       
       ## Nicht nur für die akademische Elite
       
       Eines aber muss man bei aller Euphorie auch sehen: Geschenkte Reisefreiheit
       ist kein didaktischer Selbstläufer. Jemand, der nicht mit seinem
       Mitbewohner befreundet sein will, wird eher noch verstockter, wenn man
       einander ständig in der Küche über den Weg läuft. Und wenn wir richtig Pech
       haben, sitzt im Abteil nebenan die Junge Alternative, die ihr
       Interrailticket für einen Austauschbesuch bei Mademoiselle Le Pen junior
       nutzt.
       
       Davon abgesehen aber ist das Ganze eine großartige Idee. Wenn es etwas
       umsonst gibt, kann schließlich auch der Faulste nicht nein sagen. Nicht mal
       zur EU.
       
       5 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johanna Roth
       
       ## TAGS
       
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