# taz.de -- Eröffnung der Frankfurter Buchmesse: Nicht ohne meinen Bodyguard
       
       > Can Dündar verteidigt das freie Wort, Arnon Grünberg und Charlotte Van
       > den Broeck suchten bei der Eröffnung nach den richtigen Worten.
       
 (IMG) Bild: Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet, auf der Buchmesse
       
       Bewacht von Personenschützern traf der türkische Journalist Can Dündar am
       Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse ein. „Sie halten seine Frau als
       Geisel in der Türkei fest“, sagt Buchmessedirektor Juergen Boos, der zu
       einem Hintergrundgespräch mit Dündar geladen hat. Die Situation des
       früheren Chefredakteurs der Tageszeitung Cumhuriyet in der Türkei ist
       dramatisch. In seinem Buch „Lebenslang für die Wahrheit“ (Hoffmann und
       Campe) beschreibt er, wie er am 6. Mai 2016 nur knapp einem Mordanschlag
       entgeht.
       
       Dündar und seine Kollegen stehen im Fadenkreuz von Islamisten und des
       Apparats des türkischen Präsidenten Erdoğan. 2013 hat der Cumhuriyet-Chef
       über Korruption bei Erdoğans Partei AKP berichtet. Präsidentensohn Bilal
       soll im großen Stil Geldwäsche für seinen Vater betrieben haben. Im Jahr
       2014 enttarnten Dündar und seine Kollegen Waffenlieferungen des türkischen
       Geheimdienstes an islamistische Extremisten in Syrien. Erdoğan kündigte an,
       dass Dündar einen „hohen Preis“ für seinen „Verrat“ bezahlen würde.
       
       Am selben Tag, als das Attentat auf Dündar im Mai 2016 scheiterte, wurde
       der frühere Cumhuriyet-Chefredakteur wegen Veröffentlichung von
       Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Die
       Staatsanwaltschaft hatte „lebenslang“ gefordert. Das Urteil ist noch nicht
       rechtskräftig, Dündar verließ im August die Türkei. Doch in Frankfurt
       wollte er jetzt weniger über seinen prominenten Fall sprechen. Seit der
       Verhängung des Ausnahmezustands wurden weit über hundert Journalisten und
       Tausende andere Unschuldige inhaftiert.
       
       „Wir sind gerade dabei, das einzige säkular ausgerichtete Land in der
       islamischen Welt zu verlieren“, so Dündar. Die Türkei sei auf dem Weg in
       „eine Art islamische Diktatur“. Wie zuvor schon einige Redner auf der
       Eröffnungsfeier der Buchmesse in der Halle des Kongresscenters bezweifelt
       Dündar, dass die Europäische Union derzeit alles täte, um Meinungsfreiheit
       und Menschenrechte in der Türkei zu sichern. Dennoch, so Dündar, sei die
       Entwicklung offen. Die türkische Gesellschaft verfüge über eine starke
       demokratisch-säkulare Tradition.
       
       ## Ökonomische Nutzlosigkeit von Kunst
       
       Am Abend zuvor hatte bereits Heinrich Riethmüller, Vorsteher des
       Börsenverein des deutschen Buchhandels und Veranstalter der Buchmesse, von
       der deutschen Politik gefordert, sie dürfe „die Freiheit des Wortes“ nicht
       gegen opportunistische Erwägungen (Flüchtlingszäune, Militärstützpunkte)
       eintauschen. Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments,
       erwiderte als weiterer Festredner, anstatt die deutsche Politik anzuklagen,
       müsste man hier besser seinen Appell direkt an den türkischen Präsidenten
       Erdoğan richten: „Lassen Sie die Leute frei!“ Die Deutschen könnten in der
       Türkei vielleicht derzeit gar nicht so viel ausrichten.
       
       Die Debatte über Menschenrechte, Flüchtlingspolitik und Meinungsfreiheit in
       der Kongresshalle verfolgten auch die Königspaare aus den Niederlanden und
       Belgien. Die Sprachregion Niederlande und Flandern sind der diesjährige
       Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Literarisch wurde der Ehrengast zur
       Eröffnung auf der Bühne von dem gemischten Doppel Arnon Grünberg und
       Charlotte Van den Broeck repräsentiert.
       
       Der 1971 geborene holländische Schriftsteller sowie die zwanzig Jahre
       jüngere belgische Lyrikern suchten in einer dialogischen Performance der
       Steife des Etiketts zu entrinnen. Das gelang nur halb. Und besser noch
       Charlotte Van den Broeck, die sprachlich geschickt, ein Plädoyer auf die
       ökonomische Nutzlosigkeit von Kunst sowie die Spontanität der Gedanken
       hielt.
       
       Für Arnon Grünberg hingegen, der in Deutschland viele Leser hat, schien das
       leichte Format etwas zu schwer. Seine Beiträge zielten auf Identität und
       Empathie, verbargen dabei allerdings mehr, als sie preisgaben. Ein flüchtig
       eingestreuter Hinweis auf seine jüdischen Vorfahren. Er wirkte blockiert
       und dabei abstrakt um sich selbst kreisend. Im Herbst ist das berührende
       Buch seiner Mutter Hannelore Grünberg-Klein, „Ich denke oft an den Krieg,
       denn früher hatte ich dazu keine Zeit“ (Kiepenheuer & Witsch) erschienen.
       
       Grünbergs Eltern, Berliner Juden, haben den Holocaust überlebt. Hannelore
       Grünberg-Klein, geb. 1927, schildert in diesem großen schmalen Band von der
       gescheiterten Flucht der Familie nach Kuba, dem Stranden in Holland,
       Kindheit, Lager, Vernichtung, Überleben. Niemand will auf seine Herkunft
       festgelegt werden. Dennoch oder gerade deswegen ist gerade auch den Fans
       Arnon Grünbergs das Buch seiner Mutter sehr zu empfehlen.
       
       20 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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