# taz.de -- Protest in Madrid: Schüler streiken gegen Hausaufgaben
       
       > Der Unmut einer Mutter findet Gehör: Elternverbände rufen zum Streik auf,
       > das Madrider Parlament streitet über gesetzliche Vorgaben.
       
 (IMG) Bild: Schüler_innen in Bilbao: Sollen Hausaufgaben erziehen oder strafen?
       
       MADRID taz | Spaniens Kinder sind überfordert. Im Vergleich zu anderen
       OECD-Ländern haben sie zwar weniger Tage Schule pro Jahr, bei den
       Schulstunden liegen sie über dem OECD-Schnitt. Kommen die spanischen Kinder
       nach Hause, geht es weiter: 6,5 Stunden in der Woche sitzen sie über
       Büchern und Heften. OECD-weit sind es gerade einmal fünf Stunden. Nur
       Kinder in Russland, Italien, Irland und Polen büffeln mehr. So mancher
       spanische Lehrer gibt Hausaufgaben sogar über die Sommerferien auf. Drei
       Monate betreten die Kinder keine Schule. Ohne Aufgaben, so die Begründung,
       würden sie das Gelernte wieder vergessen.
       
       Jetzt soll Schluss sein mit der Hausaufgabenflut, so zumindest verlangt es
       der größte Elternverband Ceapa. Für November ruft er zum
       Hausaufgabenstreik. „Wir wollen die Zeit unserer Kinder zurückgewinnen, vor
       allem die der Kleinsten“, erklärt Ceapa-Chef José Luis Pazos. Erst einmal
       werden sie nur am Wochenende keine Hausaufgaben machen.
       
       Wenn die Proteste keine Wirkung zeigen, könnten sie im kommenden Jahr auch
       auf die Wochentage ausgeweitet werden. Die Hausaufgaben seien nicht nur
       zusätzlicher Stress und gingen auf die Kosten der Freizeit, sie würden auch
       die soziale Ungleichheit der Schüler beim Lernen festschreiben. Schließlich
       könnten nicht alle Eltern gleich gut ihre Kinder dabei unterstützen, lauten
       die Argumente für den freien Nachmittag.
       
       „Die Hausaufgaben sind heute mehr eine Art Strafe als die Möglichkeit, dass
       die Kinder das Gelernte vertiefen“, erklärt Eva Bailén. Die Mutter von drei
       Kindern im schulpflichtigen Alter macht seit rund zwei Jahren gegen
       Hausaufgaben mobil. Sie sammelte im Netz über 200.000 Unterschriften für
       eine Petition an das Bildungsministerium. „Es gibt keine Rechtfertigung
       dafür, dass ein Kind so viele Stunden nach der Schule für meist mechanische
       Aufgaben aufbringen muss, die nur schwer Kompetenzen erweitern“, heißt es
       darin.
       
       ## Kein Verständnis bei Lehrern
       
       In Spanien herrscht Dauerwahlkampf. Da ist jedes Thema recht, um Stimmen zu
       gewinnen. Das dachten sich auch die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger).
       Sie griffen im Land Madrid die Initiative von Bailén auf und brachten eine
       Resolution gegen die Hausaufgaben ins Regionalparlament ein. Diese wurde
       von den Sozialisten und von der jungen Antiausteritätspartei Podemos
       unterstützt. Die regierenden Konservativen enthielten sich. In der
       verabschiedeten Resolution wird das regionale Bildungsministerium
       aufgefordert, die Zeit für Hausaufgaben sowie die Inhalte gesetzlich
       festzulegen und auf der Bildungskonferenz auf andere Regionen einzuwirken,
       damit das Thema spanienweit geregelt wird.
       
       Der katholische Elternverband Concapa freilich sieht das anders. Er ist vor
       allem an Privatschulen stark, wo traditionell mehr Wert auf Hausaufgaben
       gelegt wird als an den öffentlichen Schulen. „Die Hausaufgaben sind
       notwendig, in einem vernünftigen Rahmen. Wir werden auf keinen Fall zum
       Ungehorsam aufrufen“, erklärt ein Concapa-Sprecher.
       
       Auch bei Lehrern stößt der bevorstehende Hausaufgabenstreik und der Ruf
       nach gesetzlicher Hausaufgabenregelung auf Unverständnis. „Das kann nicht
       per Gesetz festgelegt werden. Hausaufgaben sind ein Teil des erzieherischen
       Projektes einer Schule“, erklärt die Sprecherin der Lehrergewerkschaft,
       Isabel Galvín. Die Hausaufgaben sollten allerdings nicht aus dem bestehen,
       wofür im Unterricht keine Zeit war“, fügt die Didaktikprofessorin hinzu.
       Was sie am meisten stört: „Keiner fragt, warum so viel zu Hause gearbeitet
       wird.“ Ihre Vermutung: Das liegt an der Sparpolitik.
       
       In Madrid, wo die Debatte über die Hausaufgaben begonnen hat, arbeiten
       heute 8.000 Lehrkräfte weniger als vor der Krise. Der Bildungshaushalt
       wurde um 12 Prozent gekürzt. Das Land gibt jährlich gerade einmal 5.049
       Euro pro Schüler aus – im Baskenland ist es doppelt so viel.
       
       19 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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