# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Nicaragua: Der Managua-Clan
       
       > Exguerillero Daniel Ortega wird am Sonntag als Präsident wiedergewählt.
       > Zweitwichtigste Person im Staat ist seine Frau Rosario Murillo.
       
 (IMG) Bild: Konkurrenzloser denn je: Präsident Daniel Ortega und die zukünftige Vizepräsidentin Rosario Murillo
       
       MANAGUA taz | Daniel Ortega wird am 6. November zum dritten Mal in Folge
       und zum vierten Mal insgesamt zum Präsidenten von Nicaragua gewählt werden.
       Im Grund kann das nur noch sein Tod verhindern. In diesem Fall würde dann
       seine Gattin Rosario Murillo gewählt, die seine Kandidatin für die
       Vizepräsidentschaft ist.
       
       Ansonsten bleibt nur die Frage, ob Ortega, der 70 Jahre alte ehemalige
       sandinistische Guerillero, der sich immer noch gerne mit „Comandante“
       ansprechen lässt, 60, 70 oder gar 90 Prozent der abgegebenen Stimmen
       erhält. In Umfragen kommen die Kandidaten der Oppositionsparteien zusammen
       auf nicht einmal 10 Prozent. Die Wahl ist, „auf gut Nicaraguanisch gesagt,
       der Kampf eines losgelassenen Tigers gegen einen angebundenen Esel“, sagt
       Sergio Ramírez, der während der ersten Präsidentschaft Ortegas in den
       achtziger Jahren dessen Stellvertreter gewesen war.
       
       Seit dem 19. Juli 1979, als die sandinistische Befreiungsfront (FSLN) nach
       zwei Jahren Bürgerkrieg den Diktator Anastasio Somoza gestürzt hatte und
       siegreich in Managua einmarschiert war, hat kein anderer Politiker
       Nicaragua so geprägt wie Daniel Ortega. Zuerst war er Mitglied einer
       fünfköpfigen Revolutionsjunta, ab 1984 dann gewählter Präsident. Selbst die
       Wahlniederlage von 1990 gegen die konservative Violeta Barrios de Chamorro
       hat seine Macht nur unwesentlich eingeschränkt. Schon am Tag nach seiner
       Niederlage hatte er vor Anhängern angekündigt, die FSLN werde nun eben „von
       unten regieren“.
       
       Polizei und Armee waren nach dem Sieg der Revolution neu aufgebaut worden
       und sind bis heute unter der Kontrolle der Sandinisten. Dazu verfügt die
       Partei – anders als alle anderen in Nicaragua – über eine landesweit
       verbreitete straff organisierte Basis. Die rief Ortega als
       Oppositionspolitiker bei jeder Regierungsentscheidung, die ihm missfiel,
       auf die Straße. Er konnte das Land mit Demonstrationen und Straßenblockaden
       nach Belieben lahmlegen und Barrios de Chamorro jeden Kompromiss abtrotzen.
       
       Ihr Nachfolger Arnoldo Alemán, ein skrupellos korrupter Politiker mit
       ausgeprägtem Instinkt für die Macht, wusste, dass er diese nur ausüben
       konnte, wenn er einen Teil davon Ortega abtrat. Die beiden einigten sich
       auf das, was bis heute in Nicaragua „der Pakt“ heißt: Sie teilten unter
       ihren Anhängern alle wichtigen Staatsämter auf, von der Wahlbehörde über
       den Rechnungshof bis zum obersten Gerichtshof. Sie änderten das Wahlrecht
       so, dass dem Sieger der Präsidentschaftswahl auch 35 Prozent der Stimmen
       genügten. So viel, wusste Ortega, wird er immer bekommen. Wenn es ihm dann
       noch gelänge, die traditionell zerstrittene politische Rechte zu spalten,
       würde er wieder ins höchste Staatsamt gewählt.
       
       ## Beschuldigung wegen sexuellen Missbrauchs
       
       Nur einmal kam er kurz ins Straucheln: 1998 beschuldigte ihn seine
       Stieftochter Zoilamérica Narváez, ein Kind aus einer früheren Beziehung von
       Rosario Murillo, sie seit ihrem 13. Lebensjahr immer wieder sexuell
       missbraucht zu haben. Juristisch konnte man Ortega nichts anhaben. Als
       ehemaliger Präsident und Parlamentsabgeordneter genoss er strafrechtliche
       Immunität.
       
       Und politisch sprang ihm Murillo zur Seite und bezichtigte ihre Tochter der
       Lüge. „Das hat ihr enorm viel Macht gegeben“, sagt die einstige
       FSLN-Kommandantin Dora María Téllez. „Ortega muss ihr eine große Rechnung
       zurückbezahlen und als guter Politiker wusste er das.“
       
       Bei der Wahl 2006 war die Chance gekommen, auf die Ortega seit dem Pakt mit
       Alemán gewartet hatte: Die Rechte war zerstritten und hatte keinen
       charismatischen Kandidaten. Zudem war es Ortega und Murillo gelungen, ihren
       einstigen Todfeind Miguel Obando y Bravo, den einflussreichen
       stockkonservativen Erzbischof von Managua, auf ihre Seite zu ziehen.
       
       Das Paar hatte sich nach sieben gemeinsamen Kindern von ihm trauen lassen
       und ihm zudem mit den Stimmen der Parlamentsfraktion der FSLN eines der
       restriktivsten Abtreibungsgesetze der Welt geschenkt. In Nicaragua sind
       seither Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen bei hohen Strafen
       verboten – selbst wenn ein Kind nach einer Vergewaltigung schwanger wird.
       
       Geld für einen bombastischen Wahlkampf war 2006 vorhanden. Hugo Chávez, der
       damalige linkspopulistische Präsident Venezuelas, vergab über den Verbund
       Petrocaribe Erdöl zu Vorzugsbedingungen an befreundete Regierungen. Wo die
       politische Rechte an der Macht war, gründeten linke Parteien wie die FSLN
       private Unternehmen, die dann in den Genuss des billigen Erdöls kamen. Über
       das von Ortega kontrollierte Unternehmen Albanisa sind so bis heute über 3
       Milliarden US-Dollar quasi privater Hilfe ins Land gekommen, über die
       keinerlei öffentliche Rechenschaft abgelegt werden muss. Ortega wurde 2006
       mit 38 Prozent der Stimmen ins Präsidentenamt gewählt und hat es nicht mehr
       abgegeben.
       
       ## Ein politisch stabiles Land
       
       Das vorher unruhige Nicaragua ist seither ein politisch stabiles Land und –
       zusammen mit Costa Rica – eine Insel der Sicherheit in einer von
       Gewaltkriminalität geprägten Region. Die arme Bevölkerungsmehrheit hat von
       der Rückkehr Ortegas an die Macht profitiert. Seine neoliberalen Vorgänger
       hatten das staatliche Bildungs- und Gesundheitssystem ausbluten lassen, er
       aber investierte.
       
       Er ließ Schulen und Gesundheitsposten auf dem Land bauen, schaffte
       Schulgebühren genauso ab wie die Beteiligung der Patienten an den
       Krankheitskosten. Mit Geld aus den Albanisa-Gewinnen legte er
       Sozialprogramme auf, fördert Kleinbauern in den Hungerzonen des Landes und
       den Bau einfacher Wohnungen. Und die Begünstigten wissen: Diese Hilfe kommt
       nicht vom Staat, sie kommt von Daniel Ortega.
       
       Kommt es doch einmal zu Protesten, lässt er sie frühzeitig von der Polizei
       unterdrücken. Zuletzt mussten das Demonstranten erfahren, die gegen das
       Projekt eines riesigen interozeanischen Kanals protestierten, den ein
       chinesischer Investor quer durch Nicaragua graben will. Der Baubeginn wird
       immer wieder verschoben; nicht etwa wegen der Proteste, sondern wegen
       Zweifeln an der Finanzierbarkeit und möglichen Rentabilität des Projekts.
       
       Der mächtige Unternehmerverband Cosep, der Ortega in seiner ersten Amtszeit
       militant bekämpft hatte, ist längst zum Freund des Präsidenten geworden.
       Der lässt die wenigen großen Unternehmen des Landes schalten und walten,
       wie sie wollen. Zwar kontrolliert er über Albanisa das weitaus größte
       Tankstellennetz des Landes und die Erdölimporte. Doch er habe kein
       Interesse, die Wirtschaft des Landes zu dominieren, sagt Carlos Fernando
       Chamorro, einst Chefredakteur der 1998 eingestellten sandinistischen
       Parteizeitung Barricada und heute einer der profiliertesten Kritiker
       Ortegas. „Er ist sicher reich“, sagt der Journalist. „Aber er ist
       wahrscheinlich nicht korrupt.“
       
       ## Familie als Propagandamaschine
       
       Einzig ein Sektor der Wirtschaft scheint ihn zu interessieren: die
       Kommunikation. Über ihre Kinder hat sich die Familie ein Imperium aus vier
       landesweiten Fernsehsendern, vielen Radiostationen und etlichen
       Werbeagenturen zusammengekauft. Diese Propagandamaschine, so Chamorro,
       „dient der Absicherung seiner Macht“. Ortega sei „ein tropischer
       Stalinist“. Und die USA dulden ihn gerne und sehen schweigend darüber
       hinweg, dass er gelegentlich noch immer gegen den „Yankee-Imperialismus“
       wettert. Was in Washington interessiert, ist die Stabilität des Landes.
       Alles andere ist Folklore.
       
       Innerhalb der FSLN ist Ortegas Macht längst unumstritten. Wer immer ihm
       widersprach oder gar selbst Führungsansprüche formulierte, wurde so lange
       mit einer Schmutzkampagne überzogen, bis er die Partei verließ. Selbst
       sandinistische Ikonen wie der Dichter und Priester Ernesto Cardenal sind
       längst aus der FSLN ausgetreten. Aus der einst neunköpfigen kollektiven
       Führung ist nur noch Bayardo Arce als Wirtschaftsberater des Präsidenten
       übrig geblieben. Parallel zu dieser Säuberung hat Murillo ein neues
       Netzwerk junger und absolut ergebener Kader aufgebaut.
       
       Die 65-jährige Präsidentengattin, eine Poetin mit ausgeprägter esoterischer
       Ader, dunklen Locken und stets papagaienbunten Kleidern, ist das
       öffentliche Gesicht der Regierung. Sie hat eine tägliche Fernsehshow, in
       der sie Regierungsbeschlüsse verkündet und alles kommentiert, bis hin zum
       Wetter.
       
       Der Werbeslogan der Regierung („Christlich. Sozialistisch. Solidarisch“)
       ist genauso von ihr wie die Parteifarbe Rosa, mit der vor ein paar Jahren
       das traditionelle Rot-Schwarz der Sandinistenflagge ersetzt wurde. Termine
       mit Regierungsmitgliedern gibt es nur über sie. Zum Präsidenten, einst ein
       zugänglicher Mann, lässt sie so gut wie niemand mehr vor. Er selbst tritt
       nur noch selten öffentlich auf.
       
       ## Gerüchte über Krankheit
       
       Ärzte aus Ortegas Umfeld sagen hinter vorgehaltener Hand, er leide seit
       Jahren unter Lupus, einer seltenen Erkrankung des Immunsystems. Bei seinen
       wenigen Reden wirkt er nicht mehr so hellwach wie früher, spricht
       schleppend und oft mit langen Pausen. Er ist langsam geworden, Körper und
       Gesicht sind ein bisschen aufgeschwemmt. Man sagt, das komme vom Cortison.
       
       „Über die Krankheit von Ortega gibt es viele Gerüchte, aber nichts
       Sicheres“, sagt Carlos Fernando Chamorro. Der Präsident möge unkonzentriert
       erscheinen und abwesend, „aber er ist nicht verwirrt. Er gibt noch immer
       die Agenda des Landes vor und hat alles unter Kontrolle.“
       
       Dora María Téllez vergleicht ihn mit dem 2013 verstorbenen Hugo Chávez.
       Auch der habe, schon vom Tod gezeichnet, noch immer alles bestimmt, bis hin
       zu seinem Nachfolger. „Ortega wird das Präsidentenamt nur tot verlassen“,
       sagt sie. Und dann werde Rosario Murillo seine Nachfolgerin.
       
       5 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Toni Keppeler
       
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