# taz.de -- Leipziger Handballer im Final Four: Erstmal ein bisschen weinen
       
       > Während RB die Fußballbundesliga aufmischt, verblüfft der SC DHfK Leipzig
       > beim Handball. Trainer Christian Prokop könnte das Team bald verlassen.
       
 (IMG) Bild: Wie von Trainer Prokop gelernt: SC DHfK Spieler Aivis Jurdzs setzt zum Wurf an
       
       LEIPZIG taz | Sechzig Sekunden vor Ablauf der Spielzeit ließen die Gäste
       aus Hannover die Köpfe hängen und den Ball nur noch laufen. Schon in den
       Minuten davor war zu erkennen: Die Spieler glaubten nicht mehr an einen
       Sieg. Dann: Abpfiff. Jubel. Sensation. Die Leipziger haben es geschafft,
       den nächsten, fast unglaublichen Erfolg erreicht. Doch von RasenBallsport
       Leipzig, dem Aufsteiger und Bayern-Jäger, ist nicht die Rede. Es geht um
       Handball. Um den SC DHfK Leipzig.
       
       „Unglaublich“, jubelte der sichtlich überwältigte Kapitän Lukas Binder am
       Dienstagabend nach dem Spiel. „Nachher muss ich, glaube ich, erst mal
       irgendwo ein bisschen weinen. Ich habe immer gedacht, dass ich mal ein
       halber Drittligaspieler werde und jetzt stehe ich im Final Four.“ Das Final
       Four ist das Finale des DHB-Pokals, das Handballpendant zum DFB-Pokal im
       Fußball.
       
       Halbfinale und Finale werden an einem Wochenende im April in Hamburg
       ausgetragen. Die große Handballbühne. Dass sich die Leipziger dafür
       qualifizieren konnten, ist der größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Mit
       28:24 hatten sie den Gegner TSV Hannover-Burgdorf niedergerungen. Auf die
       so typische Art des SC DHfK: mit einer extrem laufintensiven und stabilen
       Defensive. Immer wieder rannten die Hannoveraner an, fanden aber zu selten
       Lücken im Defensivverbund, wirkten am Ende entnervt.
       
       Vielleicht war es auch ein Stück mehr Wille, der die Leipziger zum Sieg
       getragen hat. Der SC DHfK schwimmt, ähnlich wie der große Nachbar RB
       Leipzig, aktuell auf einer Erfolgswelle. In der vergangenen Saison landete
       der Club als Aufsteiger auf einem ruhigen elften Platz. Aktuell stehen sie
       sogar auf Tabellenrang fünf. Dazu kommt der jüngste Pokalcoup.
       
       Hinter dem Erfolg steht ein Mann, der zuletzt stark im medialen Fokus
       stand: Christian Prokop. Denn der Coach ist einer von zwei aussichtsreichen
       Kandidaten auf den Cheftrainerposten der Nationalmannschaft. Der amtierende
       Trainer Dagur Sigurdsson verlässt den Verband nach der anstehenden WM.
       
       ## Taktik im Kopf
       
       Zurück aus einer Jubeltraube vor über 4.000 Zuschauern in der Arena Leipzig
       wurde Prokop schnell wieder analytisch. So wie es seine Art ist. Wer mit
       dem 37-Jährigen spricht, der hat oft das Gefühl, dass Prokop nicht so
       richtig anwesend ist. Der gebürtige Köthener schaut seinem Gegenüber selten
       richtig in die Augen. Oft wirkt es, als habe er bereits die nächste
       Gegneranalyse, die nächste Taktik im Kopf.
       
       Als Spieler schaffte er es in die Bundesliga, ehe ihn eine Knieverletzung
       stoppte. Damit er überhaupt weiterspielen konnte, schulte er, eigentlich
       Rechtshänder, seine Wurfhand um. Fortan warf Prokop mit links, konnte so
       sein Knie entlasten. Zwar schaffte er es als Spieler nicht mehr zu alter
       Stärke, die Geschichte zeigt aber den unbedingten Willen von Prokop.
       
       Eine Mannschaft ohne große Stars hat Prokop von der zweiten in die erste
       Bundesliga geführt und ist dabei, den Verein dort zu etablieren. „Größe
       gemessen am Etat oder an der Anzahl der Nationalspieler, dann sind wir ein
       ganz kleines Licht“, betonte Geschäftsführer Karsten Günther.
       
       Was den Leipzigern auf der Platte an individueller Qualität fehlt, macht
       Prokop mit Training und Taktik wett. „Er stellt uns immer perfekt ein,
       sodass wir unseren Kopf ausstellen können und die Automatismen greifen“,
       meint auch Kapitän Binder. Dafür bereitet sich der Coach akribisch vor,
       seziert den Gegner regelrecht.
       
       In der vergangenen Saison wurde Prokop zum Trainer des Jahres gewählt. Als
       Sigurdsson vor einigen Monaten ankündigte, als Bundestrainer aufzuhören,
       richtete sich der Fokus schnell auf Prokop, der beim SC DHfK noch einen
       Vertrag bis 2021 hat. Kann sich der klamme Deutsche Handballbund (DHB) eine
       Ablöse leisten? Und will der Trainer überhaupt weg?
       
       ## Gehen oder Bleiben
       
       Die Fans der Grün-Weißen jedenfalls stellten sich unter dem Motto „Ich bin
       PROkop“ hinter den Coach, wollten ihn zum Bleiben bewegen. Es nutzte
       nichts. Nach dem Ligaspiel in Flensburg Ende November sagte der Umworbene
       erstmals: „Die Aufgabe des Bundestrainers ist sehr reizvoll – auch, wenn
       Leipzig eine Herzensangelegenheit war und ist. Ich habe eine persönliche
       Entscheidung getroffen und die heißt, dass ich gerne das Amt des
       Bundestrainers übernehmen möchte.“ Die Entscheidung des DHB, wer denn nun
       neuer Nationaltrainer wird, Prokop oder der ehemalige Nationalspieler
       Markus Baur, steht noch aus.
       
       Der SC DHfK in seiner heutigen Form wurde 2007 gegründet. Zu DDR-Zeiten
       gewann der Vorgängerverein sechsmal die DDR-Meisterschaft und den
       Europapokal der Landesmeister. Nach der Wende gab es in und um Leipzig
       immer wieder ambitionierte Projekte, für Schlagzeilen sorgte zum Beispiel
       der im Jahr 2010 insolvente SV Concordia Delitzsch. Ein kleiner Verein
       wollte mehr sein, als er eigentlich hergab.
       
       Nach dem Pokalspiel war im VIP-Bereich der Leipziger Arena der Gegenentwurf
       zu sehen. Geschäftsführer Günther herzte jeden einzelnen Gast, jeden
       Sponsor. Das mag provinziell wirken, ist aber der Weg der kleinen Schritte,
       den der Verein gehen will. „Ein Verein ist mehr, ein Verein ist ganz viel
       Herzblut von den Mitarbeitern, den Fans, den Sponsoren. Da müssen wir uns
       vor keinem verstecken“, sagte ein sichtlich euphorisierter Günther und
       fügte etwas überschwänglich hinzu: „Das Einzige was uns limitiert, ist das
       Hallendach. Der Rest ist Fleiß, ist Zeit, ist Geduld. Wenn wir kreativ und
       demütig bleiben, dann ist hier alles möglich.“ Was hinter diesen Aussagen
       auch steckt: Niemand ist größer als der Verein, auch kein Christian Prokop.
       
       Dennoch ist klar: Im Handball sind die Verhältnisse zwischen Groß und Klein
       fest zementiert. Mannschaften wie Kiel, Flensburg, Magdeburg oder die
       Rhein-Neckar-Löwen, haben Saisonetats von über 5 Millionen Euro. In Leipzig
       beträgt das Budget dagegen nur etwas mehr als 2 Millionen Euro.
       
       ## Gesunder Realismus
       
       Es wird dauern, bis der DHfK diesen Rückstand wieder aufholen kann. Zumal
       RB Leipzig derzeit die Handballer überstrahlt, auch wenn Günther sagt: „Wir
       schauen viel voneinander ab und unterstützen uns ganz herzlich“.
       
       Erst mal wollen die Leipziger ihren Weg weitergehen. Und der heißt in
       dieser Saison, möglichst schnell 25 Punkte sammeln und die Klasse halten.
       Von mehr träumt im Verein (noch) niemand. So sagte auch Prokop: „Das ist
       mit Sicherheit keine ungefährliche Situation.“ Die Final-Four-Spiele in
       Hamburg habe man bereits im Kopf, aber der Klassenerhalt sei noch nicht
       erreicht. „Wir müssen schon am Samstag den Schalter wieder auf die Liga
       umlegen“.
       
       Mit dieser gesunden Portion Realismus haben sich Verein und Coach in den
       letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Doch der SC DHfK wird für Prokop
       irgendwann zu klein sein. Die Frage ist nur: Heute oder in Zukunft?
       
       Auf der anderen Seite hat sich der SC DHfK zu einem Biotop entwickelt, das
       eine perfekte Symbiose mit seinem Erfolgstrainer eingegangen ist. Der als
       Eigenbrötler geltende Prokop hat freie Hand und eine Mannschaft, die ihm
       bedingungslos folgt. Dazu kommt ein Geschäftsführer, der ihm Freiräume
       zugesteht und den Verein ruhig und mit kleinen Schritten entwickelt. Und er
       hat Fans, die ihren Coach, ihre Mannschaft, lieben.
       
       Viertausend Zuschauer sind für Handballverhältnisse mehr als ordentlich.
       Der Sport wächst. Ein neuer TV-Vertrag verspricht mehr Geld und mehr
       mediale Aufmerksamkeit. Harmonie und Wachstum in Grün-Weiß also. „In der
       Konstellation können wir noch viel erreichen“, erklärte auch Günther und
       fügte hinzu: „Deswegen wäre es klasse, wenn wir so weitermachen könnten.“
       
       18 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Held
       
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