# taz.de -- Menschenhandel in Nigeria: „Es könnten auch meine Töchter sein“
       
       > Die Behörde gegen Menschenhandel setzt auf Technik, Aufklärung und
       > internationale Zusammenarbeit. Ihre Aufklärungskampagne zeigt Wirkung.
       
 (IMG) Bild: Busfahrer Chuck hängt Plakate gegen Menschenhandel auf
       
       ABUJA taz | Nigerias Hauptstadt Abuja hat bestimmt hundert 'Motor Parks’.
       Das sind Busbahnhöfe, Autoreparaturwerkstätten und Restaurants auf
       ansonsten unbebautem Gelände – gerne auch in der Schleife einer
       Autobahnauffahrt, oder auf Grundstücken mit ungeklärten
       Besitzverhältnissen. Die Geräuschkulisse ist immens. An der einen Ecke
       werden die neusten Videos gespielt, an der nächsten dröhnt ein riesiger
       Basslautsprecher. Der Wasserverkäufer preist immer gleichen Tonus sein
       Frischwasser an. Dem Singsang ist das Ursprungswort 'Pure Water’ kaum zu
       entnehmen.
       
       Aus den Motor Parks geht es in alle Himmelsrichtungen: Kleine Holzschilder
       stehen auf den Autos: Benin-City, Abia, Warri, Lagos, das sind die Städte
       der Südroute. „Lalalalalagos!“ wirbt der Fahrkartenverkäufer um Kundschaft.
       Keine drei Meter weiter preist der nächste seine Fahrt nach „Beeeeeeeeenin“
       –City an.
       
       In einem solchen Motor Park hat Chuck Nwaegbe sein Geschäft. Wenn der
       34-jährige Nigerianer, stets mit frischgebügeltem Hemd und einem offenen
       Blick, nicht als Zusteller für Online-Bestellungen im Viertel herumflitzt,
       fährt er die langen Strecken: von Abuja in die beiden Benins. Zunächst geht
       es nach Südosten nach Benin-City und von dort aus Richtung Küste, nach
       Lagos, am Meer entlang zur Grenze zum Nachbarland, der Republik Benin. Die
       Kontrollen sind ein richtiger Hindernislauf. Die Zöllner und Grenzbeamten
       sind damit beschäftigt, sich ein Zubrot zu verdienen. Die meisten Reisenden
       stecken schon vorsichtshalber Geld in die Pässe, um sich Ärger zu ersparen.
       Aber wer es geschafft hat, ist in gut einer Stunde in Benins Hauptstadt
       Cotonou, der Drehscheibe des westafrikanischen Frauen- und Kinderhandels.
       
       In dieser Woche fährt Chuck nicht. Deswegen war er im Motor Park als ein
       paar Mitarbeitern der Nationalen Behörde gegen Menschenhandel und
       -Schmuggel (NAPTIP) im Motor Park vorbeikamen: Sie luden Fahrer und
       Schaffner ein, an ihrer Aufklärungskampagne gegen Drogen-und Menschenhandel
       teilzunehmen. Die Fahrer und Busbegleiter, so ihre Idee, sollen die Behörde
       informieren, wenn sie Anzeichen für kriminelles Handeln sehen. Wenn sie
       vermuten, dass Menschen ohne Papiere ins Ausland wollen, wenn ein Aufpasser
       Pässe einsammelt oder Gruppen von Kindern und Frauen von merkwürdigen
       Personen begleitet werden. Nun hängt er die Plakate an die Türen seines
       Büros, um Reisende und Fahrer zu mehr Aufmerksamkeit zu ermahnen.
       
       ## Telefondienst rund um die Uhr
       
       „Ich hatte von den illegalen Grenzüberquerungen gehört und dass Leute ins
       Ausland gehen. Die Toten im Mittelmeer, das war im Fernsehen, aber nicht
       real.“ Auch sein Pfarrer habe von Prostituierten im Ausland gesprochen und
       davor gewarnt. Die Einladung von NAPTIP kam gerade recht, so Chuck: „Jetzt
       weiß ich, es könnten auch meine Töchter sein, meine Schwestern, meine
       Enkel. Jetzt weiß ich, was ich tun muss. Ich rufe die Leute von NAPTIP an“.
       
       Die NAPTIP unterhält eine Telefonauskunft. Sechs Nummern sind rund um die
       Uhr besetzt. Die Kampagnen sind einer der vier Arbeitsbereiche von NAPTIP,
       einer paramilitärische Einheit, die fahndet, aufklärt, verhaftet und
       Zufluchtsstätten für Opfer von Menschenhandel betreibt. Sie arbeiten mit
       einem eigenen forensischen Labor und einer Abteilung für Aufklärung und
       Datenaustausch, die eng mit dem weltweiten Polizeinetzwerk Interpol, dem
       europäischen Polizeinetzwerk Europol und der EU-Agentur Frontex
       zusammenarbeitet. Seit der Gründung im Jahr 2003 sei man weit gekommen,
       sagt Godwin Morki, der Direktor der Abteilung Recherche: „Man kann nicht
       einfach Mauern errichten, um Menschenhandel zu unterbinden“. Man müsse
       Technik einsetzen, gut ausbilden und in der Lage sein, Straftäter zu
       entdecken, erklärt er.
       
       Direktor Morki sitzt in seinem Büro. Seine Abteilung Recherche ist für die
       Dokumentation von Fällen und den Austausch von Informationen zuständig. Die
       Aufklärungskampagne lebt von seiner Zuarbeit, von anschaulichen
       Erklärungen, Fällen aus der Praxis, die beschreiben, was Menschenhandel
       ist.Das Erstellen von Täterprofilen sei wichtig, betont der Kriminologe und
       unterstreicht die Wichtigkeit von Expertise und ständiger Weiterbildung.
       „Damit haben wir dann die Situation im Griff“, sagt er.
       
       ## Schutz und Strafverfolgung
       
       Seit 2003 wurden hier 4.240 Verdachtsfälle von Menschenhandel registriert,
       knapp 10.000 Opfer aus den Fängen der Schmuggler befreit. Die Behörde ist
       eine Strafverfolgungsbehörde. Das heißt sie darf ermitteln und verhaften.
       Für die Opfer von Menschenhandel betreibt die NAPTIP neun Schutzhäuser, in
       denen sie sechs Wochen lang betreut werden. Seit ihrer Gründung im Jahr
       2003 wurden 291 Menschenhändler verurteilt. Das ist für Nigeria eine sehr
       hohe Anzahl.
       
       Die Effizienz dieser Behörde resultiert aus ihrer Sonderstruktur. Bei
       NAPTIP fließen die Fäden von internationalen Ermittlungen von Interpol,
       Europol und Frontex zusammen, hier wird auf nationaler Ebene die Arbeit von
       Einwanderungsbehörde, Polizei und Geheimdiensten koordiniert.
       Verdachtsunabhängige Razzien oder Kontrollen führen sie allerdings nicht
       durch. Die Verfolgung von Tipps von Fahrern und Reisenden sowie
       Informationsaustausch mit internationalen Behörden wie Interpol sind da
       schon ergiebiger. Die Medienkampagne im Radio und mit den
       Transportunternehmen mobilisiert den Normalbürger, so wie Chuck, der vor
       seinem Büro sitzt und mit ein paar Kollegen schwatzt und die Reisenden
       beobachtet.
       
       Man müsse sich einmischen, unterstreicht der Automechaniker James Olu. Der
       24-Jährige fährt auch manchmal als Busbegleiter mit. Die Schulung von
       NAPTIP habe ihm vieles gelehrt. „Direkt fragen bringt nichts, man muss die
       Mädchen in ein Gespräch verwickeln, um zu wissen, was da los ist“, ergänzt
       Chuck. Er mache Witze mit den Mädchen, um herauszufinden, wohin sie
       wirklich wollen. Ja, die Rolle eines Detektivs, die gefällt ihm doch sehr
       gut.
       
       12 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Stäritz
       
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