# taz.de -- Menschenhandel in Berlin: Frauen und Kinder als Handelsware
       
       > Kinder und Jugendliche werden immer häufiger Opfer von Menschenhandel.
       > Die Betroffenen kommen aus allen sozialen Schichten und Kulturen.
       
 (IMG) Bild: Beim jährlichen „Walk of Freedom“ gehen weltweit Menschen gegen moderne Sklaverei auf die Straße
       
       BERLIN taz | Blessing ist 13 Jahre alt als sie zum ersten Mal zur
       Prostitution gezwungen wird. Ein Bekannter hatte dem jungen Mädchen aus
       [1][Nigeria] eine Ausbildung in Europa versprochen, doch als sie dort
       ankommt, soll sie als Prostituierte arbeiten. Sie weigert sich, woraufhin
       sie von mehreren Männern vergewaltigt wird. Ganz alleine in einem fremden
       Land, dessen Sprache sie nicht spricht, ohne Pass, ist sie ihren Peinigern
       ausgeliefert. Sie tut, was von ihr verlangt wird und geht anschaffen,
       zuerst in Belgien, später in Deutschland. Wenn sie zu wenig verdient, wird
       sie geschlagen.
       
       Zwei Jahre später wird sie in Berlin bei einer Razzia festgenommen. Aus
       Angst vor den Tätern und einem angeblichen Voodoofluch schweigt die
       15-Jährige gegenüber den Behörden über das, was ihr widerfahren ist. Erst
       in der Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhandel offenbart sie sich
       und sagt einige Monate später gegen die Täter aus.
       
       Fälle wie der von Blessing sind in der Hauptstadt kein Einzelfall, sagt
       Margarete Muresan bei einem Pressegespräch am Donnerstag. Seit zwölf Jahren
       arbeitet sie in der Beratungsstelle des katholischen Verbands für Mädchen-
       und Frauen-Sozialarbeit In Via. Hier finden Betroffene von moderner
       Sklaverei in Berlin seit 25 Jahren Unterstützung. Seit 2010 bieten sie auch
       in Brandenburg aufsuchende Sozialarbeit für Sexarbeiter*innen in der
       Grenzregion zu Polen an.
       
       Rund 5.000 Frauen* aus über 30 Ländern haben sie seitdem beraten. Das Ziel
       sei dabei aber nicht der Ausstieg aus der Prostitution, betont Muresan.
       „Wir wollen unterstützen und aufklären und nicht bevormunden. Die Frauen
       entscheiden selbst, welche Hilfe sie brauchen.“
       
       ## 80 Fälle von Menschenhandel in Berlin
       
       Menschenhandel ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, bei der eine
       Person unter [2][Ausnutzung ihrer Zwangslage] in eine Ausbeutungssituation
       gebracht wird. Das kann Zwangsprostitution sein, aber auch erzwungener
       Handel mit Drogen, unfreiwillige Organentnahme, Diebstahl oder Bettelei.
       
       Davon sind laut Expert*innen auch immer mehr Minderjährige betroffen. In
       Berlin gab es im vergangenen Jahr laut Muresan 80 Fälle von Menschenhandel
       – darunter 30 Minderjährige. Und das sind nur die Fälle, die zur Anzeige
       gebracht wurden, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
       
       Die Betroffenen kommen aus allen sozialen Schichten und Kulturen. „Wir
       waren anfangs überrascht, dass auch viele Deutsche von Menschenhandel
       betroffen sind“, sagt die Leiterin der Beratungsstelle Astrid Gude.
       
       Eine Methode der sexuellen Ausbeutung ist hierzulande etwa die
       „Loverboy-Masche“. Margarete Muresan erzählt von einem Fall aus ihrer
       Beratung: Ein 16-jähriges Mädchen aus guten Verhältnissen lernt in den
       sozialen Medien einen 20-jährigen Mann kennen. Sie chatten, treffen sich,
       er führt sie schick aus und sie fangen eine Beziehung an. „Am Anfang ist
       alles schön, sie ist verliebt“, sagt Muresan.
       
       ## Aus Scham und Angst verzichten Opfer oft auf eine Anzeige
       
       Dann fangen die Probleme an. Der junge Mann sagt, er sei in finanziellen
       Schwierigkeiten, sie könne ihm helfen, indem sie etwas dazu verdiene. Er
       überredet sie, anschaffen zu gehen, als „Ausnahme“, um schnell an Geld zu
       kommen. Doch das Geld reicht nicht, es reicht nie und die Ausnahme wird zur
       Regel.
       
       „Am Schluss hatte sie bis zu 20 Freier am Wochenende“, erzählt die
       Sozialarbeiterin. Das Mädchen wird geschlagen, das Geld wird ihr
       abgenommen, doch erst, als sie erfährt, dass sie nicht die einzige ist,
       schafft sie es, sich von dem Mann zu lösen und sich Unterstützung zu holen.
       
       Viele tun das nicht. Aus Scham, aber auch, weil sie mit kompromittierenden
       Fotos erpresst werden oder die Täter drohen, zur Polizei zu gehen. „Viele
       wissen nicht, dass sie Opfer von Menschenhandel sind und denken, ich habe
       das ja freiwillig gemacht oder sehen sich gar als Täterin“, sagt Muresan.
       
       Doch das Bewusstsein für das Problem steigt. Als infolge des russischen
       Angriffskrieges gegen die Ukraine Tausende Frauen und Mädchen nach Berlin
       flüchteten, war die [3][Sorge vor Menschenhandel groß]. Bislang liegen die
       Zahlen in Berlin laut Muresan jedoch im „niedrigen einstelligen Bereich“.
       
       1 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marie Frank
       
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