# taz.de -- Türkische Fußballliga Süperlig: Erdoğans Kicker
       
       > Der Istanbuler Klub Başakşehir FK ist an die Spitze der Süperlig
       > gekommen. Dazu beigetragen hat wohl ein Netzwerk von AKP-Unterstützern.
       
 (IMG) Bild: Istanbul Basaksehir (orange) gegen AZ Alkmaar (blau) im August 2015
       
       Abdullah Avcı hatte eigentlich allen Grund, bester Laune zu sein. Durch das
       1:1 am Wochenende bei Adanaspor überwintert Medipol Başakşehirir FK als
       Tabellenführer in der Süperlig. Seit dem vierten Spieltag führt die
       Überraschungsmannschaft von Trainer Avcı das Tableau in der Türkei an. In
       Adana aber reagierte der sonst so besonnene Avcı ungewohnt harsch auf ein
       krasses Fehlurteil des Schiedsrichtergespanns.
       
       Der Referee hatte zunächst auf Tor von Marcio Mossoro (72.) entschieden –
       es wäre das 2:1 für Başakşehir gewesen. Nach langen Diskussionen mit dem
       Linienrichter aber zog der Schiedsrichter seine Entscheidung zurück und
       brachte Avcı und seine Elf um den Sieg – dabei stand der Torschütze nicht
       im Abseits.
       
       „Gab es einen Video-Schiedsrichter irgendwo in der Ecke? Ich habe keinen
       gesehen“, ätzte Avcı. Die seltsame Entscheidung sorgte für großen
       Diskussionsstoff am Wochenende. Medipol bleibt zwar weiter ungeschlagen,
       hat aber Vorsprung eingebüßt. Für die großen Stadtrivalen, Besiktas,
       Galatasaray und Fenerbahce bleibt nur die Verfolgerrolle. Der Aufstieg von
       Medipol Başakşehir FK zum Herausforderer der Istanbuler Großklubs ist weder
       Zufall noch ein Märchen. Schon der Name des Klubs liefert einen Hinweis auf
       die vielen Verbindungen zur Regierungspartei AKP und Staatspräsident Recep
       Tayyip Erdoğan.
       
       Vor anderthalb Jahren kaufte sich die Krankenhauskette Medipol bis 2019 in
       den Klub ein. Das Unternehmen gehört Fahrettin Koca, Erdogans Arzt. Auch
       andere Großsponsoren weisen eine große Nähe zur AKP auf. Vor zwei Jahren
       weihte Erdogan persönlich das nach dem aktuellen Nationaltrainer benannte,
       neue Fatih-Terim-Stadion (Kapazität: 17.300) ein. Gebaut wurde die Arena
       von der Kalyon Gruppe, die an den Plänen zum Umbau des Gezi-Parks beteiligt
       war und in den Bau des dritten Flughafens in Istanbul involviert ist.
       Sponsor ist auch das Bauunternehmen Makro Insaat, das mit der Werbung „Bir
       Ev. Bir Aile“ – „Ein Haus. Eine Familie“ – quasi das Programm der AKP in
       sich trägt.
       
       ## Kontinuität ist ein Fremdwort
       
       Die Bande zwischen der politischen Macht und dem Klub sind sogar
       verwandtschaftlicher Natur: Klubpräsident Güksel Gümüşdağ, ein Unternehmer
       und ehemaliger Funktionär im nationalen Fußballverband, ist mit einer
       Nichte von Erdoğans Frau verheiratet. Trotz der vielen Skandale im Fußball
       und der angespannten Lage im Land wurde jüngst ein bemerkenswerter TV-Deal
       geschlossen: Ab der kommenden Runde kassieren die Vereine fünf Jahre lang
       557 Millionen Euro pro Saison statt 321 Millionen.
       
       Den Zuschlag bekam erneut Digitürk, das dem katarischen Unternehmen
       beIN-Sports gehört. Die Katarer greifen den Klubs mit der Erhöhung der
       TV-Gelder unter die Arme, denn seit dem gescheiterten Putsch sinkt der Wert
       der Lira im Vergleich zu Dollar und Euro, in denen die türkischen Klubs
       ihre ausländischen Stars bezahlen. Başakşehir will seine Profis künftig nur
       noch in Lira bezahlen.
       
       Aufgrund seiner potenten Sponsoren verfügt der Klub über eine perfekte
       Infrastruktur, Fans hat der Klub kaum: Im Schnitt kommen nur rund 2.000
       Leute zu den Heimspielen. Der als Plastikklub wahrgenommene Tabellenführer
       ist erst 1990 als Betriebssportgruppe der Istanbuler Stadtverwaltung mit
       dem Namen Istanbul BB gegründet worden. Vor zweieinhalb Jahren wurde die
       Fußballabteilung in ein Unternehmen verwandelt, das in Başakşehir, einem
       Stadtteil auf der europäischen Seite der Metropole, eine neue Heimat fand.
       Doch der Erfolg beruht auch auf einer für türkische Verhältnisse
       außergewöhnlichen Vereinsführung. Kontinuität ist in der Regel ein
       Fremdwort in der Süper Lig, in der vergangenen Saison gab es 23
       Trainerwechsel, in der aktuellen Runde schon acht.
       
       Coach Abdullah Avcı aber ist mit zweieinhalb Jahren Amtszeit eine Ausnahme.
       Der 51-Jährige führte den Klub in seiner ersten Amtszeit (2006 bis 2011) in
       die erste Liga und ins Pokalendspiel 2011. Wegen seines Rufs als Entwickler
       wurde Avcı 2011 als Nationaltrainer berufen, aber noch während der
       WM-Qualifikationsrunde 2013 entlassen. Zusammen mit dem jungen
       Sportdirektor Mustafa Erögüt kann Avcı nun bei Başakşehir selbständig
       Transferentscheidungen treffen. Er holt nur Profis, die in sein System
       passen.
       
       26 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Schächter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Schwerpunkt AKP
 (DIR) Fußball
 (DIR) Besiktas
 (DIR) Russland
 (DIR) Deniz Naki
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Türkische Fußballliga Süperlig: Risikospiel endet mit Terroranschlag
       
       Nach dem Sieg von Beşiktaş über Bursaspor explodieren Bomben. Ziel sind
       Polizisten, die wegen verfeindeter Fans verstärkt im Einsatz sind.
       
 (DIR) Freundschaftsspiel Türkei gegen Russland: Mehr als nur ein Kick
       
       Beim Freundschaftsspiel in Antalya trafen die Türkei und Russland
       aufeinander. Das Spiel wurde zum politischen Symbol einer Aussöhnung.
       
 (DIR) Profispieler Naki über Politik und Fußball: „Niemand soll mehr sterben“
       
       Deniz Naki, Profi beim türkisch-kurdischen Verein Amedspor, über den Zwist
       mit dem türkischen Verband und ein wichtiges Pokalspiel gegen Fenerbahçe
       Istanbul.