# taz.de -- Neue Hörbücher über Anti-Nazi-Sender: Never tell a lie
       
       > Wie sollen demokratische Gesellschaften auf Propagandalügen reagieren?
       > Zwei neue Hörbücher widmen sich „geheimen Sendern“.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsames Essen unterm Volksempfänger. Die Aufnahme ist um 1935 entstanden
       
       Im Herbst 1938, auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise, ging der Deutsche
       Dienst der BBC mit einer in Echtzeit übersetzten Rede des britischen
       Premierministers Neville Chamberlain auf Sendung. Zwei Jahre später
       übernahm der Journalist Hugh Carleton Greene, ein Bruder des
       Schriftstellers Graham Greene, die Leitung des Senders.
       
       Carleton Greene nahm an, dass er wegen seines Engagements gegen die
       Nazidiktatur erschossen würde, sollte England im Zweiten Weltkrieg
       Hitlerdeutschland unterliegen. Andernfalls aber werde die „Tatsache, dass
       wir bei der Wahrheit geblieben sind, bedeuten, dass uns das deutsche Volk
       weiterhin glauben wird. Und so ist es dann ja auch gekommen.“ Bei der
       Wahrheit zu bleiben, ebendas war die Maxime des Deutschen Dienstes der BBC:
       „Never tell a lie.“
       
       In seinem Feature „Geheime Sender. Rundfunk im Widerstand gegen Hitler“
       lässt Hans Sarkowicz, Historiker und Hörspielleiter des Hessischen
       Rundfunks, Greene und andere Protagonisten von ausländischen Radiostationen
       zu Wort kommen, die in deutscher Sprache gegen Joseph Goebbels’
       Propagandamaschinerie sendeten.
       
       Goebbels, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, hatte früh
       die Wirkmacht des Rundfunks als „wichtigstes Instrument zur Beeinflussung
       der Bevölkerung“ erkannt. Die alsbald nach der „Machtergreifung“ der NSDAP
       1933 via „Volksempfänger“ gesendeten, fast jeden deutschen Haushalt
       verpestenden Propagandalügen nehmen sich in der direkten Gegenüberstellung
       mit Originalaufnahmen der „Feindsender“ noch hanebüchener aus. Das war ein
       Umstand, den viele Deutsche in ihrem völkischen Rausch aber nicht erkennen
       wollten. Ab Mai 1940 wurde von den Nazis ein Einheitsprogramm mit nur
       kleinen „regionalen Fenstern“ gesendet.
       
       ## Packendes Zeitdokument
       
       Bei den „Feindsendern“ hatten die Deutschen hingegen größere Auswahl. Das
       spiegelt auch die Zusammenstellung von „Geheime Sender. Rundfunk im
       Widerstand gegen Hitler“. Jede der acht CDs befasst sich mit den großen
       Sendern wie der BBC, Radio Moskau und deutschsprachigen Radiostationen in
       den USA oder, thematisch gebündelt, mit mehreren kleineren Sendern, wie dem
       Deutschen Freiheitssender 29,8, der unter strengster Geheimhaltung aus dem
       spanischen Exil sendete und zu dessen Programm etwa Ernest Hemingway,
       Albert Einstein, Egon Erwin Kisch und Lion Feuchtwanger beitrugen. Auch
       Bertolt Brecht arbeitete mit: In seinen für den Sender verfassten
       „Deutschen Satiren“ klärte er seine Zuhörer über die Phrasenhaftigkeit der
       nationalsozialistischen Propaganda auf.
       
       Die auf „Geheime Sender“ gehörten Erfahrungsberichte unerwünschter
       deutscher Intellektueller, die in den kulturellen Institutionen Frankreichs
       Fuß zu fassen versuchten, decken sich mit den Beschreibungen Lion
       Feuchtwangers in seinem Roman „Exil“. In diesem kurz nach Ausbruch des
       Zweiten Weltkriegs auf Deutsch, aber nicht in Deutschland erschienenen Werk
       beschreibt der Münchner Schriftsteller das Leben von Exilanten in Paris –
       und hat eigene Erfahrungen anschaulich verarbeitet, was den Roman zu einem
       packenden Zeitdokument macht. Feuchtwanger war 1932 nach einer
       Vortragsreise durch England und in die USA nach Paris emigriert.
       
       Die auf „Geheime Sender“ zu hörende Dokumentation der Umstände, in denen
       Exilanten unter bisweilen widrigsten Umständen ihr Dasein fristeten, wird
       durch die in „Exil“ erzählte Geschichte mit Leben gefüllt. Dazu trägt auch
       die Lesung von „Tatort“-Kommissar Axel Milberg bei. Er moduliert seine
       Stimme stets abgestimmt auf die Beschreibungen Feuchtwangers, intoniert
       schlicht in der Schilderung der Ereignisse, tendiert ins Ironische, wenn
       sich Figuren selbstgerecht ein gutes Gewissen zimmern, stellt die
       bewusstseinsstromartigen Gedankengänge der Figuren anschaulich dar, gibt
       den einzelnen Figuren empathisch ihre charakteristische Stimme.
       
       ## Anfängliche Zurückhaltung
       
       In „Exil“ ist der Kampf zwischen Musik und Politik zentrales Thema. Musik
       steht für Herz und Gewissen, und Politik meint politische wie
       gesellschaftliche Macht. Der Münchner Komponist Sepp Trautwein entscheidet
       sich gegen die Musik und für die Politik, als er eine feste Stelle als
       Redakteur bei den „Pariser Nachrichten“ annimmt und seine Stellung nutzt,
       um den Redakteur Friedrich Benjamin, der auf einer Reise in die Schweiz von
       den Nazis verschleppt wurde, wieder „frei zu schreiben“.
       
       Kaum verschlüsselt webt Feuchtwanger zeitgenössische Vorkommnisse und
       Personen in seinen fiktionalen Text – Informationen, die das dünne Eis, auf
       dem sich Exiljournalisten bewegten, veranschaulichen. Differenziert
       beschreibt er, wie auch Nazis bisweilen ein Gewissen erkennen lassen, sich,
       wie der geschickt agierende Korrespondent einer deutschen Zeitung, Erich
       Wiesener, doch nach kurzem Zögern dem Machterhalt, der Doktrin der Diktatur
       den Vorzug gibt. Dabei hat Wiesener einen Sohn mit einer sogenannten
       „Vierteljüdin“, verkehrt in linken Kreisen, ist gebildet und kultiviert.
       Mit dieser Figur macht Feuchtwanger deutlich, dass das „grundsätzlich Böse“
       nicht immer auf den ersten Blick als solches zu erkennen ist.
       
       Vielleicht aus ähnlichen Überlegungen hielten sich die ausländischen
       Radiosender bis zum Kriegsbeginn im Jahr 1939 in ihrer Berichterstattung
       über Naziverbrechen noch sehr zurück. Zudem sollte das angespannte
       Verhältnis zu Hitlerdeutschland nicht zusätzlich belastet werden. Der
       Deutsche Dienst der BBC hatte sich auch der Appeasement-Politik des
       britischen Premierministers Chamberlain zu beugen. Erst nach 1939 wurde
       Klartext gesprochen – und das Abhören der „Feindsender“ wurde auch erst zu
       Kriegsbeginn in Deutschland unter Strafe gestellt. Bekannte Schlager
       bekamen nun widerständige Texte – im Lied „Es geht alles vorüber“ hieß es
       nun etwa: „Dann ist es mit Hitler und den Bonzen vorbei.“
       
       ## Drastisch und schonungslos
       
       Thomas Mann rechtfertigte von den USA aus das Bombardement Lübecks als
       Vergeltung für die Luftangriffe auf London und Coventry. Der Lübecker
       Nobelpreisträger war der einzige Exilant, dem so drastische und
       schonungslose Kommentare gestattet wurden. Die wahrheitsgetreue
       Berichterstattung der BBC war eine Gratwanderung. Man fürchtete beim
       Sender, seine Glaubwürdigkeit bei den deutschen Hörern zu verlieren, wenn
       man über Massenerschießungen, Vernichtungslager oder Euthanasieopfer
       berichtete, zu unvorstellbar schienen diese Tatsachen zu sein. Auch hatten
       es Berichte über Verluste der deutschen Wehrmacht schwer, wenn zeitgleich
       im deutschen Propagandaradio die Armee einen Sieg nach dem anderen feierte.
       
       Die meisten der beeindruckenden und bisweilen erschreckenden Tondokumente
       von „Geheime Sender“ hat Sarkowicz im Deutschen Rundfunkarchiv ausfindig
       gemacht. Was keine Selbstverständlichkeit ist, denn auf eine lückenlose
       Dokumentation der Sendungen wurde damals noch kein Wert gelegt – so sind
       von Thomas Manns offen zum Umsturz aufrufenden Brandreden nur wenige im
       Original erhalten.
       
       Doch Sarkowicz belässt es nicht bei der Montage einzelner Beiträge, er
       unterrichtet die Zuhörer auch über Senderstrukturen und Hintergründe: Dass
       bei privatrechtlich organisierten Sendern in den USA es zwar für Emigranten
       leichter war, Arbeit zu finden, aber auch Werbeeinnahmen generiert werden
       mussten, ist zu erfahren. „Geheime Sender“ ist daher nicht nur ein
       erhellendes Stück Rundfunkgeschichte, im Zusammenspiel mit dem
       ausführlichen Text über „Die Bedeutung der ausländischen Rundfunkpropaganda
       für das nationalsozialistische Deutschland“ von Sarkowicz beleuchtet es die
       gesellschaftspolitische Verfasstheit der westlichen Welt von den frühen
       1930er Jahren bis nach 1945.
       
       Die Hellsichtigkeit, mit der Feuchtwanger in „Exil“ auf die bevorstehende
       Barbarei hinweist, ist beeindruckend. Er lässt eine Figur darüber
       nachdenken, wie schwer es sein wird, die in Deutschland lebenden „Lebewesen
       nach jahrelanger Bestialisierung wieder zu Menschen zu machen“. Und er
       macht sich keine Illusionen: „Das wird sehr lange dauern.“ Dazu trug das
       Radioprogramm der ausländischen Dienste wesentlich bei. Denn auch wenn
       deren Betreiber glaubten, dass die „direkte Wirkung“ ihrer Arbeit nur
       gering war, waren sie sich über die „wirkliche Wirkung“ sicher: die
       Heranbildung einer Generation, die beim demokratischen Neuaufbau
       Deutschlands etwas leisten konnte.
       
       3 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sylvia Prahl
       
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