# taz.de -- Die Wahrheit: Funky Beethoven
       
       > Alles im musikalischen Bereich kann mit Gewinn gehört werden. Nur in der
       > Klassik gibt es stets die immergleichen vorgestrigen Altmeister.
       
 (IMG) Bild: Die Schießbuden gehören zu den wenigen geöffneten Läden
       
       Es gibt Leute, die antworten auf zudringliche Fragen nach ihren
       musikalischen Vorlieben mit dem Namen eines populären Radiosenders oder
       neuerdings: „Spotify, voll geil!“ Was ungefähr so ist, als würde ich meine
       Lesegewohnheiten mit „So Buchstaben halt, was gerade kommt!“ oder „Amazon“
       beschreiben. Diese Leute sagen auch nicht: „Ich mache dies oder jenes“,
       sondern: „Ich bin ja ein Mensch, der . . .“
       
       Ich bin übrigens ein Mensch, der alles, wirklich alles mit Gewinn hören
       kann, von tibetischen Mönchsgesängen bis zu norwegischem Todesmetal – nur
       Punk und Klassik nicht. Beim Punk hat das ästhetische Gründe, bei der
       Klassik ist die Lage schon schwieriger. Es muss etwas Weltanschauliches
       sein. Bei uns um die Ecke parkt ein Benz mit dem Aufkleber „ahh . . .
       Bach!“, und ich denke jedes Mal: „Schnösel, blöder!“
       
       Meine Abneigung ist keine echte Abneigung, eher Ratlosigkeit, und umfasst
       die komplette Klassik im weitesten Sinne, also von der Hochgotik bis zum
       Ableben von Beethoven. Macht summa summarum satte 600 Jahre abendländische
       Musikgeschichte, für die ich völlig taub bin. „Klassik? Mir fehlt da
       irgendwie der Groove“, wie mir Nick Hornby einmal gestand.
       
       Los geht’s erst wieder mit Schönberg, Webern, Berg, Strawinsky, Sibelius,
       Messiaen, Stockhausen und alles Gezirpe und Gefiepe danach, laut wie leise,
       schrill wie still. Moderne und Postmoderne halt. Was alles ebenfalls nicht
       „groovt“, aber – anders als die Klassik – auch nicht gespielt wird.
       Nirgends. Dabei gibt es, wie zum Hohn, seit dreißig Jahren direkt vor
       meiner Haustür das exquisite und extrem umfangreiche „Rheingau Musik
       Festival“.
       
       Alljährlich blättere ich in der bescheidenen Hoffnung auf ein wenig „Moment
       mal!“ und „What the fuck?“ durch das telefonbuchdicke Programm. Und was
       gibt es da, über drei Monate verteilt? Es gibt Beethoven, Beethoven,
       gefolgt von Beethoven. Tschaikowsky, Grieg. Wieder Beethoven. Mozart von
       vorn bis hinten, immer wieder Bruckner. Haydn, Händel, Brahms, Telemann,
       Mendelssohn Bartholdy. Mussorgski, immerhin, aber die „Bilder einer
       Ausstellung“, klar, Scarlatti und zur Auflockerung Astor Piazolla, weil
       Tango auch nicht wehtut. Vivaldi, Schumann, Schubert, weil der Kanon zum
       Kanon gehört.
       
       Als Vertreter der Avantgarde gibt’s Camillie Saint-Saëns und Claude
       Debussy. Die einzigen echten Irrläufer in die ferne Zukunft sind John Adams
       und György Ligeti, und deren Stücke sind auch schon fünfzig Jahre alt.
       Dazu als Aperitif, Zwischenmahlzeit und Sahnehäubchen natürlich Bach, Bach,
       Bach, ahh . . . Bach! Und Beethoven, klar.
       
       Es ist zum Heulen und im Grunde „Classic Radio“, nur live, mit „den größten
       Hits der 1690er, 1700er, 1710er, 1720er Jahre“ und so weiter, und 1900 ist
       Sense. Das ist schon in Ordnung, nur eben die neofeudale Begleitmusik zum
       ewigen Vorgestern. Sekt für die Ohren.
       
       Hingehen werde ich trotzdem, die Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op. 53 von
       Beethoven soll ja ganz funky sein. Wenn nicht, bleibt mir noch „Spotify“.
       
       24 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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