# taz.de -- Sozialdezernent wackelt: Es wird eng für Klaus Rosche
       
       > Vor dem Untersuchungsausschuss zum mutmaßlichen Sozialbetrug hat eine
       > AWO-Mitarbeiterin den Sozialdezernenten Klaus Rosche (SPD) schwer
       > belastet
       
 (IMG) Bild: Der PUA-Vorsitzende Nelson Janßen (Die Linke, r.) und Thomas von Bruch (CDU, l.)
       
       Bremerhavens Sozialdezernent Klaus Rosche (SPD) hat offenbar aktiv die
       Aufklärung des organisierten Sozialbetrugsverdachts behindert. Das geht aus
       einer Zeugenbefragung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss
       (PUA) zum mutmaßlichen massenhaften Sozialbetrug in Bremerhaven hervor, der
       am Mittwoch Margaret Brugmann, Fachbereichsleiterin der Arbeiterwohlfahrt
       (AWO) für Migration, befragte. Sie leitet in Bremerhaven im Auftrag der
       Sozialbehörde eine Beratungsstelle für BulgarInnen und RumänInnen und habe,
       sagte sie aus, dem Sozialdezernenten zwischen April 2013 und April 2016
       neunmal konkret über die Vorgänge berichtet. Unternommen habe die
       Sozialbehörde lange nichts.
       
       Als sie 2014 aus Enttäuschung darüber schließlich öffentlich in einem
       Netzwerk von verschiedenen Trägern von dem Problem berichtet habe, habe ihr
       Sozialdezernent Rosche einen Maulkorb verpasst: In der nächsten einjährigen
       Ausschreibung für die Beratungstätigkeit sei explizit vorgeschrieben
       worden, dass nur noch direkt an die Sozialbehörde berichtet werden durfte.
       
       Der Vorsitzende des Ausschusses, Nelson Janßen (Die Linke), sagte: „Wenn
       sich die Aussage bewahrheitet, grenzt das an aktive Behinderung. Nach zwei
       Jahren konkreter Hinweise einen Maulkorb zu verteilen, ist mehr als nur
       Versagen.“ Das sei die Verhinderung einer öffentlichen Diskussion des
       Problems.
       
       In einer vergangegangenen Befragung hatte der PUA bereits eine Amtsärztin
       befragt, die EU-BürgerInnen ohne Krankenversicherung behandelte. Sie hatte
       ebenfalls ausgesagt, dass Rosche sie in einem Gespräch 2015 zu
       Stillschweigen ermahnt habe. Zuvor habe sie konkret auf fingierte
       Arbeitsverträge hingewiesen, ausgestellt durch die einschlägig bekannten
       Bremerhavener Vereine. Mittlerweile ermittelt zu den Vorgängen die Bremer
       Staatsanwaltschaft. Es geht um organisierten Sozialbetrug mit einer
       Schadenssumme in Höhe von sechs Millionen Euro. Unter den beschuldigten
       Vereinsmitgliedern und Vorsitzenden ist der Bürgerschaftsabgeordnete und
       Ex-SPDler Patrick Öztürk sowie dessen Vater und Bruder. Sie haben
       mutmaßlich durch Ausbeutung von nach Bremerhaven gelotsten
       EU-EinwanderInnen Sozialleistungen kassiert.
       
       Die Berichte der AWO-Beratungsstelle seien laut Brugmann an Rosche und
       Sozialamtsleiterin Astrid Henriksen gegangen. Darin habe als Verdacht
       vieles gestanden, was später bekannt werden sollte: Scheinarbeitsverträge
       und unseriöse Beratung für Geld durch Selim Öztürks Verein „Agentur für
       Beschäftigung und Integration“, elende Verhältnisse der Betroffenen. Die
       Reaktion der Sozialbehörde sei laut Brugmann eher unsozial gewesen: „Taube
       Ohren.“
       
       „Ich war und bin sehr enttäuscht. Ich habe mich gewundert, dass nie eine
       Reaktion kam“, sagte sie vorm Untersuchungsausschuss. Sehr früh habe man
       konstruktive Ansätze zum Handeln aufgezeigt. Auch der Name Öztürk sei in
       kleinen Sitzungen mit der Sozialbehörde gefallen. Man habe das einfach
       ignoriert. „Jobcenter und Magistrat waren immer abwesend. Wir sind auf
       taube Ohren gestoßen.“
       
       Ihre Enttäuschung, so Brugmann, habe sie dazu veranlasst, die Probleme in
       einem größeren Kreis zu thematisieren: bei einem Treffen des „Netzwerks für
       Zuwanderer und Zuwanderinnen Bremerhaven“, bestehend aus
       Wohlfahrtsverbänden und Vereinen. Auch ein Vertreter des Magistrats sei
       zugegen gewesen, als sie 2014 auf die problematische Situation aufmerksam
       gemacht habe. Danach sei ihr dann offiziell verboten worden, öffentlich zu
       berichten.
       
       Die AWO habe 2013 auch mit dem Hauptbeschuldigten Selim Öztürk gesprochen,
       weil der sich während seiner Vereinstätigkeit fälschlicherweise als
       AWO-Berater ausgegeben habe. Unter anderem habe Brugmann selbst damals
       Öztürk zum klärenden Gespräch gebeten: „Ich kann mich genau erinnern“, sagt
       sie. „Es war ein kalter Tag und ich habe mich gewundert, warum Öztürk so
       geschwitzt hat.“ Er habe nicht wie ein „bad guy“, sondern nervös gewirkt,
       und er habe damals versprochen, keine Beratungen im Namen der AWO mehr zu
       durchzuführen – womit er indirekt zugegeben habe, zuvor genau das getan zu
       haben.
       
       Schwitzen dürfte nun der Sozialdezernent Klaus Rosche, dessen Nichthandeln
       immer eigenartiger erscheint. Er gab sich während seiner ersten Vernehmung
       vor dem Untersuchungsausschuss unwissend und zugeknöpft und beantwortete
       Fragen teils widersprüchlich – und sogar mutmaßlich falsch. Wie der
       Untersuchungsuasschus damit umgeht, ist noch unklar. Fest steht vorerst
       nur, dass Rosche dort noch einmal aussagen muss.
       
       1 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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