# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Verzicht, das letzte Tabu
       
       > Karneval ist vorbei? Von wegen. Gegen den Schwachsinn unserer
       > Wirtschaftsweise sind die Jecken sehr vernünftig. Was hilft: ewiger
       > Aschermittwoch.
       
 (IMG) Bild: Vorbildliche Konsumkritik: Nur noch halb soviel einkaufen!
       
       Karneval ist bei uns zu Hause nicht so das Riesending. Ich bewundere ja,
       wie ernsthaft die Jecken ihren Spaß haben. Aber meine Familie ist wohl zu
       preußisch dafür. In diesem Jahr haben wir sogar einer Flüchtlingsfamilie
       aus dem rheinischen Krisengebiet Unterschlupf gewährt. Wie wenig wir uns in
       den Karneval einfühlen, zeigt dies: Schon am Faschingsdienstag, als im
       Fernsehen noch auf allen Kanälen die Tollitäten regierten, ging die Debatte
       über die Fastenzeit los.
       
       „Letztes Jahr habe ich nichts Süßes gegessen“, sagt meine 15-jährige
       Tochter. „Das mache ich nie wieder.“ Ich überlegte kurz, ob es wohl gelten
       würde, wenn wir uns beim nächsten Flug nicht anschnallten („Fasten Seat
       Belt“), aber ließ es dann lieber. Die Wahl fiel aufs tote Tier – „sechs
       Wochen kein Fleisch, keine Wurst“, verkündete die Tochter. Zustimmung
       selbst beim großen Bruder. Nur unser Jüngster hatte Panik im Blick. 40
       Schulbrote ohne Kochschinken? Da muss wohl ab und zu geschummelt werden.
       
       Der größte Schwindel am Fasching ist aber, dass er nur vom 11. 11. bis
       Aschermittwoch dauert. Schön wär’s. Wenn man es genau nimmt, regieren die
       Narren eigentlich immer und überall. Donald Trump geht jetzt viermal
       hintereinander als Präsident. VW, Erdoğan, die AfD oder den Emissionshandel
       närrisch zu nennen ist stark untertrieben.
       
       Ähnlich mit dem Fasten. Das Problem: Es ist Privatsache. Deshalb schafft es
       auch keiner. Das christliche Abend- und das muslimische Morgenland haben
       das früher radikal durchgesetzt. Und in den Gegenden, wo das noch so ist,
       will man nicht sein. Aber wer heute fastet, ist allein mit sich und seinem
       inneren Hundeschwein. Früher wurde auch gefastet, weil nach dem langen
       Winter schlicht nichts mehr da war oder vor Weihnachten gespart wurde. Und
       das ist ja heute auch nicht anders. Nach 150 Jahren Saus und Braus ist von
       gutem Ackerland, gesunden Ozeanen und stabiler Atmosphäre auch nicht mehr
       viel übrig.
       
       ## Mit Low-Carb-Diät zur Dekarbonisierung
       
       Grund genug also, dem Narrhalla des „Sofort und alles“ zur
       Dekarbonisierung eine Low-Carb-Diät entgegenzusetzen. Was könnte
       pappnasiger sein als die eigene Atemluft mit Stickoxiden und das eigene
       Trinkwasser durch Schweinepisse zu vergiften? Täten wir das nur zwischen
       November und Februar, wäre es dumm genug. Aber wir machen es an 365 tollen
       Tagen.
       
       Fasten würde helfen. Aber entgegen all den Fake News von „Verlieren Sie 20
       Kilo im Schlaf“: Askese tut weh. Wir brauchen dazu das verbotene V-Wort:
       VERZICHT. Uuuuh, ein Tabu! Wer „Verzicht“ sagt, kann gleich einpacken. Als
       würde man gegenüber einem Amerikaner das Unwort „Steuern“ erwähnen.
       Verzicht ist eng verwandt mit anderen verfemten V-Wörtern: Verbot,
       Vernunft, Verantwortung, Veggie-Day. Vielleicht sollten wir es gerade
       deshalb mal probieren. Vielen verkünden, vorauf vir voller vreude
       vochenlang verzichten: Tiere zu quälen, Strom zu verschwenden, uns im Stau
       über die anderen zu ärgern, der ganze Quatsch mit „Wachstum über alles“.
       
       Entschlacken, runterkommen, chillen, das wäre doch mal eine schöne
       Alternative für die nächsten Wochen. Und zwar nicht so, dass es jeder unter
       Gewissenskrämpfen selbst organisiert, sondern lautstark propagiert und
       durchgesetzt von Behörden, Schulen, Firmen, Parlamenten: sechs Wochen ohne
       Kohlestrom, ohne Flugreisen, ohne Aktien-Leerverkäufe. 40 Tage, eine
       Quarantäne, ohne T-Shirts von Primark, ohne Autofahrten unter fünf
       Kilometern.
       
       Ich bin überzeugt: Die Menschen wollen den Verzicht. Man muss ihn nur gut
       erklären und klug verkaufen. Unser Jüngster zum Beispiel hat dann doch
       beschlossen mitzumachen: „Ich faste auf Schule.“ Okay, man sollte es nicht
       gleich übertreiben mit der Askese.
       
       4 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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