# taz.de -- Im Zentrum deutschen Brauchtums: Daumen hoch und machen
       
       > Jacinta I. und Samuel I. aus Ratingen sind das erste afrodeutsche
       > Karnevalsprinzenpaar. Sie werben für Integration – Helau!
       
 (IMG) Bild: Helau! Das neue Prinzenpaar bei seiner Kür im November 2016 in Ratingen
       
       RATINGEN taz | Stehen ein paar Männer in mintgrünen Uniformen neben einer
       Bühne und rauchen. Ihre Orden klimpern, wenn sie die Asche abstreifen. Es
       tröpfelt. „Wenn ich gewusst hätte, dass der erste Termin draußen ist, hätte
       ich mir was Wärmeres angezogen“, nörgelt einer.
       
       Ein Samstagmittag im Rheinland, Anfang Februar. Menschen in Steppjacken
       drängen sich um einen Bierwagen, Bratwürste brutzeln, aus Lautsprechern
       dröhnt ein Karnevalsschlager. „Es war einmal ein treuer Husar …“
       
       Dann hallt es von der Bühne, nun folge „das Aktuellste, was der deutsche
       Karneval in diesem Jahr zu bieten hat“.
       
       Das Aktuellste nimmt gerade Aufstellung, eingerahmt von seinen Adjutanten
       und seiner Eskorte: Jacinta und Samuel Awasum alias Prinzessin Jacinta I.
       und Prinz Samuel I. stammen aus Kamerun und sind das erste dunkelhäutige
       Prinzenpaar in der Geschichte des Karnevals.
       
       ## Alles schunkelt
       
       Sie sind Mitte dreißig, haben in Deutschland studiert und geheiratet,
       arbeiten im Großhandel und in der IT, haben zwei kleine Kinder und die
       deutsche Staatsbürgerschaft.
       
       Und sie regieren nicht in Köln, Düsseldorf oder Mainz, sondern in Ratingen,
       das manche gehässig den „Parkplatz von Düsseldorf“ nennen und das bislang
       nicht als Karnevalshochburg in Erscheinung getreten ist.
       
       „Einmarsch!“ Der kleine Trupp schreitet auf die Bühne, schunkelt mit den
       Gastgebern. Auf Samuels Narrenkappe wippen gefärbte Fasanenfedern. Zu
       seinem rot-weißen Ornat – maßgeschneidert im Westerwald – gehören
       Puffärmel, eine blütenweiße Hose, weiße Handschuhe und rot lackierte
       Schnallenschuhe, Jacintas blauweißes Samtgewand mit dem runden Stehkragen
       erinnert an ein Trachtenkleid.
       
       „Geile Party hier“, ruft Samuel. „Tätä!“, antwortet die Kapelle, „Helau!“,
       ruft das Publikum.
       
       ## Zeichen setzen
       
       „Dume huch un mahke“ lautet das Karnevalsmotto der Session, Daumen hoch und
       machen. Samuel übt es mit dem Publikum in Meta ein, der Sprache seiner
       Heimatregion: „Noh fiebor kang beh gerh“. Die Leute mühen sich etwas ab mit
       der Lautmalerei, „Euer Applaus!“, ruft Samuel. Tusch.
       
       Eine Viertelstunde später braust die Karnevalsgesellschaft in einem
       Kleinbus zum nächsten Termin, aus den Boxen tönen Lieder über „lecker
       Mädsche“ und „kölsche Jongs“.
       
       Am Steuer sitzt Peter Hense, Vorsitzender und Pressesprecher des Ratinger
       Karnevalsausschusses. „Wir duzen uns im Karneval“, stellt er klar. „Ich bin
       der Peter.“ Hense, ein vereinnahmender, bulliger Typ, trägt Anzug zur
       Narrenkappe und raucht filterlose Camel. Im nichtjecken Leben ist er
       Fotograf, hat Bilder für Geo und das Manager Magazin gemacht. „Ich bin seit
       35 Jahren im Geschäft“, sagt er.
       
       Unter seiner Federführung hat der Karnevalsausschuss das schwarze
       Prinzenpaar gekürt – im vergangenen Sommer, als sich nach den Anschlägen in
       Würzburg und Ansbach die Stimmung im Land noch stärker gegen alles
       Nichtweiße drehte. „Wir wollten bewusst ein Zeichen dagegen setzen“, sagt
       Hense. Persönlich kannte er die Awasums nicht; er wusste, dass Samuel dem
       Ratinger Integrationsrat vorstand, „man hat vielleicht mal zwei, drei
       Worte gewechselt“.
       
       ## Prinzenpaar mit Botschaft
       
       Samuel war „baff“ über das Angebot. Er fragte seine Frau, die sagte Ja –
       fertig war die Sensation. Bundesweit berichteten die Medien, ein Video, in
       dem die beiden im Auto „Komm, hol das Lasso raus“ schmettern, ging mit fast
       10.000 Aufrufen geradezu viral ab.
       
       „Wir haben ein Prinzenpaar mit einer Botschaft“, sagt Hense. „Wir wissen,
       was wir tun“, sagt Samuel. Die Awasums sehen sich nicht als naive
       Galionsfiguren eines Marketinggags, sondern betrachten ihre Regentschaft
       als Beitrag zur Integration: „Wenn wir hier jahrzehntelang leben wollen,
       können wir uns nicht raushalten“, sagt Samuel. Das predige er auch „unseren
       Geschwistern aus der afrikanischen Gemeinschaft“.
       
       Steht eine Biene auf Rollschuhen vorm Altenheim und raucht. Es regnet.
       
       Drinnen ist die Cafeteria an diesem Nachmittag voll, Luftschlangen baumeln
       von Rollstühlen, das Personal hat sich als Clown oder Frank Zappa
       verkleidet. Jacinta und Samuel stimmen sich mit „Oh When the Saints“ auf
       ihren Auftritt ein. Es ist ihr zweiter von vier Terminen heute, „ein
       entspannter Tag“, sagt Jacinta. Sie nehmen Aufstellung im Foyer, gleich vor
       den Fahrstühlen.
       
       ## Mutterschutz für den Karneval
       
       Bis Rosenmontag haben sie 250 Auftritte: Funkensitzungen, Narrentreffen,
       Heimatverein, Altenheime. Dazu kommen Interviews, Fototermine, eine
       Diskussion über Rassismus in der Gesamtschule. In der Woche arbeitet Samuel
       weiter in Vollzeit, Jacinta hat ihren Mutterschutz verlängert, und als
       Babysitterin für die Wochenenden haben sie die Oma aus Kamerun geholt.
       
       „Einmarsch!“
       
       Eine Viertelstunde später sitzen sie im Besprechungszimmer, dem „Blauen
       Salon“, um sie herum Altenpflegerinnen mit Schlumpfhüten. Des Prinzen
       Federn verheddern sich in der Gardine. Es gibt Muffins und Kaffee.
       
       Sie erzählen von ihrem Besuch bei Angela Merkel. „Sie war sehr nett“, sagt
       Jacinta, „und sie hat weiche Hände.“ 2,6 Millionen KarnevalistInnen gibt es
       laut „Bund Deutscher Karneval“ in Deutschland – daran kommt keine Kanzlerin
       vorbei. Darum lädt sie jedes Jahr zum „Närrischen Empfang“, und die Awasums
       durften Nordrhein-Westfalen vertreten.
       
       ## Konfrontation mit Rassismus
       
       Sie schenkten Merkel eine Zweiliterflasche Altbier und hängten ihr ihren
       Orden um den Hals. Der zeigt das Ratinger Stadtwappen auf der kamerunischen
       Flagge, fünf Hände in verschiedenen Farben greifen ineinander und bilden
       einen Kreis.
       
       Das Gespräch mit ihr dauerte „gefühlte 15 Sekunden“, sagt Samuel. „Aber ich
       glaube, unsere Botschaft ist angekommen. Sie hat gesagt: Schön, dass ihr
       das macht. Macht weiter so.“
       
       Auf YouTube teilt ein Nutzer ein Video von der Veranstaltung, unter der
       Überschrift: „Angela Merkel trifft sich mit dem bunten Neger Prinzenpaar
       aus Ratingen“.
       
       Solche Momente verlangen den beiden einen ziemlichen Spagat ab: Sie sollen
       sich zu rassistischen Anwürfen äußern und zugleich Frohsinn verkörpern.
       
       ## Worte wechseln
       
       Jacinta zuckt mit den Schultern. „Ich bekomme davon nichts mit“, sagt sie.
       „Und wenn schon.“ Samuel sagt, er könne sich „vorstellen, dass Menschen
       anderer Meinung sind. Karneval ist deutsches Brauchtum, und es gab noch nie
       ein schwarzafrikanisches Prinzenpaar.“ Und wenn Menschen sich im Karneval
       das Gesicht schwarz anmalen, „will ich das nicht von vornherein
       verurteilen. Jeder darf sich so verkleiden, wie er mag, wenn er andere
       nicht beleidigen möchte.“ Den Begriff „Blackfacing“ hat er zum ersten Mal
       von Journalisten gehört, „ich kannte den vorher gar nicht“.
       
       Spätnachmittags im Landgasthof. Der Führungszirkel des
       Karnevalsausschusses säbelt zufrieden auf Rumpsteaks herum, das Prinzenpaar
       ist daheim bei den Kindern. Man kann die Stimmung hier schlagartig
       ruinieren, wenn man nach der Sache mit der Kokosnuss fragt. „Vergiss das
       direkt wieder“, ruft Hense vom Kopfende. Der Bürgermeister hatte bei der
       Prinzenkürung launig gereimt, es werde beim nächsten Rosenmontagszug nicht
       nur Kamelle, sondern vielleicht auch Kokosnüsse regnen. Peinlich sei das
       gewesen und ärgerlich, weil die Presse diese Kleinigkeit so aufgebauscht
       habe, wo doch die Veranstaltung sonst wunderbar gelaufen sei.
       
       Nur ein einziges Mal sei ihm so etwas wie Rassismus begegnet, erzählt
       Hense. Nach einer Veranstaltung hörte er „im Rausgehen“, wie einer maulte,
       jetzt müsse man schon Moslems zum Prinzenpaar küren. „Da bin ich stehen
       geblieben und hab gesagt: Du bist doch bescheuert, die sind beide
       christlich“, erzählt er. „Wenn der Prinz noch im Raum gewesen wäre, hätte
       ich ihn an den Tisch gesetzt und gesagt: So, und jetzt redet.“
       
       Stehen ein Gartenzwerg, ein Scheich und Micky Maus vor der Stadthalle und
       rauchen. Es gießt.
       
       Drinnen schunkelt die Funkensitzung dem ersten Höhepunkt des Abends
       entgegen, Tanzmariechen schwingen die Beine, eine Discokugel dreht sich.
       Vor der Tür nimmt das Prinzenpaar Aufstellung. Samuels Federschmuck wippt.
       
       „Einmarsch!“
       
       27 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Kastner
       
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