# taz.de -- Norbert Fischer über Feuerbestattung: „Unwürdige Tricks“
       
       > Hätte die Kirche sie nicht bei Todesstrafe verboten, wäre die schon in
       > prähistorischer Zeit praktizierte Feuerbestattung konstant in Gebrauch
       > geblieben.
       
 (IMG) Bild: Feuerbestattung: Eine Leiche wird in einem Krematorium verbrannt
       
       taz: Herr Fischer, schon die alten Römer verbrannten ihre Toten. Wussten
       sie mehr über Hygiene als wir? 
       
       Norbert Fischer: Nein. Sie taten es nicht aus hygienischen Gründen. Das
       Verbrennen der Toten war die übliche Bestattungsart der vorchristlichen
       Zeit, weil sie platzsparend war.
       
       Erst das Christentum hat die Einäscherung tabuisiert. 
       
       Ja, Karl der Große hat sie 785 bei Todesstrafe verboten.
       
       Warum? 
       
       Er wollte das Christentum mit politischen Mitteln in Mitteleuropa
       durchsetzen, und das Verbot war ein Machtinstrument. Er versuchte, den
       nichtchristlichen Teil der Bevölkerung auf diese Art von ihren vermeintlich
       heidnischen Sitten abzubringen.
       
       Und wie argumentierte die Kirche? 
       
       Mit dem Glauben an die körperliche Auferstehung, die einen intakten Körper
       erfordert. Zudem ist der tote Körper im Christentum ein Objekt der
       Verehrung, des Reliquienkults, bei dem einzelne Körperteile etwa in den
       Altar gebracht werden. Auch sie müssen unversehrt sein.
       
       Hat Karl der Große die Todesstrafe je verhängt? 
       
       Das ist nicht ganz klar. Von Archäologen entdeckte Brandgräber zeigen aber,
       dass es noch im 12., 13. Jahrhundert im östlichen Mitteleuropa
       Feuerbestattungen gab.
       
       Um die man Jahrhunderte später neu kämpfte, in „Feuerbestattungsvereinen“.
       Wie fing das an? 
       
       Die Einführung der modernen technischen Feuerbestattung in Krematorien hat
       viele Gründe. Da war zunächst die Platznot auf den städtischen Friedhöfen
       im späten 19. Jahrhundert – einer Zeit rascher Verstädterung und starken
       Bevölkerungswachstums. Die städtischen Friedhöfe litten teils unter enormen
       Platzproblemen. Die Hamburger Friedhöfe – Ohlsdorf etwa – mussten weit vor
       die Tore der Stadt verlegt werden. Hinzu kam das Hygiene-Argument: Man
       fürchtete, dass durch Körperbestattung der Boden verseucht werde – was für
       ordnungsgemäß angelegte Friedhöfe definitiv nicht stimmt.
       
       Wurde auch mit den Kosten argumentiert? 
       
       Ja, man sagte, eine Feuerbestattung sei preiswerter, weil ein Urnengrab
       kleiner ist als ein Erdgrab. Hinzu kamen idealistische Gründe:
       Feuerbestattung, hieß es, sei die Bestattungsart der Antike gewesen. In
       einer Zeit der Antikenverehrung, die mit Säkularisierungsprozessen
       zusammenging, kam das gut an.
       
       Wer kämpfte im 19. Jahrhundert für diese Bestattungsreform? 
       
       Anfangs Vertreter des modernen, aufgeklärten, teils schon säkularisierten
       Bürgertums, die aus der Technik, den Naturwissenschaften, der Medizin, den
       Hygienewissenschaften kamen. Diese bürgerlichen Reformer begannen in den
       1870er-Jahren, sich – zunächst in Hamburg und Dresden – in Vereinen zu
       organisieren.
       
       Während sich die Arbeiterbewegung erst 30 Jahre später für die
       Feuerbestattung einsetzte. 
       
       Ja, denn um 1900 begannen deren Verbände mächtiger zu werden. Die
       sozialdemokratische Partei, die Gewerkschaften gewannen bis zum Ersten
       Weltkrieg enorm an Zulauf. Die Feuerbestattung galt als preiswert und
       demokratisch, weil für alle gleich. Zudem spielte auch für die
       Arbeiterbewegung die anti-kirchliche Stoßrichtung eine Rolle.
       
       Die Debatte wurde sehr hitzig geführt. War es für Kirchen eine Machtfrage? 
       
       Absolut. Die Kirchen hatten ja schon in den 1870er-Jahren die Einführung
       der Zivilehe hinnehmen müssen und die Einführung der staatlichen Schulen.
       Die Bestattung war eine weitere Bastion, um die die Kirchen vehement
       kämpften.
       
       Wo stand derweil die Politik? 
       
       Deutschland war damals ein in Einzelterritorien zersplitterter Staatenbund.
       Preußen war der dominante protestantische, Bayern der dominante katholische
       Staat. Daneben existierten viele Fürsten- und Herzogtümer. Und gerade in
       den kleineren, teils sehr aufgeklärten Fürstentümern – etwa
       Sachsen-Coburg-Gotha – konnte die Feuerbestattung leichter eingeführt
       werden als in Preußen und Bayern. Beide erlaubten die Einäscherung erst
       kurz vor dem Ersten Weltkrieg.
       
       Und Hamburg? 
       
       Der Stadtstaat Hamburg, eingefasst von Grenzen Preußens, nahm eine Zeitlang
       Rücksicht auf Preußen. Hamburg wollte den mächtigen Nachbarn nicht
       verärgern und keinen Leichentourismus provozieren. Deshalb hat man lange
       taktiert und zwar den Bau eines Krematoriums zugelassen, aber nicht dessen
       Inbetriebnahme.
       
       Bis zur Cholera-Epidemie 1892. 
       
       Ja. Damals starben 9.000 Menschen, und da hat man gesagt: Hätten wir jetzt
       das Krematorium, könnten wir die Toten hygienisch einäschern. Unter dem
       Druck der sehr kritikwürdigen hygienischen Hamburger Verhältnisse hat der
       Senat im Herbst 1892 der Inbetriebnahme des Krematoriums zugestimmt.
       
       Aber vorhin sagten Sie, das Hygiene-Argument sei falsch. 
       
       Für den hygienisch einwandfrei und nach modernen Gesichtspunkten angelegen
       Hamburg- Ohlsdorfer Friedhof trifft es in der Tat nicht zu. Aber es gab ja
       auch noch die innerstädtischen Begräbnisplätze um die Kirchen herum. Sie
       durften zwar Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr belegt werden, aber sie
       existierten und stanken im Wortsinn zum Himmel. Hamburg galt damals – das
       hat die Cholera-Katastrophe gezeigt – als eine der hygienisch
       rückständigsten Städte Europas, auch im Bestattungswesen.
       
       Trotzdem begann der echte Aufschwung der Einäscherung erst nach dem Ersten
       Weltkrieg. 
       
       Ja, denn zum einen war es eine Zeit großer wirtschaftlicher Not. Die
       Arbeiterbewegung etwa gründete Feuerbestattungskassen mit Hunderttausenden
       Mitgliedern, um eine preiswerte Bestattung zu ermöglichen. Zum andern
       wurden die Krematorien aus den Händen der Feuerbestattungsvereine
       schrittweise an die Kommunen übergeben, die preisgünstige Einäscherungen
       anboten. Das brachte einen enormen Zulauf. In Hamburg machten
       Einäscherungen in den 1920er-Jahren schon über 20 Prozent aller
       Bestattungen aus.
       
       Blieb das während der Zeit des Nationalsozialismus so? 
       
       Die Nationalsozialisten haben die Feuerbestattung zunächst gefördert, weil
       sie sich gegen die christlichen Kirchen richtete. Sie haben 1934 das erste
       reichsweite Feuerbestattungsgesetz verabschiedet. Darüber, ob das den
       Zulauf förderte, habe ich keine Zahlen. Andererseits darf man in diesem
       Zusammenhang nicht den Einsatz von Krematorien in den Konzentrations- und
       Vernichtungslagern verschweigen. Da sahen Firmen, die zuvor zivile
       Krematorien für die Kommunen gebaut hatten, ein neues Geschäftsfeld und
       entwickelten – wie die Erfurter Firma Topf und Söhne – besondere
       Massenvernichtungsmaschinen.
       
       Hielt der Trend zur Einäscherung nach dem Zweiten Weltkrieg an? 
       
       In der Nachkriegszeit stockte es zunächst, was sicherlich mit dem
       wachsenden Wissen um die Krematorien im Holocaust zusammenhängt. Auch der
       massenhafte Zuzug von möglicherweise überwiegend katholischen Flüchtlingen
       kann dazu beigetragen haben. Die katholische Kirche hat das Verbot der
       Feuerbestattung ja erst auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1963
       aufgehoben.
       
       Wie viele Einäscherungen gibt es heute deutschlandweit? 
       
       55 Prozent aller Bestattungen sind Einäscherungen – mit großen regionalen
       und konfessionellen Unterschieden: Je protestantischer, je nördlicher und
       östlicher eine Region und je größer die Stadt, desto mehr
       Feuerbestattungen. In Städten wie Hamburg, Berlin, Lübeck, Kiel gibt es zu
       80 Prozent Feuerbestattungen. In ländlichen katholischen Regionen dagegen
       ist die Einäscherung fast unbekannt.
       
       Und selbst im Norden kommt man nur in Bremen um den Friedhofszwang herum. 
       
       Ja, dort kann man die Asche – bedingt und auf Antrag – seit 2015 im
       Vorgarten oder ausgewiesenen öffentlichen Räumen wie Stadtparks oder der
       Weser beisetzen.
       
       Nicht im eigenen Haus? 
       
       Nein. Dabei ist es in fast allen europäischen Ländern ohne Einschränkung
       möglich, die Asche irgendwo beizusetzen. Aber hierzulande ist
       Bestattungsrecht Ländersache, und die Paradoxien des Bremischen Gesetzes
       sind wohl dem Mitspracherecht der Kirche geschuldet. Sie setzte durch, dass
       die Bestattungsmöglichkeit vor der Haustür endet.
       
       Vielleicht will die Kirche ihr Monopol auf Urnenbeisetzung behalten. 
       
       Möglicherweise. Die Kirche vermarktet ihre Gotteshäuser ja zum Teil als
       kostenpflichtige Aschenbeisetzungsstätten bzw. Kolumbarien. Aber ich will
       nicht verschweigen, dass es gute Gründe gibt, die Beisetzung zu
       reglementieren, damit die Zugänglichkeit der Asche für alle Hinterbliebenen
       gewährleistet ist. Aber das muss klar geregelt werden. Baden-Württemberg
       und Thüringen arbeiten daran, die Aschenbeisetzung freizugeben. Das ist
       auch nötig, um den Bestattungstourismus einzudämmen.
       
       Wohin fährt man da? 
       
       In die Niederlande, nach Belgien, Frankreich. Tschechien und andere
       osteuropäische Länder sind die Billigvarianten.
       
       Wie funktioniert das? 
       
       Man äschert in einem ausländischen Krematorium ein, vermischt die Asche mit
       etwas Erde und re-importiert sie als Kunstdünger. Mit Kunstdünger können
       Sie tun, was Sie wollen. Den deutschen Behörden gegenüber müssen Sie nur
       nachweisen, dass im Ausland die Einäscherung und eine Teilbestattung
       stattgefunden haben. Das heißt, im Krematoriumsfriedhof muss ein Teil der
       Asche beigesetzt werden.
       
       Ist das ein Trend? 
       
       Keine Massenbewegung, aber ein Trend, der zeigt, wie verquer die deutsche
       Gesetzeslage ist. Da lässt sich ein Toter aus Konstanz am Bodensee in der
       Schweiz einäschern. Die Angehörigen streuen die Asche auf Schweizer Seite
       in den See und hoffen, dass sie in Richtung Konstanz gespült wird. Solche
       Tricks sind wirklich unwürdig.
       
       21 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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