# taz.de -- Die Wahrheit: Das Fake-Buch
       
       > Ein Wettbewerb auf der Leipziger Buchmesse. Der Preis: 10.000 Euro für
       > ein unveröffentlichtes Manuskript. Existiert der Text überhaupt?
       
 (IMG) Bild: Die glückliche Gewinnerin
       
       Anlässlich der jüngst eröffneten Leipziger Buchmesse will ich etwas
       gestehen: Im vorigen Jahr stellte ich dort ein Buch vor, das ich nie
       geschrieben hatte. Der Versandhändler Amazon hatte einen Wettbewerb
       ausgelobt. Autoren sollten eine 2.000-Zeichen-Leseprobe aus einem
       unveröffentlichten Manuskript einsenden. Zum Vergleich: Dieser Text hier
       ist länger. Der attraktive Preis – ein Marketingpaket im Wert von 10.000
       Euro. Ich hatte nur leider kein Manuskript.
       
       Als ich die zur Teilnahme nötige Leseprobe ins Smartphone tippte, saß ich
       in meiner Stuttgarter Stammkneipe. Ich schrieb einfach ein paar makabere
       Familiengeschichten auf, die mir eine am Tresen gestrandete Schwedin zuvor
       erzählt hatte: Die Mutter war in einem Auto umgekommen, das von einem
       Güterzug erfasst worden war; ein Baumstamm hatte den Onkel erschlagen; die
       Großmutter war über einen vom Laster gefallenen Heizkörper gestürzt, mit
       der Stirn gegen die Kante eines Brückengeländers geknallt und bewusstlos
       erfroren.
       
       Amazon war begeistert. Im Finale auf der Buchmesse sollte ich etwas
       vorlesen und, neben acht anderen Finalisten, mein Buch präsentieren.
       Düsteres aus Skandinavien läuft eben immer.
       
       Da der Großkotzkonzern die Reisekosten nicht übernehmen, ja nicht einmal
       die Eintrittskarte zur Messe bezahlen wollte, dachte ich keine Femtosekunde
       daran, wegen dieses Wettlesens gen Osten zu fahren. Außerdem fiel mir ein,
       dass ich ja gar kein Buch geschrieben hatte. Kurz darauf meldete sich
       allerdings ein Kumpel aus Leipzig: Ob man sich nicht mal wieder treffen
       könne …
       
       Am Vorabend des Finales kippten wir ein paar Pitcher Bier. Zu viele. Schwer
       verkatert und mit Fahne versuchte ich schließlich, einer dreiköpfigen Jury
       das nie verfasste Werk schmackhaft zu machen. Es gehe um einen Mann,
       fabulierte ich, der ein Buch zu schreiben gedenkt. Skeptische Nachfragen
       („Gibt es das Buch überhaupt?“) beantwortete ich fast wahrheitsgetreu:
       „Selbstverständlich.“
       
       Die Siegerehrung fand auf der Messe vis-à-vis des stark frequentierten
       Kopp-Verlag-Stands statt. Verblüffend, wie viele Esoteriknazis lesen
       können. Eine Jurorin entdeckte mich: „Herr Oettle, ich kann Ihnen jetzt
       schon sagen, dass Sie leider nicht gewonnen haben.“ Schade. „Aber meine
       Chefin ist interessiert. Wollen Sie mal mitkommen?“ Der infernalen
       Blümeranz wegen wollte ich eigentlich nur nach Hause und eine Aspirin
       einwerfen, was ich aber nicht mehr verständlich artikulieren konnte.
       
       Man führte mich in einen aus Trennwänden konstruierten Raum, wo eine Dame
       wartete, die so aussah, wie man aussieht, wenn auf der Visitenkarte,
       „Acquisitions Editor“ steht. Nachdem ich auch ihr ein paar Alternativfakten
       zur Existenz des Buchs untergejubelt hatte, stellte sie mir am Ende einen
       Verlagsvertrag in Aussicht.
       
       Letztlich führte das Interesse an diesem Phantomwerk dazu, dass ich begann,
       es tatsächlich zu schreiben. Es ist jetzt fast fertig. Allein: Bei Amazon
       soll es besser nicht verlegt werden.
       
       24 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cornelius Oettle
       
       ## TAGS
       
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