# taz.de -- Prozess am Landgericht Hannover: Tränen eines Gewalttäters
       
       > Der Mann, der seine Expartnerin an einem Auto durch Hameln geschleift
       > hat, hat gestanden. Strittig ist nur noch, ob er die Tat geplant hatte.
       
 (IMG) Bild: Hameln, kurz nach der Tat: Mahnwache für das Opfer.
       
       HANNOVER taz | Kader K. wacht nachts schreiend auf. In ihren Träumen rennt
       sie, immer weiter. Hinter ihr ist ihr Exmann. Er hält eine Waffe in den
       Händen, mal ist es ein Seil, mal eine Axt, mal ein Messer. Kader K. rennt –
       und sie stürzt. Doch bevor sie auf dem Boden aufkommt, erwacht sie. Mit
       brüchiger Stimme erzählt die 28-Jährige im Landgericht Hannover davon, wie
       sie noch immer unter der Tat leidet, an die sie sich, wenn sie wach ist,
       nicht mehr erinnern kann.
       
       Ihr Expartner hat am 20. November des vergangenen Jahres zunächst mit einem
       Messer auf ihre Brust eingestochen und mit der stumpfen Seite einer Axt auf
       ihren Kopf eingeschlagen, bevor er ein Seil um ihren Hals gelegt, dieses an
       der Anhängerkupplung seines Autos festgeknotet und sie daran mit hoher
       Geschwindigkeit durch Hameln geschleift hat. Nur weil sich das Seil nach
       rund 200 Metern gelöst hat, konnte Kader K. schwer verletzt überleben.
       
       K. hatte sich zuvor mit dem Angeklagten Nurettin B. getroffen, um den
       gemeinsamen Sohn abzuholen. Sie stritten, weil B. ihr Unterhalt schuldete.
       Dann rastete der 39-Jährige aus. Das damals zweijährige Kind saß während
       der Tat auf dem Rücksitz.
       
       All das gab B. gestern vor Gericht zu. Während seine Anwälte sein
       Geständnis verlasen, liefen ihm Tränen über die Wangen. Er habe diese
       „grauenvolle, widerliche und abscheuliche Tat“ begangen, las Rechtsanwalt
       Matthias Waldraff vor.
       
       Nachdem B. erfahren habe, dass für den ausstehenden Unterhalt sein Lohn
       gepfändet würde, habe er mit seinem Leben abgeschlossen. Er habe einen
       Abschiedsbrief dabei gehabt, auf dem „Game over. Danke für nicht“ gestanden
       habe. Sein Plan sei gewesen, mit dem Auto gegen einen Baum zu fahren. Als
       er seinen Sohn zu Kader K. zurückgebracht habe, habe er „einen Hass wie
       nie“ in sich aufsteigen gespürt. „Ich habe sie einfach nur töten wollen.“
       Geplant aber habe er das nicht, verliest Waldraff.
       
       Genau dies ist die entscheidende Frage. Während die Verteidigung
       argumentiert, die Axt und das Seil hätten schon im Auto gelegen, weil B.
       sie für Baumschnittarbeiten brauche, und das Messer habe er dabeigehabt,
       um sich selbst zu schützen, glaubt die Staatsanwältin Ann-Kristin Fröhlich,
       dass B. die Tat geplant hat. Schon einen Monat vorher habe er gedroht, dass
       einer von beiden bald nicht mehr leben würde. Die Anklage lautet deshalb
       auf versuchten Mord, nicht Totschlag.
       
       Kader K. nennt ihren Exmann nur „der Täter“. Im Gerichtssaal trägt sie ein
       Kopftuch mit weißer Spitze, um ihre Narben zu verbergen. Sie, die
       ehemalige kurdische Aktivistin, hatte B. bei einer Demonstration
       kennengelernt. Kurze Zeit später heirateten sie nach islamischem Recht,
       nicht aber vor dem Standesamt. „Ich wollte eine Familie gründen und dachte,
       er ist ein vernünftiger Mann“, sagt sie. „Doch sofort nachdem wir
       verheiratet waren, ging dieser Horror los.“
       
       Sie habe wie eine Sklavin leben sollen, ohne Kontakt zu ihren Freundinnen.
       „Ich dachte, es wird besser, wenn unser Sohn da ist, doch es wurde immer
       schlimmer.“ Irgendwann habe sie es nicht mehr aushalten können, bedroht,
       beschimpft und bespuckt zu werden, und sei gegangen.
       
       Doch die Drohungen hörten nicht auf. K. erwirkte sogar eine einstweilige
       Verfügung. B. durfte nicht näher als 20 Meter an sie herankommen, es sei
       denn, die beiden trafen sich, wegen des Kindes – denn das Sorgerecht
       teilten sich die Eltern.
       
       Im Prozess berichtet Kader K., dass auch der heute dreijährige Sohn
       traumatisiert sei und vieles mitbekommen habe. Nach Albträumen rufe er
       verängstigt: „Mama, er ist da.“
       
       Dass dort ein Kind im Auto saß, hat die nächste Zeugin, eine 28-Jährige aus
       der Nachbarschaft, nicht mitbekommen. Sie habe Hilferufe gehört und sei zum
       Fenster gelaufen. Dort habe sie gesehen, wie ein Mann auf eine am Boden
       liegende Frau einschlug. Sie rief dem Täter zu, dass sie die Polizei holen
       würde. Doch B. sei das egal gewesen.
       
       „Er war wie besessen von der Frau“, sagt die Anwohnerin. Und was
       entscheidend sein könnte: Die Werkzeuge habe er nicht im Auto suchen
       müssen. Der Prozess soll am Mittwoch fortgeführt werden.
       
       22 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Scharpen
       
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