# taz.de -- Berliner Ensemble: Das Volksbühnenrad dreht sich weiter
       
       > Frank Castorf wird in Zukunft am Berliner Ensemble inszenieren. Der
       > kommende Intendant Oliver Reese stellt sein Programm für die nächste
       > Spielzeit vor.
       
 (IMG) Bild: Oliver Reese, neuer Intendant des Berliner Ensembles
       
       Da stehen drei Schauspielerinnen zusammen, nach der Pressekonferenz im
       Berliner Ensemble, Corinna Kirchhoff, Bettina Hoppe, Kathrin Wehlisch. Von
       jeder erinnere ich einen hervorragenden Moment: Corinna Kirchhoff, wie sie
       im „Gott des Gemetzels“ (aus Zürich zum Theatertreffen eingeladen) ihrer
       bis dahin beherrschten Wut endlich freien Lauf lässt und einem riesigen
       Strauß Tulpen die Köpfe abreißt. Bettina Hoppe, wie sie in einem langen
       improvisierten Monolog zur Schöpfungsgeschichte im Gorki-Theater das
       Publikum betrachtet und eingeschlafene Berliner Kritiker anspricht. Kathrin
       Wehlisch, wie sie im Schauspielhaus Köln gegen das Wasser kämpfte, das die
       Bühne flutete, in einem Stück von Elfriede Jelinek über hausgemachte
       Katastrophen.
       
       Wow. Und das sind nur 3 von 28 meist bekannten Schauspielern, die ab
       September 2017 das „Berliner Ensemble“ (BE) bilden werden. Oliver Reese,
       der neue Intendant des BE, und Michael Thalheimer, jetzt Hausregisseur,
       rückten die Schauspieler in ihrer ersten Pressekonferenz in den
       Vordergrund. Und erzählten mit Stolz, wer jetzt von der Schaubühne zu ihnen
       kommt und wer vom Burgtheater, wen Reese aus Frankfurt mitbringt – da war
       er zuletzt acht Jahre lang Intendant. Viel Berliner Theatergeschichte
       verbindet sich mit der prominenten Namensliste, und das scheint schon mal
       das halbe Spiel.
       
       Denn dieser Einstieg war das komplette Gegenteil der Spielzeitpräsentation,
       mit der 14 Tage zuvor Chris Dercon und sein Team für die Volksbühne
       angetreten waren. Schauspieler tauchten da nur am Rande auf. Hier aber
       standen sie im Mittelpunkt, dann wurden die Stoffe und die Regisseure
       vorgestellt. Dass Frank Castorf, der die Volksbühne als Intendant nicht
       freiwillig verlassen hat, hier im Dezember schon seine nächste Premiere
       zeigen wird, „Les Misérables“ nach Victor Hugo, ist natürlich ein Coup. Den
       das Team aber nicht mit Fanfaren verkündete, sondern schön einbettete in
       eine ausführlichere Vorstellung der jüngeren und teils in Berlin noch
       weniger bekannten Regisseure wie Bernadette Sonnenbichler, Lily Sykes, Ola
       Mafaalani, Robert Borgmann, David Bösch.
       
       17 Premieren umfasst die erste Spielzeit, dazu bringt Reese neun
       Inszenierungen aus Frankfurt mit und lässt auch einiges aus Claus Peymanns
       BE, inszeniert von Peymann, Heiner Müller und Robert Wilson, im Programm.
       Man bekennt sich zur Gegenwartsliteratur und zur Autorenpflege, Moritz
       Rinke hat die Aufgabe, mit Autoren und Schauspielern an Texten zu arbeiten.
       Unter den Autoren der ersten Spielzeit stehen Brecht und Camus, aber auch
       Rainald Goetz und Benjamin von Stuckrad-Barre.
       
       Aber auch neue Formate werden entwickelt, um in die Geschichte des BE
       hineinzuhorchen, wie ein Radioclub der höchst empfehlenswerten
       Musiktheatermacher Clemens Sienknecht und Barbara Bürk.
       
       Die Mischung scheint ein sehr solides, ehrliches und reiches Theaterpaket.
       Es bietet genug Anknüpfungspotenzial, um Stammpublikum des unter Claus
       Peymann doch arg in die Jahre gekommenen BE nicht zu verprellen, aber auch
       an jüngere, literaturbasierte Theatersprachen anzuknüpfen.
       
       Das BE könnte damit gut zu einem Gewinner werden in der sich nur mäßig
       verändernden Theaterlandschaft Berlin. Denn nach der Entscheidung für Chris
       Dercon, dem so viel Misstrauen entgegenschlug, war aus der Kulturpolitik
       der Mut zu Experiment und Veränderung wohl erschöpft.
       
       Gerade wurde bekannt, dass der Vertrag von Ulrich Khuon als Intendant am
       Deutschen Theater (DT) – auch dort hat Reese schon acht Jahre lang
       gearbeitet – bis 2022 verlängert wurde. Michael Thalheimer hatte am DT 2001
       mit einer „Emilia Galotti“ seine Erfolgsgeschichte als Regisseur, der die
       Klassiker neu erleben lässt, begonnen, zuletzt war er fünf Jahre lang an
       der Schaubühne. Ab jetzt wird er in Berlin exklusiv am BE inszenieren, das
       ist Teil seines Vertrages als Hausregisseur. Auch für andere der Künstler
       gilt das. Da entsteht so ein Bild, wie die Theaterfans nun ihre
       Theaterhäuser wechseln müssen, aber weiter finden werden, was sie lieben.
       
       30 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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