# taz.de -- Eingesperrte nach dem G20-Gipfel: Knast wegen schwarzen Schals?
       
       > Bisher hat die Hamburger Justiz 51 Haftbefehle gegen mutmaßliche
       > Randalierer ausgestellt. Eine Anwältin spricht von politischen Motiven.
       
 (IMG) Bild: Die Gefangenensammelstelle im Hamburg-Harburg während des G20-Gipfels
       
       HAMBURG taz | Es sind schwere Vorwürfe, die zwei Anwält*innen gegen die
       Hamburger Justiz erheben: Was die G20-Verfahren betreffe, sei in Hamburg
       die Unabhängigkeit der Gerichte nicht mehr gegeben. Es würden „politische
       Urteile“ gefällt, mit Rechtsstaatlichkeit habe das nichts mehr zu tun.
       Deshalb wollen sie versuchen, möglichst viele der Verfahren gegen
       diejenigen, die wegen der G20-Proteste in Haft sitzen, aus Hamburg
       rauszubringen. Sprich: vor das Verfassungsgericht. Die Anwältin Gabriele
       Heinecke hat vergangene Woche Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbescheid
       ihres 18-jährigen Mandanten eingelegt. Dieser sitzt seit dem 7. Juli in
       Untersuchungshaft. Heinicke findet: ohne guten Grund.
       
       Zum Stand der Ermittlungen gegen Domonstrant*innen will sich die Polizei
       nicht äußern. Die Sonderkommission „Schwarzer Block“ wertet seit dem 17.
       Juli Videomaterial aus und hat darüber hinaus die Bevölkerung um weitere
       Hinweise gebeten. Vor dem Innenausschusses sprach Polizeieinsatzleiter
       Hartmut Dudde am 19. Juli von bis dahin 345 Strafanzeigen im Zusammenhang
       mit G20. Diese Zahl, teilte ein Pressesprecher der taz mit, dürfte durch
       die Ermittlungen der Soko gestiegen sein.
       
       Die Anzahl an Haftbefehlen jedoch legt nahe, dass die Ermittlungen nicht
       sehr erfolgreich sind. Ursprünglich wurden in 51 Fällen Haftbefehle
       ausgesprochen. Davon sind nur noch 33 in Kraft. Neun der Inhaftierten sind
       Deutsche, sechs Italiener*innen, drei Französ*innen, die restlichen kommen
       aus Russland, den Niederlanden, Österreich, Spanien, Ungarn, Senegal und
       Polen. Unter den Inhaftierten befindet sich auch der 27-jährige Deutsche,
       der mit einem Laserpointer versucht hatte, einen Hubschrauberpiloten zu
       blenden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm daraufhin versuchten Mord
       vorgeworfen. Mittlerweile lautet der Vorwurf nur noch „schwerer Eingriff in
       den Luftverkehr“.
       
       Den anderen Inhaftierten wirft die Staatsanwaltschaft schweren
       Landfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung, Widerstand und
       tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung oder Verstoß
       gegen das Vermummungsverbot vor, in den meisten Fällen mindestens zwei der
       Delikte.
       
       ## Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten
       
       Dabei geht der Straftatsbestand „Tätlicher Angriff“ auf eine
       Gesetzesänderung vom 1. Juli zurück und dürfte dazu führen, dass die
       Strafen höher ausfallen, als es vor der Änderung der Fall gewesen wäre. Wer
       auf dem G20-Gipfel eine*n Polizist*in geschubst hat, muss mit einer
       Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten rechnen, egal ob der Beamte
       dabei verletzt wurde oder nicht.
       
       Trotzdem dürfte es für die Staatsanwaltschaft schwierig sein, eine
       Tatbeteiligung im Einzelnen nachzuweisen. Die Beschuldigten wurden bei
       ihrer Verhaftung meist in Gruppen angetroffen, in deren Nähe Gegenstände
       wie Steine, Pyrotechnik, Vermummungsmaterial oder leere Flaschen gefunden
       wurde. Aber wer im Einzelfall geworfen hat, ist schwer zu beweisen.
       
       Um jemanden aber in Haft zu behalten, muss es gute Gründe geben:
       Fluchtgefahr etwa, oder die Vermutung, der Beschuldigte könnte Beweise
       vernichten oder Spuren verwischen. Außerdem muss ein dringender Tatverdacht
       bestehen. „Nichts davon ist bei meinem Mandanten gegeben“, sagt Heinecke,
       die deshalb Verfassungsbeschwerde gegen die U-Haft ihres Mandanten
       eingereicht hat. Im Haftbeschluss des Oberlandesgerichts, der der taz
       vorliegt, steht sogar: „Eigenhändige Gewalthandlungen lassen sich dem
       Beschuldigten nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht zuordnen.“
       
       Stattdessen führt das Gericht Indizien an, die die Szenezugehörigkeit des
       18-Jährigen belegen sollen, und macht ihn für die gesamten Ausschreitungen
       mitverantwortlich: „Der Beschuldigte hat die bürgerkriegsähnlichen
       Zustände mitverursacht“, schreibt das Gericht. Das ergebe sich aus der
       Festnahmesituation aus dem Schwarzen Block heraus. Tatsächlich erfolgte die
       Festnahme aber schon vor den schweren Ausschreitungen am Freitagabend.
       
       Als Indizien für die Szenezugehörigkeit führt das Gericht außerdem die
       Kleidung des Festgenommenen an: Eine schwarze Gore-Tex-Jacke, ein
       schwarz-weißer Schal und dunkle Turnschuhe. Auch die Tatsache, dass auf der
       linken Internetplattform Indymedia ein Aufruf steht, dem 18-Jährigen und
       allen anderen G20-Gefangenen Solidaritätspost in den Knast zu schicken,
       führt das Gericht gegen den Beschuldigten an.
       
       Ein Sprecher des Oberlandesgerichts gab zu, dass dies keine alltägliche
       Argumentation sei. Allerdings seien die Umstände ja auch nicht alltäglich.
       Den Vorwurf, politische Urteile zu fällen, wies er zurück: „Die Gerichte
       sind kein Spielball der Politik und entscheiden allein nach Recht und
       Gesetz.“
       
       Lesen Sie auch: Polizeigewalt in Hamburg – [1][Grundrechte missachtet].
       
       4 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
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