# taz.de -- Internationale Gartenausstellung: Eine Liebeserklärung an die Erde
       
       > Der Weltacker auf der IGA zeigt, wieviel Ackerfläche jedem Erdbewohner
       > prinzipiell zur Verfügung steht – gerade hielt man erste Ernte.
       
 (IMG) Bild: Die IGA wird eigentlich wegen ihrer Blumen und Beeten besucht
       
       Aufwendig gestaltete Blumenbeete, Inspirationen für den eigenen Garten, am
       besten an einem sonnigen Tag – das ist es, was die Besucher der
       Internationalen Gartenausstellung (IGA), die bis Oktober dieses Jahres ihre
       Tore in Marzahn-Hellersdorf geöffnet hat, erwarten. Und das bekommen sie in
       der Regel auch. Wobei die Sonne sich diesen Sommer wohl am meisten ziert.
       
       Wer auf dem über hundert Hektar großen Gelände der IGA seine Augen aufhält,
       wird aber noch mehr entdecken. Neben dem Wuhleteich, direkt am Hang des
       Kienbergs gelegen, befindet sich eine unscheinbare Ackerfläche: Im
       Verhältnis zum riesigen IGA-Gelände ein kleines Feld, das aber globale
       Ernährung und Verteilung erlebbar macht.
       
       2.000 Quadratmeter misst der sogenannte Weltacker, so viel Fläche zum
       Bewirtschaften steht jedem Menschen auf der Erde zur Verfügung –
       vorausgesetzt natürlich, es gäbe eine faire Verteilung. Egal ob Mais,
       Weizen oder Gemüse, Tabak für Zigaretten, Kautschuk für Kondome oder
       Baumwolle für die Kleidung – alles soll auf dem Feld Platz finden.
       
       Das Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft möchte mit dem
       Bildungsprojekt Zahlen verständlich machen, die sich niemand vorstellen
       kann: 1,4 Milliarden Hektar Ackerfläche gibt es weltweit. Aber was heißt
       das für jeden Einzelnen? Ist genug für alle da? Fast ein Dutzend
       Weltacker-Projekte gibt es auf der Erde, unter anderem in Kenia, China und
       Schottland – durch die deutsche Öko-Stiftung und Gelder der
       Genossenschaftsbank GLS nun auch in Marzahn-Hellersdorf.
       
       ## Der Biogärtner begeht die erste Ernte
       
       Dabei erinnert das Feld auf den ersten Blick eher an einen etwas größeren
       Hinterhof-Acker. Soja, Tomaten, Zwiebeln – alles nur auf jeweils kleinen
       Bereichen angepflanzt und scheinbar wild durcheinander. Neben ein paar
       Besuchern, die auf einem Weg aus Holzspänen entlanggehen und Infotafeln
       studieren, finden sich auch einige Helfer auf dem Gelände, die mit kurzen
       Hosen, Sandalen und improvisierten Kopfbedeckungen einfache Gartenarbeiten
       verrichten.
       
       Sie alle unterstützen Gerd Carlsson. Mit seinen bestimmt zwei Metern
       Körpergröße, grüner Latzhose und den langen, grauen Haaren ist er kaum zu
       übersehen. Heute steht die erste Ernte an. „Kartoffeln, Bohnen und ein paar
       Kürbisse“, sagt der 56-jährige Biogärtner.
       
       Mit einer Mistgabel beugt er sich über ein abgestecktes Erdfeld. Seine
       langen Haare verdecken das rot angelaufene Gesicht. Mit der Gabel sticht er
       in den Boden, gräbt die Erde um und bringt nach und nach einige rote-braune
       Kartoffeln zum Vorschein. „Manche sehen aus wie Erdklumpen“, sagt er, „die
       erkennt man gar nicht als Kartoffeln.“
       
       Genau 26 Quadratmeter des Ackers sind mit Kartoffeln bepflanzt. Das
       besondere am Weltacker ist, dass er die globale Bepflanzung maßstabsgetreu
       darstellt. Kartoffeln nehmen weltweit, wie auch hier, knapp 1,2 Prozent des
       Platzes ein.
       
       ## Nicht alles wächst auch wirklich auf der IGA
       
       „Die Grundaussage von dem Projekt ist, dass genug für alle da ist. Eine
       Einzelperson schafft es gar nicht, das hier alles zu verbrauchen“, sagt
       Carlsson. Selbst für Genussmittel wie Kaffee, Tee und Kokosnüsse sei auf
       dem Weltacker Platz, meint er und zeigt in eine hintere Ecke des Feldes.
       
       Wobei Carlsson zugeben muss, dass nicht wirklich alles auf dem Berliner
       IGA-Gelände wächst: „Maniok, Zuckerrohr und Wassermelone haben wir durch
       vergleichbare Sorten ersetzt.“ Aber Produkte wie Reis, Baumwolle und
       Erdnüsse seien auch hierzulande kein Problem, so Carlsson.
       
       Mit einigen Helfern an seiner Seite bewegt er sich weiter zum Bohnenfeld.
       Auf dem Weg sind neben Infotafeln auch verschiedene Lernstationen: An einer
       kleinen Telefonzelle aus Holz erzählen Arbeiter aus Kamerun, Spanien und
       Bulgarien, wie die Tomate in den deutschen Supermarkt kommt, sie erzählen
       von ihren schlechten Arbeitsbedingungen und wie viele Nahrungsmittel
       weggeschmissen werden.
       
       Das sogenannte Flächenbuffet zeigt, wie viel Acker für einzelne Portionen
       bestimmter Gerichte benötigt wird: Ein gemischter Salat mit Brötchen
       braucht 0,41 Quadratmeter, ein Schnitzel mit Bratkartoffeln schon mehr als
       das Fünffache davon.
       
       ## Hilfe von Ehrenamtlichen und Praktikanten
       
       Bei den Bohnen angekommen, gibt Carlsson wieder Anweisungen: „Die ganz
       kleinen bitte noch nicht, ja?“ Zusammen suchen sie die Sträucher nach den
       länglichen grünen Hülsen ab.
       
       Seit März 2016 arbeitet Carlsson an seinem Herzensprojekt, über ein Jahr
       bevor die IGA eröffnete. „Landwirtschaft kann auch eine Liebeserklärung an
       die Erde sein“, sagt er. Fast jeden Tag ist er vor Ort, immer mit
       unterschiedlichen Helfern. „Wir haben einen Pool an Ehrenamtlichen,
       Praktikanten und Leuten, die ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr machen“,
       sagt Lotta de Carlo. Die 26-Jährige mit den braunen Locken koordiniert
       inzwischen die Arbeit der Helfer – früher war sie selbst Ehrenamtliche.
       
       „Das Schöne am Weltacker ist“, sagt sie, „dass es Themen wie Ernährung,
       Fleischkonsum und Biosprit extrem greifbar macht.“ Beim Soja etwa stecken
       kleine Fahnen ab, wie viel Prozent der Erträge nicht gegessen, sondern für
       Biosprit oder Tiernahrung verwendet werden.
       
       Zwei Plastikschweine am Rande des Feldes sollen zeigen, dass 2.000
       Quadratmeter Ackerfläche auch benötigt werden, um zwei 115-Kilo-Schweinen
       zu mästen. Das soll Bewusstsein schaffen, ohne die Leute zu bevormunden.
       „Manche fühlen sich angegriffen, wenn es um ihren Fleischkonsum geht“, sagt
       de Carlo, „aber unser generelles Feedback ist sehr positiv.“ Viele Besucher
       hätten immer wieder Aha-Erlebnisse, wenn sie durch das Feld laufen.
       
       ## Rohstoffe für zwölf Milliarden Menschen
       
       De Carlo missfällt zwar, dass die IGA durch Unternehmen wie Nestlé und
       Coca-Cola gesponsert wird, doch die Reichweite über die Ausstellung sei
       enorm. „Es kommen zum Beispiel auch Leute aus der Marzahner Nachbarschaft,
       die sich sonst gar nicht mit dem Thema beschäftigen“, sagt sie.
       
       Die ehrenamtlichen Helfer arbeiten nicht nur auf dem Feld mit, sie kümmern
       sich auch um Führungen, Gästebetreuung und Öffentlichkeitsarbeit. Während
       Carlsson zu den Kürbissen weiterzieht, decken ein paar von ihnen bereits
       zwei Biertische. Die Ernte wird von dem Biogärtner, seinen Helfern und ein
       paar weiteren Leuten, die Patenschaften für Ackerfläche übernommen haben,
       im Anschluss zusammen zubereitet und gegessen – fast wie bei einer großen
       Familie.
       
       Nach getaner Arbeit setzt sich Carlsson auf eine Bank. Schweißperlen
       bedecken sein Stirn, doch er wirkt zufrieden. „Wir könnten problemlos zwölf
       Milliarden Menschen satt kriegen“, sagt er, „wir müssen nur lernen,
       verantwortungsvoll mit der Fülle umzugehen, die wir haben.“
       
       17 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robin Köhler
       
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