# taz.de -- Die Wahrheit: Zoff am ZOB
       
       > Wer auf den letzten Drücker vor Abfahrt am Berliner Zentralen
       > Ommnibusbahnhof eintrifft, dem entgeht ein geharnischtes
       > Sittenschauspiel.
       
 (IMG) Bild: Männerfreundschaften: Otto Schwanz (l.) 1987 vor dem Landgericht mit Parteifreund und Anwalt.
       
       Ist es schön, in die deutsche Hauptstadt zu gelangen, so ist es noch
       schöner, sie zu verlassen. Die soziologisch aufschlussreichste Option, was
       das Verlassen Berlins angeht, verbirgt sich nach diversen persönlichen
       Experimenten ganz eindeutig hinter der Option Bus.
       
       Der Zentrale Omnibusbahnhof, kurz ZOB, beheimatet im tiefsten Westberlin
       gleich beim ehemaligen Sender Freies Berlin, ist hier jeder anderen
       Zustiegsmöglichkeit vorzuziehen. Fast möchte man sein Gefährt nach
       wahlweise „West“- oder „Ostdeutschland“, wie der Berliner zu sagen pflegt,
       freiwillig verpassen, so pulsiert der ZOB, gewandet in eine Architecture
       brute der betonierten Zeitenwende um 1970 herum.
       
       Wer an Ort und Stelle auf den berüchtigten letzten Drücker vor Abfahrt
       erscheint, dem entgeht ein Kaleidoskop von Sitten und Gebräuchen, von
       Menschlich- und Unmenschlichkeit. Gelegen unweit des dem Untergang
       geweihten Kongresszentrum ICC, trifft sich im „bistro am zob“ alles, was
       auf Anschluss wartet.
       
       Hier wird nachtschwarzer „Berlin Kaffee to go“ in knallroten Pappbechern
       mit Kapitalen-Silhouette ausgeschenkt, hier wird schmutzige Leibwäsche am
       Stehtisch sortiert oder ein Auge der Fatima an der Kasse erworben. Warum
       auch sollte man dem angeblich sicheren Verkehrsmittel Bus trauen, zumal so
       mancher Billiglinien-Fahrer nicht so recht vertrauenswürdig aussieht? Da
       hilft dann nur noch Beten im Angesicht der Fatima.
       
       Umschallt von „Nach Gelsenkirchen auf Steig vier“ und „Flensburg von fünf
       auf zwei“, fegt ein barbusiger Straßenkehrer mit sehr großem
       Miss-Piggy-Tattoo auf einem sehr kleinen Stück des ZOB sehr viel Müll in
       Form von gerissenen Kofferbändern, abgegessenen asiatischen Fastfoodboxen
       und FDP-Handzetteln („Tegel retten!“) zusammen. Ein abgerolltes Kondom ist
       auch dabei, und als man sich noch einen zweiten Kaffee im Bistro holen
       will, steckt die Schuhsohle an einem Kaugummi fest.
       
       Der barbusige Straßenkehrer erklärt derweil mit leuchtenden Augen zwei
       jungen Rucksacktouristinnen den Weg nach „Mitte – in Center, mittenmang.
       Okay, Ladys?“ Die beiden bedanken sich artig und laufen dann in die falsche
       Richtung, vorbei am verheißungsvoll klingenden Schild „Bus 218
       Pfaueninsel“.
       
       Plötzlich baut sich vor einem ein Hüne auf. Wie ein Pirat sieht er aus,
       samt Wallebart und Ringelhemd. Einen kleinen, scheu lächelnden Jungen führt
       er mit sich, und der Pirat möchte einem Diebesware in Form eines brandneuen
       Glitzer-Smartphones verticken. Als man ablehnt, stößt er Flüche aus. Wenig
       später ist der Pirat umringt von einer Streife, der kleine Junge
       verschwindet hinter den Uniformen der Polente.
       
       Zum Abschied vom Zentralen Omnibusbahnhof – denn „Zingst auf drei“ ruft –
       gibt es Freibier. Zu diesem Behufe schmettert einem ein Obdachloser
       absichtlich eine Pulle „Berliner Kindl“ vor die Sandalenfüße. „Det ham Se
       nu davon!“, ruft er im Abgang begriffen. Im Omnibus regnet es bei Reihe
       zwei hinein.
       
       22 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harriet Wolff
       
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