# taz.de -- Wiederentdeckter Roman: Geschichte als Aphrodisiakum
       
       > Dany Laferrières Roman „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu
       > ermüden“ ist schon 32 Jahre alt. Dennoch ist das Buch aktueller denn je.
       
 (IMG) Bild: Bettgeschichte: Der Titel verspricht Sex zwischen Schwarz und Weiß – zunächst
       
       Die Neuerscheinung „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden“
       ist der denkbar sexieste Einspruch gegen die Programmatik der Critical
       Whitness und damit das Buch der Stunde schlechthin. Dabei katapultierte
       dieses Romandebüt Dany Laferrière immerhin schon vor 32 Jahren aus der
       Anonymität der Fabrikarbeit ins Rampenlicht des frankofonen
       Literaturbetriebs.
       
       Weil aber die Idee, es könne der Muslim kein Westler sein, heute mehr denn
       je orthodoxer Glaubenssatz linker Antirassisten wie liberaler
       Multikulturalisten bis hin zum reaktionären AKP-Anhänger ist, wurde der
       Roman wohl doch nicht zu spät ins Deutsche übersetzt.
       
       Denn es braucht ganz dringend Dany Laferrières Erzähler, der diese Idee in
       der Figur seines Freundes Bouba geistreich verspottet. Letzterer macht es
       sich – „Allah ist groß, aber Freud sein Prophet“ – mit den gesammelten
       Werken von Sigmund Freud und einem zerfledderten Exemplar des Korans auf
       der Couch im gemeinsam bewohnten Zimmer gemütlich.
       
       Wie es sein Titel verspricht, handelt der Roman zunächst einmal vor allem
       vom Sex zwischen Schwarz und Weiß; von zwei armen, in Montreal gestrandeten
       Migranten aus Haiti, die in ihrer Bruchbude am Carré Saint-Louis von den
       ebenso weißen wie schönen, reichen und intelligenten Studentinnen der
       umliegenden Eliteuniversitäten heimgesucht werden.
       
       Bouba liebt den Jazz und tauft die jungen Damen Miz Literatur, Miz Snob
       oder Miz Sophisticated Lady, immer mit z geschrieben, „damit wir es nicht
       mit Gloria Steinem zu tun kriegen“. Der Ich-Erzähler wiederum liebt die
       Literatur und schreibt an seinem ersten Roman, der ihn „aus dem Loch holen“
       soll.
       
       Mit Sätzen, die seine Situation so analysierten: „Man muss sich das
       vorstellen, sie studiert an der McGill-Universität (eine ehrwürdige
       Institution, wo das Bürgertum seine Kinder vor allem hinschickt, damit sie
       klar denken, analysieren und den wissenschaftlichen Zweifel lernen), und
       der erste Schwarze, der ihr irgendeinen Schwachsinn erzählt, darf sie
       vögeln. Warum? Weil sie sich diesen Luxus leisten kann. Wenn ich mir
       hingegen die geringste Naivität erlaube, und sei es nur eine Sekunde, bin
       ich ein toter Schwarzer. Buchstäblich.“
       
       ## Ohne misogyne Untertöne
       
       Und als Miz Literatur ihn mit nach Hause nimmt, weiß ihr schwarzer
       Liebhaber: „Dieses Haus atmet Ruhe, Sicherheit und Ordnung. Die Ordnung
       derer, die Afrika ausgeplündert haben. England, Herrin der Meere. Hier hat
       alles seinen Platz. Nur ich nicht.“ Aber was soll’s, „nachdem die
       Geschichte gegen uns war, dient sie uns jetzt als Aphrodisiakum“.
       
       Fraglich, dass er es bedenkt, aber historisch-soziologisch betrachtet
       schließt dieses „uns“ die dissidentischen höheren Töchter absolut mit ein.
       Vielleicht haben sie deshalb, wegen dieses Aphrodisiakums, so guten Sex mit
       ihrem haitianischen Migranten, dessen leicht machohafter Ton ohne jeden
       misogynen auskommt.
       
       Am Ende träumt der Erzähler vom Erfolg seines Romans und der letzten Frage
       in einem Interview mit dem kanadischen Rundfunk: „Werden Sie ein weiteres
       Buch schreiben?“ Tatsächlich veröffentlichte Danny Laferrière seit 1985
       rund ein Dutzend Romane und wurde 2014 als eine führende Stimme der
       frankofonen Weltliteratur in die Academie Française berufen – als zweiter
       schwarzer Dichter nach Léopold Sédar Senghor.
       
       25 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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