# taz.de -- Der Hausbesuch: Lidschatten für die Kanzlerin
       
       > Reem Jarhum ging im Jemen auf die Straße, dann floh sie nach Deutschland.
       > Hier träumt sie davon, als Make-up-Künstlerin zu arbeiten.
       
 (IMG) Bild: Reem Jarhum lebt allein in ihrem Zimmer im Wohnheim. Sie würde gerne raus aus Heide
       
       Was macht man als Kreative an einem Ort, an dem es für Künstlerinnen nicht
       viel gibt? Reem Jarhum malt Bilder und verschönert ihr Zimmer im
       Flüchtlingswohnheim.
       
       Draußen: Weitläufiges Grün, darin ein paar braune Einsprengsel. Eine
       Kuhherde döst in der Mittagssonne. Hier in Heide verzieren gepflegte
       Vorgärten rote Backsteinhäuser, tragen Straßen Namen wie Vogelweide und
       Moorkamp. „Es kommt ein Wind aus Norden / Er weht durch Zaun und Dorn / Er
       eggt das Land“ – und bricht sich an der eisernen Figur Klaus Groths, einer
       Statue des Vaters der plattdeutschen Dichtung. Aus einem betonierten Platz
       ragt klobig das alte Wohnheim der Hochschule empor. Hier wohnen nun
       Geflüchtete.
       
       Drinnen: Am Ende der Treppe hängt eine Pinnwand, eine Erinnerung an die
       dreimonatige Kündigungsfrist in vier Sprachen. Daneben auf Arabisch bunt
       bebildert: „Wie trenne ich den Müll in Dithmarschen?“ Alles hat seine
       Ordnung. Reem Jarhum lebt seit einem halben Jahr hier. Zunächst kam sie in
       einer nahen Erstaufnahme unter. Dort begann sie mit dem Malen auf
       Leinwänden. Sie stapeln sich in ihrem Zimmer: „Ich benutze zuerst immer den
       Pinsel, dann aber doch die Finger“, sagt die junge Frau und lacht. Die
       weiten Flächen sind ihr Ersatz für das Bemalen von Gesichtern und Körpern.
       Jarhum ist eigentlich Make-up- und Bodypainting-Künstlerin. Nun lernt sie
       dreimal die Woche Deutsch.
       
       Das erste Projekt: „Wenn der Mond aufgeht, scheint er dann nur für einige
       oder für uns alle?“ Mit diesen Worten beginnt das Lied. Es wurde 2013 für
       die Auftaktveranstaltung des Nationalen Dialogs in Sanaa im Jemen
       geschrieben. Für den Tag der Herzen. Junge jemenitische Sänger*innen
       fordern in dem Lied eine Zukunft ohne Krieg. Es war Jarhums erstes
       Make-up-Projekt: „Die Dialoggespräche waren unsere einzige Hoffnung.“ Sie
       habe gewusst, dass ein Misserfolg Bürgerkrieg bedeuten würde. „Und jetzt“,
       sie hält inne, „ist der Krieg international.“ Saudi-Arabien führt seit 2015
       eine Militärkoalition gegen die Huthi-Rebellen an.
       
       Die Eltern: Jarhums Mutter, Houda Ali Abdullatif Al-Baan, machte kürzlich
       ein Foto im Berliner Madame Tussauds. Ein Schnappschuss mit der Wachsfigur
       Erich Honeckers. Für die Tochter ist der Mann mit der Nickelbrille ein
       Unbekannter. Dabei ist das, was er repräsentiert, der Grund dafür, dass
       ihre Geschichte in Deutschland bereits vor ihrer Geburt beginnt. An der
       Leipziger Universität: Zahlreiche Studierende der Demokratischen
       Volksrepublik Jemen lernen in den Hörsälen der DDR. Darunter ein
       Journalismusstudent und eine Ökonomiestudentin. Die beiden heiraten und
       kehren nach dem Studium in den sozialistischen Südjemen zurück.
       
       1989: Jarhum wird in Zeiten des Umbruchs geboren. Das rote Kartenhaus fällt
       da nicht nur in Ostdeutschland zusammen, sondern auch im Süden der
       Arabischen Halbinsel. Jarhum wächst mit ihren beiden Schwestern in der
       Hauptstadt des nun vereinten jemenitischen Staats auf: Sanaa, umgeben von
       Bergen, weiß verzierte Lehmbauten in der Altstadt, Unesco-Weltkulturerbe:
       „Mit jedem Schritt atmet man Geschichte ein“, sagt sie. Doch auch Aden,
       ihre Geburtstadt, hat in ihrer Erinnerung einen festen Platz – der Hafen,
       das Meer. „Ich kann mich nicht für eine der beiden Städte entscheiden.“
       
       Ahmed: Sanaa ist aber nicht nur uralt, sondern auch konservativ. Ihre
       Eltern schneiden ihr die Haare kurz und stecken sie in Jungenkleider. Nur
       so kann sie weiterhin auf den Straßen spielen. Sie sei ein Tomboy gewesen,
       also ein Mädchen, das gern genauso frei und wild aufwachsen wollte wie
       Jungs. Aus Jarhum wird Ahmed: „Den Namen habe ich mir ausgesucht. Ich
       wusste aber immer, dass ich ein Mädchen war.“ Mit 13 war damit Schluss.
       Erst musste sie Abaya tragen, später Hijab. „Nicht wegen den Eltern,
       sondern wegen den Lehrern“, betont sie. Nur das Autofahren wollte der Vater
       nicht erlauben: „Erst wenn dir ein Schnurrbart wächst“, habe er gesagt. Sie
       lernte es dennoch. Heimlich.
       
       Make-up: Auf der Kommode findet sich Lidschatten in allen Farben. Sie
       konnte nicht alles mitnehmen. „Als ich versuchte, in der Welt der Mädchen
       zurecht zu kommen, half mir Make-up dabei“, erzählt Jarhum. Sie brach das
       Studium in Malaysia ab, wollte Make-up-Künstlerin werden. Der Vater war
       gerade gestorben. Den Wunsch der Tochter verstand Mutter Houda lange nicht.
       Seit 2008 war sie Ministerin für Menschenrechte. Die beiden anderen Töchter
       waren ihr in die Politik und Entwicklungszusammenarbeit gefolgt. Reem
       Jarhum ist eine von den vielen Menschen auf den Straßen, als der Arabische
       Frühling Sanaa 2011 erreicht. Als die Polizei die Demonstrierenden
       attackiert, legt Mutter Houda ihr Amt nieder. Gemeinsam mit ihrer Tochter
       fordert sie das Ende der korrupten Politik des Präsidenten Ali Abdulla
       Saleh.
       
       Reise ohne Rückkehr: Im von Schönheitswahn geplagten Beirut belegt Jarhum
       einen Make-up-Kurs. Wo, wenn nicht hier? Es sollte nur eine kurze Reise
       sein. Ein Besuch der Schwester. „Ich komme nie wieder zurück“, war sie sich
       dann aber sicher: „Meine besten Jahre habe ich damit verbracht, mein Land
       zu retten, doch die sozialen Zwänge waren zu viel.“ Es verschlägt sie nach
       Jordanien. Dort schminkt sie Models für das erste LGBTQ-Magazin des Landes.
       In Istanbul trifft sie andere jemenitische Künster*innen. Mittlerweile
       leben alle im Exil: „Wir Frauen und Jugendlichen wollten die Revolution,
       aber die Männer haben es verdorben.“
       
       Deutscher Humor: Ihre vorerst letzte große Reise führt über Italien nach
       Heide. Hier beantragt sie Asyl. Ihre Mutter ist bereits da, sie floh zwei
       Jahre zuvor. In der Türkei war es für Jarhum zu unbeständig geworden. Auch
       Jordanien ändert wegen des Kriegs im Jemen die Visabedingungen. In
       Deutschland muss sie bei null anfangen: „Künstlerin in Heide zu sein ist
       so, wie Künstlerin im Jemen zu sein. Es gibt nichts.“ Gern möchte sie
       wieder mit Make-up-Künstlern an Filmsets arbeiten, ein Praktikum machen.
       Dazu müsste sie weg aus Heide. Um die Sprache zu lernen, sei der Ort aber
       ideal. Die Deutschen hätten Humor, sagt sie. Auf dem Schreibtisch liegt das
       Buch „Alone in Berlin“.
       
       Wie findet sie Merkel? Sie liebt den Gesichtsausdruck der Bundeskanzlerin,
       wenn diese auf Donald Trump trifft: „Der ist Gold wert“, sagt sie und
       lacht. Sie würde Angela Merkel gern einmal schminken. Dabei würde sie auf
       einen natürlichen Look setzen, bloß keinen „verrückten Lippenstift“. Nur
       die Haare, die müssten anders frisiert werden. Da ist sich Reem Jarhum
       sicher.
       
       24 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna-Theresa Bachmann
       
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