# taz.de -- Gemeinsamer Kurs von CDU und CSU: Selfie-Angie vs. Obergrenzen-Horst
       
       > Seehofer dringt mit einem Zehn-Punkte-Plan auf einen rechteren Kurs der
       > Union. Ob die Kanzlerin das gutheißt, entscheidet letztlich über
       > Seehofers Zukunft.
       
 (IMG) Bild: Wer ist am Zug? (Merkel und Seehofer bei der Truderinger Festwoche in München)
       
       BERLIN/DRESDEN taz | Sonntags um 12 Uhr ist die Messe normalerweise
       gelesen. Für die Pastorentochter Angela Merkel, hauptberuflich gerade
       Bundeskanzlerin, und Bayerns christlich-sozialen (Noch-)Ministerpräsidenten
       Horst Seehofer war das an diesem Sonntag anders. Beim Treffen zwischen den
       Spitzen von CDU und CSU begann die Litanei erst um 12 Uhr, und statt
       Lobgesang sollte Tacheles geredet werden.
       
       Wegen des rhetorischen Umgangs mit der Flüchtlingsdebatte ist die Union
       tief gespalten. Obergrenzen-Horst versus Selfie-Angie, dieses Duell steht
       als Symbol für einen Richtungsstreit, den das maue 32,9-Prozent-Ergebnis
       der Union bei der Bundestagswahl neu entfacht hat. Hinter dem Treffen im
       Kanzleramt, dessen Ende bis Redaktionsschluss nicht absehbar war, stand
       zunächst die Frage, welchen Kurs CDU und CSU für die anstehenden
       Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen vereinbaren.
       
       Seehofer war mit einem Zehn-Punkte-Plan in die Gespräche gegangen. Er
       fordert darin eine Hinwendung zu Themen wie Leitkultur und Patriotismus, um
       die gesamte Union auf einen konservativeren Kurs zurückzuführen. So heißt
       es etwa: „Grenzenlose Freiheit macht Angst. Und Angst ist der größte Feind
       einer offenen Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine bürgerliche Ordnung
       der Freiheit: Das heißt, einen durchsetzungsfähigen Staat, eine klare
       Begrenzung der Zuwanderung und einen Richtungspfeil für die Integration.“
       
       Eine Begrenzung ohne Nennung einer konkreten Zahl statt einer Obergrenze
       von 200.000? Wird so der Deal zwischen Seehofer und Merkel aussehen? Ob die
       Kanzlerin das gutheißt, entscheidet letztlich über Seehofers Zukunft.
       [1][Der Stuhl des Ministerpräsidenten wackelt derzeit bedenklich.]
       Parteirivale Markus Söder, bayerischer Finanzminister und Seehofers
       Lieblingsfeind, will darauf bald sitzen. Im Hinblick auf die Kritik seiner
       fränkischen Parteifreunde an Seehofer sagte Söder jüngst: „Man muss
       Mitglieder und Wähler verstehen. Nach einem solchen Ergebnis kommt erst der
       Schock, dann folgen Kritik und Unzufriedenheit.“
       
       ## Markus Söder wartet schon
       
       Söders Steigbügelhalter könnte nun die Kanzlerin werden – indem sie
       Seehofers Rechtsrhetorik, auch mit Verweis auf die Partner FDP und Grüne,
       kategorisch ablehnt. Brächte Seehofer die Obergrenze – oder einen Deal mit
       selber Stoßrichtung – gegen Merkel nicht durch, würde ihn das
       machtpolitisch weiter schwächen. Der Profiteur hieße dann womöglich schon
       recht bald: Markus Söder.
       
       Für Seehofer, der vor dem Gipfel im Kanzleramt sagte, er könne ohne eine
       Lösung zur Obergrenze nicht zu seiner Basis zurück, wäre das eine
       Demütigung. Und Merkel, von Seehofer beim Münchner CSU-Parteitag im
       November 2015 auf offener Bühne wie ein kleines Mädchen vorgeführt, könnte
       den bayerischen Dauernörgler endlich loswerden. Aber will sie das wirklich?
       An einer aufgewühlten Union, die ein Seehofer-Abtritt garantieren würde,
       wird ihr nicht gelegen sein.
       
       Am Samstag, beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU) im Kongresszentrum in
       Dresden, sagte Merkel: „Wir wollen jetzt den Wählerauftrag umsetzen, sodass
       sich keiner in der Sache verleugnen muss. Das mutet zwar wie die Quadratur
       des Kreises an; aber mit gutem Willen sollte es gehen.“ Es mutet deshalb
       wie die Quadratur des Kreises an, weil Merkel auch sagte: „Artikel 16 des
       Grundgesetzes kennt keine Obergrenze.“
       
       Insbesondere die Bayernfraktion der JU, die bei Merkels Einmarsch in den
       Saal kollektiv sitzen blieb und nicht klatschte, saß in Dresden zum Protest
       bereit. Für Unionsverhältnisse ungewohnt scharf gingen Einzelne die
       Kanzlerin an. Auch ein Delegierter des Rheinisch-Bergischen Kreises wollte
       wissen, ob Merkel selbst für einen „inhaltlichen und personellen Neuanfang“
       Platz mache. Aus der Ruhe ließ Merkel sich dadurch nicht bringen. Erst
       lauschte sie den Buhrufen, die der Fragesteller erntete, dann legte sie
       einen charmanten Auftritt hin und räumte eine Kernforderung der JU, die
       110.000 Mitglieder*innen hat, mal eben schnell ab: Wie vom JU-Vorsitzenden
       Paul Ziemiak gefordert, soll nun ein Bundesparteitag über einen möglichen
       Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen abstimmen.
       
       ## „Bürgerliche Politik“ müsse wieder ins Zentrum
       
       Am Freitag hatte sich noch Jens Spahn als große JU-Hoffnung präsentiert.
       Der 37-Jährige, CDU-Präsidiumsmitglied und Staatssekretär von
       Finanzminister Wolfgang Schäuble, brachte den Saal 55 Minuten lang
       regelrecht zum Kochen. Bezogen auf die Bundestagswahl wetterte er: „Dieser
       Tag war einschneidend! Wir können nicht einfach zur Tagesordnung
       übergehen.“ Jetzt brauche es „eine klare Sprache, eine klare Abgrenzung“,
       um die AfD zurückzudrängen.
       
       Spahns Rezept ähnelt Seehofers Zehn-Punkte-Plan. „Bürgerliche Politik“
       müsse wieder ins Zentrum rücken. „Linkes moralisieren“ hätten die Menschen
       satt. „Integration schafft nur, wer Grenzen setzt“, polterte Spahn. Es sei
       egal, ob der Begriff Obergrenze verwendet werde, entscheidend sei das
       Signal. Die JU-Delegierten beklatschten Spahns Auftritt lautstark.
       
       Merkel bemühte sich während ihres 95-minütigen Auftritts, die Rhetorik
       wieder zu entschärfen. Im Saarland, in Schleswig-Holstein und NRW seien
       zuletzt Wahlerfolge gelungen, erinnerte sie. Auch im Bund habe man die
       strategischen Wahlziele erreicht: „Gegen die Union kann keine Regierung
       gebildet werden, und wir sind stärkste Kraft.“
       
       Dass es dennoch nur magere 32,9 Prozent wurden, auch darauf ging Merkel
       ein. „Ein wichtiger Punkt ist der Herbst 2015, das Thema bewegt die
       Menschen“, so die Kanzlerin zur Flüchtlingsdebatte. Auch die JU ist hier
       gespalten; speziell, was die Diskussion um eine Obergrenze betrifft. Am
       Freitagabend hatten die 276 anwesenden Delegierten die sogenannte Dresdner
       Erklärung verabschiedet. Darin heißt es unter anderem: „Dabei sollte in
       einem Einwanderungsgesetz auch eine klare Begrenzung für klassische
       Zuwanderung festgeschrieben werden.“
       
       ## Angie verließ als Siegerin den Saal
       
       Den liberalen Kräften in der JU passte dies nicht, sie beantragten, man
       solle Begrenzung durch Regulierung ersetzen. Das Murren aus den bayerischen
       Reihen folgte prompt, erst recht, als der Antrag mit 95:90 Stimmen
       angenommen wurde. Die Abstimmung per Handzeichen zweifelte Bayerns JU an,
       woraufhin Stimmkarten ausgegeben wurden. Resultat: Ein 148:122-Sieg für die
       Begrenzungsbefürworter. Die Bayernfraktion johlte.
       
       Am Samstag verließ den Saal trotzdem Angela Merkel als Siegerin. Charmant
       hatte sie den JU-Delegierten ihr Handeln und ihre Ziele erklärt. Es gelte
       bei der Integration generell viel aufzuholen, mit „ganz Nordafrika“
       Abmachungen à la Türkei-Deal abzuschließen, aber auch „Brücken in die Welt
       zu bauen“.
       
       Im Ringen um die Ausrichtung der Union gehörte das letzte Amen bis Sonntag
       der Kanzlerin.
       
       8 Oct 2017
       
       ## LINKS
       
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