# taz.de -- Debatte Feminismus im Alter: Selbstgewiss und radikal
       
       > Wie geht Feminismus ab 60? Warum das Verbergen des Alters Frauen
       > domestiziert. Und warum sie anfällig sind für Ressentiments gegen
       > Migranten.
       
 (IMG) Bild: Viele Frauen schieben die Anerkennung ihres Alters solange hinaus, bis sie ihnen aufgezwungen wird
       
       Wie können ältere Frauen Feministinnen sein? Die Frage ist mit Bedacht auf
       diese Weise gestellt. Denn es soll hier nicht um diese oder jene Position
       gehen, die in einer Debatte des Tages zu ergreifen wäre. Die Frage geht
       tiefer, sie berührt die Haltung zum Leben, zur Umgebung, zur
       Öffentlichkeit, sie berührt Denken, Empfinden, Verhalten.
       
       Es soll einer jeden überlassen bleiben, ab wann sie sich als älter
       verstehen möchte. Ich bin demnächst 63; wann, wenn nicht jetzt, wäre
       „älter“? Aber schon sind wir mitten im Thema. Viele Frauen schieben die
       Anerkennung ihres Alters solange hinaus, bis sie ihnen aufgezwungen wird.
       Sie können ihr Ältersein dann nur als eine Niederlage erleben – als den
       Moment, in dem sie den Widerstand aufgeben müssen, weil er zwecklos
       geworden ist.
       
       Es bleibt ihnen nur übrig, sich zu unterwerfen; sie beginnen das Ältersein
       nicht erhobenen Hauptes, sondern unsicher und gedemütigt. Für Frauen, die
       in der Öffentlichkeit tätig sind, wirkt dieser Mechanismus ganz besonders.
       Die ersichtlich ältere Frau ist in den Medien kaum präsent. Folglich muss
       das Alter verborgen werden, solange es geht, bei Strafe des Ausschlusses.
       Auf diese Weise ändert sich natürlich nichts; Ausschlussmechanismen
       basieren immer auf dem Gehorsam derer, die durch ihre Angst vor Ausschluss
       domestiziert sind.
       
       Zum Jünger-wirken-Wollen gehört nicht etwa nur das Färben der Haare (was
       unter weniger ideologisierten Umständen nur eine Frage des Geschmacks
       wäre). Sondern das Jünger-wirken-Wollen ist in zweifacher Hinsicht ein
       Verzicht: auf die Autorität, die Alter und Lebenserfahrung verleihen. Und
       darauf, sich abzusetzen vom ästhetischen wie geistigen Konformismus dessen,
       was der Öffentlichkeit als präsentabel gilt.
       
       Es gab eine Zeit, da wurde Feministin-Sein beständig mit Altsein
       assoziiert. „Ältere Feministin“ war ein abschätziges Wortpaar, gemünzt auf
       eine ideologisch Stehengebliebene. Diese Phase ist vorbei, junge Frauen
       schmücken sich erneut mit dem Begriff, und spätestens seit sich auch manche
       Musliminnen so bezeichnen, wissen wir, dass es nicht den einen Feminismus
       gibt, sondern eine Vielfalt von Feminismen.
       
       ## Von falschen Modellen umzingelt
       
       Ich lebe in einem Stadtteil von Berlin, wo der Altersdurchschnitt niedriger
       ist als im deutschen Normalfall. Vielleicht fällt es leichter, sich
       realistisch zu verorten, wenn man umgeben ist von Menschen, die zwei, drei,
       vier Jahrzehnte jünger sind. Wenn ich mich in einer demografisch alten
       Umgebung aufhalte, fühle ich mich von falschen Modellen umzingelt.
       
       Wie im Frühstücksraum eines Hotels, wo Frauen in bevormundender
       Fürsorglichkeit ihren etwas älteren Gatten am Buffett ins Ohr brüllen, was
       sie essen sollen, dabei den Umstehenden zuraunend: Mein Mann braucht immer
       etwas länger. Dieses fatale Gefühl von Wichtigsein und Gebrauchtwerden an
       der Seite eines Partners, dem sie sich vorher jahrzehntelang unterlegen
       gefühlt haben. Ja, es gibt keinen Mangel an schlechten Vorbildern.
       
       Und warum wird die alberne These vom „unsichtbaren Geschlecht“ gerade von
       Frauen immer wieder fortgeschrieben? Ihr zufolge ist Unsichtbarkeit ab dem
       Moment bewiesen, wenn Bauarbeiter nicht mehr pfeifen. Frauen, die ihr Leben
       lang dagegen gekämpft haben, auf ein Sexualobjekt reduziert zu werden,
       leiden nun darunter, keines mehr zu sein. Dafür sollten wir niemand anderes
       verantwortlich machen als uns selbst.
       
       Aber es spiegelt sich in den Ängsten der älteren Frau auch ein
       gesellschaftlicher Zustand. Dass es nämlich für ein Frauenleben jenseits
       jugendlicher Attraktivität und/oder Gebärfähigkeit immer noch keinen ganz
       normalen Ort gibt. Auch ein Mann leidet unter dem Verlust von Sexappeal und
       Spannkraft, aber er käme nicht auf die Idee, sich als unsichtbar zu
       bezeichnen.
       
       Neuerdings wird in Spielfilmchen und Partnerbörsen anerkannt, dass die
       ältere Frau eine Sexualität hat. Aber wächst daraus Würde?
       
       ## Erinnerung an Verletzungen
       
       Emanzipation wird für die Frau jeden Alters erst erreicht sein, wenn die
       ältere Frau in Gesellschaft und Öffentlichkeit einen respektierten Platz
       einnimmt. Dafür muss sich auch unser eigener Blick ändern: Wie leicht haken
       wir uns, wenn eine Frau auf dem Bildschirm erscheint, an etwas fest, was
       nicht perfekt ist; schon sind wir abgelenkt von dem, was sie zu sagen hat.
       Solange die Frauen selbst eine ältere Frau nicht wertschätzen, wird sich
       nichts ändern. Und zu oft spiegelt sich im Blick auf die
       Geschlechtsgenossin eigene Angst, Bitterkeit und Selbstverachtung.
       
       Denn die Vorstellung, unsichtbar zu sein, wie ausgelöscht, verweist ja noch
       auf etwas anderes: auf eine besondere Kränkbarkeit und Verletzbarkeit.
       Konservativer zu werden, wie es allgemein bei Älteren vorkommt, hat bei
       Frauen deshalb eine besondere Note. Ressentiments entstehen häufig aus der
       Erinnerung an Verletzungen – Verletzungen, auf welche die Frauen nicht
       unmittelbar reagierten, als sie ihnen zugefügt wurden: sei es aus Schwäche,
       aus Vorsicht oder aufgrund von Berechnungen („im Alter nicht allein sein“),
       die sich später oft als falsch erweisen.
       
       Solche Narben im Selbstwertgefühl haben ihren Anteil, wenn manche Frauen
       meiner Generation auffallend aggressiv auf Facetten der
       Einwanderungsgesellschaft reagieren, die sie als Zumutung empfinden, etwa
       muslimische Kopftücher. Die Angst, die eigene Lebensleistung im Kampf für
       Emanzipation könne vergebens gewesen sein, entfacht dann Leidenschaften,
       die ich lieber gegen andere Gegner gerichtet sähe. Vielleicht könnte mehr
       Selbstbewusstsein dazu beitragen, über einen weißen Deutungsanspruch von
       Emanzipiertsein hinauszudenken.
       
       Jenseits der 60 feministisch sein heißt: eine uns angemessene Stärke zu
       leben. Sich nicht gescheitert zu fühlen angesichts der Kriterien anderer,
       angesichts neoliberaler Einflüsterungen vom gelingenden Leben oder
       angesichts des neuen Ehe-für-alle-Biedermeiers. Nicht zu hadern mit den
       Kompromissen der eigenen Biographie.
       
       Wenn wir selbstgewiss, radikal und gelassen sind, wäre das ein feminism by
       doing.
       
       4 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Charlotte Wiedemann
       
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